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Roland Jahn

© Mike Wolff

Stasiaktenbeauftragter Roland Jahn im Interview: "Herr Ramelow hat sich bis heute nicht gemeldet"

Roland Jahn war selbst Opfer der SED-Dikatur. Im Interview spricht er über Verletzungen, die jetzt aufbrechen, seit der Linke Bodo Ramelow Thüringen regiert.

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Sie stammen aus  Jena. Hätten Sie sich vor 25 Jahren träumen lassen, dass Ihr Heimatland mal von einem Ministerpräsidenten der Linkspartei regiert wird?

Daran habe ich nicht im Traum gedacht. Aber die Menschen sind damals für freie Wahlen auf die Straße gegangen. Wer in freien Wahlen und von den Abgeordneten zum Ministerpräsidenten gewählt wird, den muss man akzeptieren.

Ist das für Sie demokratische Normalität oder, wie manche sagen, eine Schande?

Es ist insofern demokratische Normalität als dass die Menschen damals nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Peiniger befreit haben. Auch Ex-SED-Genossen sind Teil dieser demokratischen Gesellschaft. Eine ganz andere Frage ist, wer jetzt mit wem politische Bündnisse eingeht.

Hat es Sie enttäuscht, dass sich SPD und Grüne in Thüringen mit der Linken eingelassen haben?

Ich bin immer offen für politische Entwicklungen. Aber ich habe in meiner Funktion natürlich Sorge um die Menschen, die sich verletzt fühlen, wenn jetzt ein linker Ministerpräsident Thüringen regiert. Weil sie in den vergangenen 25 nicht erlebt haben, dass sich die Linkspartei konsequent zu ihrer Verantwortung für das SED-Unrecht bekannt hat. Sie ist nicht auf die Opfer zugegangen.

Bodo Ramelow
Neuer Ministerpräsident in Thüringen: Bodo Ramelow

© Kai Pfaffenbach/Reuters

Aber Ministerpräsident Bodo Ramelow hat gesagt, er wolle versöhnen statt zu spalten. Müsste man da nicht auch von beiden Seiten aufeinander zugehen?

Ich erlebe es immer wieder, dass die Opfer des SED-Regimes bereit sind, auch mit den Verantwortlichen für das damalige Unrecht ins Gespräch zu kommen. Aber da gab es von der Linkspartei in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten zu wenig Angebote. Das Entscheidende ist doch, dass erst einmal Unrecht als Unrecht glaubhaft anerkannt wird und dass man auf die Opfer eingeht, dass man das, was sie erlitten haben, ernst nimmt.

Im Koalitionsvertrag der drei Parteien steht nicht nur das Stichwort „DDR-Unrecht“, sondern es ist auch von allerlei Vorhaben zum Thema Aufarbeitung die Rede. Nehmen Sie das denen ab?

Dass dort anerkannt wurde, die DDR sei ein Unrechtsstaat gewesen, ist eine gute Voraussetzung, jetzt Aufarbeitung weiter voranzutreiben. Ich bin gespannt, was aus Ramelows Gesprächsangebot jetzt wird. Als ich vor zwei Jahren im Erfurter Landtag die Rede zum Jahrestag der Deutschen Einheit gehalten habe, habe ich Herrn Ramelow kennengelernt und ihm ein Treffen vorgeschlagen. Er hat sich bis heute nicht gemeldet. Ich hoffe, es bleibt nicht nur bei einer Ankündigung.

Aber nicht nur in der Linkspartei, auch in anderen Parteien gibt es Vorbehalte gegen den Begriff „Unrechtsstaat“.

Ich denke nicht in Parteikategorien. Alle sind herausgefordert, sich die Frage zu stellen: „Wie habe ich in dem Unrechtsstaat funktioniert?“ Was die Aufarbeitung des Alltags in der Diktatur betrifft, stehen wir noch ziemlich am Anfang.

Ramelow sieht mit seiner Wahl das Ende der DDR-Diktatur eingeläutet. Hat er Recht?

Der Satz geht ja noch weiter: Mit seiner Wahl sei es jetzt besser möglich, über Verantwortung auch seiner Partei in der DDR zu sprechen. Da kann ich nur sagen: Das war schon 25 Jahre lang möglich. Und weil das kaum passiert ist, lehnen so viele Menschen diese Regierung unter Führung eines Ministerpräsidenten der Linken ab.

Deutet nicht die Wahl Ramelows eher darauf hin, dass die Leute mehrheitlich einen Schlussstrich unter das ziehen wollen, was gewesen ist? Dagegen scheint doch aus Wählersicht die Aufarbeitung oder Wiedergutmachung das weitaus nachrangigere Thema zu sein.

