zum Hauptinhalt
In einer Übungshalle der Landesfeuerwehrschule Baden-Württemberg in Bruchsal wurde im September eine Notunterkunft für Flüchtlinge eingerichtet. Die Aufnahmestelle war überfüllt.

© dpa

Steigende Flüchtlingszahlen: Kommunen fordern mehr Hilfe vom Bund

Wohin mit den Flüchtlingen? Die Zahlen steigen, Städte und Gemeinden brauchen neue Unterkünfte. Sie fordern mehr Unterstützung von Bundesseite. Außerdem sollen die Asylregeln geändert werden.

Von

Bei der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl klingen die Dinge relativ einfach. „Wir befinden uns weltweit gesehen in der größten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg“, sagt Pro-Asyl- Sprecher Tobias Klaus, „natürlich wird das auch in Deutschland ankommen.“ Die Zahlen sind eindeutig: Bis zum Sommer 2014 haben schon 84 000 Menschen in Deutschland Asyl beantragt. Das sind fast 60 Prozent mehr als im vergangenen Jahr zu dieser Zeit, wie aus den Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge hervorgeht.

Die deutschen Kommunen spüren die zunehmende Zahl von Flüchtlingen besonders deutlich. Vor dem Hintergrund der dramatischen Krisen im Nahen und Mittleren Osten werde das Flüchtlingsproblem „langfristig eine zentrale Herausforderung für Deutschland“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, dem Tagesspiegel.

Zur Koordinierung fordert Landsberg daher einen Flüchtlingsgipfel. Die Kommunen wollen mit Bund und Ländern einen sogenannten „Marshallplan“ verfassen. Zu dessen Umsetzung zähle unter anderem die Schaffung zusätzlicher zentraler Aufnahmeeinrichtungen. Hier sollten die Flüchtlinge mindestens drei Monate bleiben, bevor sie auf Kommunen aufgeteilt werden. Diese fühlen sich oft überfordert, wenn teilweise kurzfristig Hunderte von Personen untergebracht werden müssen. Bund, Länder und Kommunen sollten überdies ein Lage- und Kommunikationszentrum schaffen, damit Öffentlichkeit mit Informationen versorgt werden kann. Um von den hohen Sozialkosten herunterzukommen, fordern die Städte die Einrichtung eines Gesundheitsfonds.

Weg von der Provisionsdebatte

Zudem stoßen die Kommunen mittlerweile räumlich an ihre Grenzen, weshalb der Städtebund ein mit Bundes- und Landesmitteln ausgestattetes „Bau- und Umbauprogramm Unterbringung“ fordert, mit dem etwa leerstehende Kasernen und Landesimmobilien umgewandelt werden können, damit Flüchtlinge nicht mehr kurzfristig in überteuerten Hotels oder von Privatleuten angemieteten Wohnungen untergebracht werden müssen. Im Baugesetzbuch wollen die Kommunen verankern, dass auch im Außenbereich und in Gewerbegebieten Flüchtlinge untergebracht werden können.

Auch Organisationen wie Pro Asyl sehen die kurzfristige Notwendigkeit, mehr Unterkünfte für die Flüchtlinge zu finden. Sie fordern aber ein grundlegenderes Konzept. „Wir müssen in Deutschland dringend von der Not- und Provisionsdebatte wegkommen“, sagte Sprecher Klaus dem Tagesspiegel. „Flüchtlinge sollten so schnell wie möglich wirtschaftlich auf eigenen Füßen stehen und in Privatwohnungen umziehen.“ Dafür bräuchten sie Sprachkurse und uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Die im Koalitionsvertrag geplanten Erleichterungen, wie zum Beispiel das Arbeitsverbot für Asylbewerber auf drei Monate zu verkürzen, seien nicht ausreichend. „Es gibt dann immer noch die Vorrangprüfung, bei der Arbeitgeber beweisen müssen, dass sie für diesen Job niemand anderen finden konnten“, sagt Klaus. „Das kommt faktisch einem Arbeitsverbot gleich, denn ein Flüchtling hat so kaum eine Chance auf Arbeit.“

