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Gut behütet wachsen in Deutschland die meisten Kinder auf, so wie dieser Junge, der am Ostseestrand mit seinem Vater spielt. Nur: Es gibt immer weniger von ihnen.

© dpa

Statistisches Bundesamt: Deutschland ist kinderärmstes Land Europas

Vor allem in den neuen Bundesländern gibt es einen drastischen Geburtenrückgang. Und wenn dann doch Nachwuchs da ist, droht den Minderjährigen immer öfter Armut.

Von Matthias Meisner

Deutschland ist gemessen an der Bevölkerungszahl das kinderärmste Land Europas. Das sagte der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Roderich Egeler, am Mittwoch in Berlin bei der Präsentation von Statistiken zum Thema. Demnach lebten 2010 rund 13,1 Millionen minderjährige Kinder in Deutschland, vor zehn Jahren waren es 2,1 Millionen mehr. Egelers Prognose: Der Trend wird sich verschärfen. Vor zehn Jahren lag der Kinderanteil bei 18,8 Prozent, jetzt bei 16,5 Prozent, 2030 werden es voraussichtlich nur noch 15 Prozent sein.

Nach den Erhebungen gibt es deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. In den neuen Ländern ging die Kinderzahl in den vergangenen zehn Jahren um 29 Prozent zurück, im Westen nur um etwa zehn Prozent. Damit lebten in ostdeutschen Haushalten 2010 rund 2,1 Millionen Minderjährige, 837 000 weniger als im Jahr 2000. Egeler sagte, im Osten habe sich die Zahl der Geburten – sie war nach der Wende dramatisch zurückgegangen – zwar seit Mitte der 90er Jahre stabilisiert, das Niveau von DDR-Zeiten sei jedoch „bei weitem“ nicht wieder erreicht worden. Die Abwanderung von Ost nach West verschärft die Situation zusätzlich.

Auch Familie ist in den neuen Ländern weit seltener als im Westen die „klassische“ Familie: In der alten Bundesrepublik wachsen 79 Prozent der Kinder bei ihren verheirateten Eltern auf, im Osten nur 58 Prozent. Ein wichtiger Grund dafür: Im Osten werden Kinder häufiger außerhalb einer Ehe geboren als in Westdeutschland. 24 Prozent der ostdeutschen Kinder wohnten nach den Erhebungen aus dem vergangenen Jahr bei einem alleinerziehenden Elternteil, im Westen der Republik waren es nur 15 Prozent. Umgekehrt ist der Anteil der Einzelkinder im Osten mit 35 Prozent deutlich höher, in Westdeutschland liegt er bei 24 Prozent. Knapp die Hälfte der unter 18-Jährigen in Deutschland hat ein minderjähriges oder erwachsenes Geschwisterkind, 19 Prozent zwei, acht Prozent sogar drei und mehr Geschwister.

Herausgefunden haben die Statistiker auch, dass Kinder heute länger daheim leben als noch vor Jahren. „Hotel Mama“, wie Egeler es ausdrückte, übt dabei vor allem für die Söhne einen Reiz aus. Mit 25 Jahren lebte 2010 noch rund jede fünfte Frau im elterlichen Haushalt, dagegen 38 Prozent der Söhne. Mit 30 Jahren wohnt noch etwa jeder achte Mann bei den Eltern, bei den Frauen nur noch jede zwanzigste. Mit 40 Jahren dann lebten nur noch vier Prozent der Männer und ein Prozent der Frauen bei den Eltern.

Egeler veröffentlichte auch hohe Werte zur Armutsgefährdung von Kindern: Jedes sechste Kind unter 18 Jahren ist demnach von Armut bedroht – der Anteil ist damit genauso hoch wie bei Erwachsenen. Die Armutsgefahr ist besonders hoch bei den Kindern von Alleinerziehenden: Für ein Drittel von ihnen waren im vergangenen Jahr staatliche Leistungen wie Hartz IV oder Sozialhilfe die Haupteinkommensquelle, während nur bei vier Prozent der Minderjährigen in Paarfamilien beide Elternteile überwiegend von Transferleistungen lebten.

Egeler relativierte, dass „elementarste Bedürfnisse“ von Kindern wie Kleidung, Essen, Spielsachen, Feiern von Festen oder die Pflege von Sozialkontakten „in den allermeisten Fällen“ erfüllt werden könnten. Schwieriger sei es schon bei der jährlichen Urlaubsreise, die sich mehr als jeder fünfte Haushalt mit Kindern nicht mehr leisten kann. Sieben Prozent aller Familien gaben an, Sport oder Musikunterricht für die Kinder nicht finanzieren zu können. Das Deutsche Kinderhilfswerk nahm die Daten zum Anlass, seine Forderung nach einem Programm gegen Kinderarmut zu erneuern.

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