Darüber will ich nicht spekulieren. Ich glaube auch, dass die Umfragen in Thüringen etwas anderes sagen. Aber für mich ist entscheidend, dass Aufarbeitung in einer Form stattfindet, in der sich Menschen wieder begegnen können, in der Täter und Opfer von damals wieder miteinander umgehen können. Vergebung kann nicht verordnet werden, den Zeitpunkt bestimmen die Opfer.

Nehmen Sie Bodo Ramelow dafür in die Verantwortung, dass Sie 1983 in Knebelketten aus der DDR ausgebürgert wurden?

Ich nehme ihn nicht dafür in Verantwortung. Aber dafür, dass er es mit seiner Partei verpasst hat, dafür zu sorgen, dass wir in der Aufarbeitung weiter sind. Viele Menschen, die auch in Thüringen jahrelang in Haft gesessen haben, fühlen sich weiterhin verletzt, weil in ihrem Land nun ein Ministerpräsident der Linken regiert. Wir haben dann Normalität, wenn diese Menschen sich durch so eine Wahlentscheidung nicht mehr verletzt fühlen.

Ist Ihr Buch „Wir Angepassten“ ein Versöhnungsangebot?

Roland Jahn
Roland Jahn

© Mike Wolff

Es ist eine Einladung an alle Menschen zum Gespräch darüber, welche Rolle jeder in diesem SED-Staat gespielt hat. Mir geht es darum, nicht mit Schuldvorwürfen in die Diskussion zu gehen, sondern offen zu erzählen, sich zugleich aber der eigenen Verantwortung zu stellen. So wird klarer, wie das ganze System funktioniert hat.

Aber offensichtlich ist doch die Bereitschaft der meisten früheren DDR-Bürger relativ gering entwickelt, diese Einladung anzunehmen, weil sie fürchten, dass ihr eigenes Leben entwertet wird, wenn sie sich aus der Deckung wagen.

Das ist ein Prozess, den ich vorantreiben will. Ich kritisiere an der Linkspartei, dass sie statt Aufarbeitung voranzutreiben, die Gefühle der Menschen vereinnahmt hat, um jede Kritik am System abzuwehren. Deswegen ist es wichtig, die Beschäftigung mit der DDR noch einmal auf eine ganz neue Qualitätsebene zu bringen mit Respekt vor den Menschen, aber konsequent in der sachlichen Auseinandersetzung.

Überraschend ist, dass ein Opfer sagt, auch ich habe mich arrangiert und habe nicht immer Heldenmut gezeigt.

Viele Menschen, die mich darauf ansprechen, sagen, dass sie froh sind, dass mal einer das offensiv bekennt. Sie hätten sich geschämt, über die Situationen zu sprechen, bei denen sie sich eingelassen haben oder versucht haben, zu widersprechen, es aber nicht ganz geschafft haben. Niemand war nur Rebell oder Angepasster. Oft war man beides in einem.

Ist vorstellbar, dass sich die Gesellschaft noch mal einem Staat stellt, der 25 Jahre vorbei ist?

Ich glaube, ja. Eine solche Diskussion zu befördern, dazu will ich einen kleinen Teil beitragen. Ich mache ein Gesprächsangebot, weil ich Respekt vor Menschen habe und meine, dass jeder eine neue Chance bekommen soll, auch wenn er Unrecht zu verantworten hatte. Es ist eine Tatsache, dass alle Menschen, auch die Täter und Mitläufer von damals, heute gemeinsam in unserer Gesellschaft leben. Wir sollten wir nicht aufeinander einhauen, sondern so ins Gespräch kommen, dass am Ende bewusst Verantwortung übernommen wird für das, was geschehen ist. Wie kann ein Stasi-Offizier dahin kommen, einzugestehen, dass er früher Unrecht begangenen hat? Das ist nicht einfach. Deswegen ist es wichtig, dass wir ein Klima dafür schaffen, dass Menschen das können.

Hat die heutige junge Generation Interesse, ihre Eltern und Großeltern zu befragen oder wird der Deckel immer größer, der über der Geschichte liegt?

Gerade weil es Geschehnisse aus einem Land vor ihrer Zeit sind, wollen junge Menschen sich informieren, damit sie ihren Eltern und Großeltern gute Fragen stellen können, auch weil die vielleicht nicht offen reden über die damalige Zeit. Es gibt so viel an Erlebnissen in dieser Diktatur, so viele Eingriffe in das Leben von Menschen, die Nachwirkungen bis in die nächste Generation haben. Was mich bewegt hat, mich mehr in die Rolle meiner angepassten Eltern zu versetzen, waren die privaten Gespräche. Wir haben uns ausgetauscht, auch mit Hilfe der Stasi-Akten und mit gegenseitigem Respekt, ohne Rechthaberei, bis wir verstanden haben, warum der andere in der jeweiligen Situation so gehandelt hat. Ich habe mitbekommen, was es für meinen Vater bedeutet hat, dass er aus dem Fußballclub geworfen wurde, weil sein Sohn zum Staatsfeind erklärt wurde.