Der Balkan soll offiziell sicher werden

Neben den Erleichterungen will die große Koalition aber auch einige Bereiche der Asylgesetzgebung verschärfen. So zum Beispiel die Asylregelungen für die drei Balkanstaaten Serbien, Bosnien- Herzegowina und Mazedonien, in denen diese zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden. Das würde bedeuten, dass Asylanträge aus diesen Ländern schneller abgelehnt werden könnten. Für diese Änderung benötigt Schwarz-Rot aber die Zustimmung der Länderkammer, die sich am 19. September mit dem Thema befassen will. Die Grünen, die an sieben Landesregierungen beteiligt sind, lehnen diese Pläne ab – deshalb gibt es im Bundesrat derzeit keine Mehrheit dafür.

Ihre Zustimmung knüpfen die Grünen an Zugeständnisse in der Asylpolitik. So fordern sie neben der erleichterten Arbeitsaufnahme auch die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes, das die materiellen Leistungen regelt. Asylsuchende könnten dann in die bestehenden Sozialsysteme integriert werden – ihre medizinische Versorgung würde sich verbessern, sie hätten außerdem Anspruch auf Arbeitsmarktförderung.

Vor der Sommerpause hatte es dazu Gespräche zwischen Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) und Grünen-Vertretern aus den Ländern gegeben. Doch bislang liegt dem Vernehmen nach immer noch kein konkretes Angebot vor, an welcher Stelle die Bundesregierung zu Zugeständnissen bereit ist.

Kaum wirtschaftliche Perspektiven für Roma

Die Änderung der Asylregelung bezogen auf Serbien könnte in Deutschland einiges verändern. So stammt die größte Gruppe der Flüchtlinge, knapp 15 600, zwar aus Syrien, doch darauf folgen an zweiter Stelle knapp 10 300 Antragsteller aus Serbien. Diese beiden Herkunftsländer machen zugleich deutlich, welche Hintergründe der wachsende Zustrom von Flüchtlingen in Deutschland hat. Da sind einerseits die akuten Krisenherde rund um Europa, wo Hunderttausende ums nackte Überleben kämpfen.

Und da ist der Balkan, den vor allem Roma in Richtung Westen verlassen, weil sie in ihren Herkunftsländern diskriminiert werden und dort kaum eine wirtschaftliche Perspektive haben. Ihre Anträge auf Asyl werden allerdings schon jetzt fast zu 100 Prozent abgelehnt – denn auch wenn ihre Lebensbedingungen auf dem Balkan schlecht sind, verfolgt werden sie nicht. Das ist aber Voraussetzung für ein Asyl in Deutschland.

Zusätzlich nimmt Deutschland in Absprache mit seinen europäischen Partnern aus humanitären Gründen Flüchtlingskontingente aus bestimmten Bürgerkriegsregionen auf, so wie derzeit aus Syrien.

Seit dem vergangenen Monat kommen nun außerdem vermehrt Flüchtlinge aus dem Irak und aus Nigeria, wo Islamisten auf dem Vormarsch sind und einen brutalen Krieg auch gegen die Zivilbevölkerung führen. Die meisten Flüchtlinge aus diesen aktuellen Kriegsgebieten bleiben allerdings in der Region. So hat allein der Libanon nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) mehr als 860 000 überwiegend syrische Flüchtlinge im Land, bei einer Bevölkerungszahl von nur 4,5 Millionen Menschen. Jordanien und die Türkei haben jeweils mehr als 600 000 Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen, und selbst der Irak, in dem inzwischen ebenfalls ein Krieg tobt, muss hunderttausende Flüchtlinge aus dem Nachbarland versorgen.

Deutschland ist derweil noch weit von den Aufnahmerekorden der 90er Jahre – nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und während der Balkankriege – entfernt. Den Höhenpunkt markierte das Jahr 1992 mit mehr als 440000 Neuankömmlingen.

Zur Startseite