Ramelow hat ja gesagt, er wolle versöhnen, statt spalten.

Nachvollziehen, was der andere erlitten hat, darum geht es mir. Da ist die Verbindung zu Ramelow. Sich einlassen auf das, was geschehen ist. Die Repression, aber auch den Alltag. Die Menschen haben doch die DDR nicht jeden Tag als Diktatur wahrgenommen. Sie haben ihr Leben gestaltet, sie haben es sich schön gemacht. Auch in der Diktatur scheint die Sonne, das ist ein Lieblingssatz von mir. Auch ich habe ein schönes Leben gehabt, nicht wegen des Staates, sondern trotz des Staates, trotz der SED. Es ist wichtig, dass wir die Menschen, ob sie in der Partei waren oder nicht, abholen bei ihren Alltagserlebnissen und Respekt zeigen gegenüber ihrer Lebensleistung. Genau hinschauen, vielleicht auch mit Hilfe der Akten, kann uns die Augen öffnen, kann uns helfen zu erkennen, dass das ein System war, in dem es äußerst schwer fiel, sich raus zu ziehen. Verstehen heißt aber nicht, die Menschen aus ihrer Verantwortung zu entlassen.

Die Zahl der Anträge auf Einsicht in die Stasiunterlagen ist zuletzt zurückgegangen. Hat das Mauerfall-Jubiläums-Jahr daran etwas geändert?

Es liegt in der Natur der Sache, dass Antragszahlen nach 25 Jahren zurückgehen. Aber wer hätte gedacht, dass im Jahr 2014 noch jeden Monat mehr als 5000 Menschen in die Akten hineinschauen wollen? Das ist schon erstaunlich. Anträge von Forschung und Medien kommen dann noch dazu. Gerade im Jubiläumsjahr haben viele sehr bewusst dieses Archiv genutzt.

Wer hat denn heute noch Interesse an den Akten?

Etwa ein Drittel sind Wiederholungsanträge, also von Leuten, die zum Beispiel in den 90er Jahren schon einmal einen Antrag gestellt haben. Die wissen, dass wir weiter die Bestände erschließen und Aktenschnipsel zusammensetzen. Die Hoffnung, dass da noch etwas auftaucht, was sie bisher nicht gesehen haben, ist also berechtigt. Darüber hinaus gibt es viele Menschen, die uns erzählen, dass sie jetzt Rentner sind - und Zeit haben, ihr Leben zu sortieren und zu reflektieren. Ganz viele sagen: Unsere Enkelkinder drängen uns zu erzählen und regen an, in die Stasiakten hineinzuschauen. Seit 2012 gibt es verbesserte Möglichkeiten auch in die Akten von Verstorbenen zu schauen. Bei inzwischen etwa jedem siebten Erstantrag geht es um die Einsicht in die Akten von Verstorbenen.

„Pegida“ warnt mit dem Ruf „Wir sind das Volk“. Wie erleben Sie das?

Roland Jahn
Roland Jahn

© Mike Wolff

Das ist die Freiheit, das ist die Demokratie. Meinungsfreiheit gilt nicht nur für die Meinung, die man selber hat, sondern für alle. Es gibt ganz klare Regeln, wer nicht gegen Gesetze verstößt, hat das Recht, seine Meinung zu sagen.

Distanzieren Sie sich trotzdem von den Inhalten?

Als weltoffener Mensch verurteile ich natürlich, was dort für ein ausländerfeindliches Gedankengut verbreitet wird. Deswegen müssen wir uns politisch damit auseinandersetzen - mit allen Möglichkeiten des Rechtsstaats.

"Pegida"-Demonstration in Dresden
"Pegida"-Demonstration in Dresden

© Hannibal Hanschke/Reuters

Sie sind erschrocken über diese Demonstrationen?

Es beunruhigt mich, dass da in Dresden plötzlich zehntausend Leute mit solchen Parolen auf der Straße sind. Das ist ein Signal, dass wir auch heute viel zu tun haben in unserer Gesellschaft. Die DDR-Vergangenheit zeigt, was es für Folgen haben kann, wenn es zu wenig Respekt gibt vor Menschenrechten, vor Selbstbestimmungsrecht und Religionsfreiheit. Es geht heute um Respekt für Menschen, die geflüchtet sind aus Ländern, in denen Menschenrechte mit Füßen getreten werden.

Roland Jahn wurde 1983 als 29-Jähriger gewaltsam aus der DDR ausgebürgert. Er hatte in seiner Heimatstadt Jena den Staat mit provokativen Protesten herausgefordert. Am 28. Januar 2011 wurde Jahn vom Bundestag als Nachfolger von Marianne Birthler zum Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen gewählt. Das Interview führten Matthias Meisner, Gerd Nowakowski und Matthias Schlegel.

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