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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist am Donnerstag mit seiner Frau Emine in Berlin eingetroffen.

© REUTERS/Hannibal Hanschke

Staatsbesuch des türkischen Präsidenten: Was auf die Agenda für Erdogan gehört

Der türkische Präsident Erdogan ist in Berlin eingetroffen und spricht am Freitag mit der Kanzlerin. Worum sollte es dabei gehen? Die vier wichtigsten Punkte.

An diesem Freitag wird der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan in Berlin mit militärischen Ehren empfangen, dann stehen Gespräche mit dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerin Angela Merkel auf dem Programm (siehe Kasten). Der Gast sprach sich bereits vor seiner Ankunft dafür aus, „in den bilateralen Beziehungen eine neue Seite“ aufzuschlagen. Diese vier Themen sollten auf der Tagesordnung stehen. Was Experten fordern:

1. Inhaftierte Deutsche

Der Journalist Deniz Yücel, der ein Jahr in einem türkischen Gefängnis saß, ist mittlerweile wieder frei. Doch noch immer sind in der Türkei fünf Deutsche aus politischen Gründen in Haft. Einer von ihnen ist der 73-jährige Enver Altayli, der seit mehr als einem Jahr ohne Anklage in Einzelhaft sitzt und nach Angaben seiner Familie krank ist. Andere deutsche Staatsbürger sind zwar nicht mehr hinter Gittern, aber auch nicht wirklich frei, weil sie die Türkei vorerst nicht verlassen dürfen. Von dieser Ausreisesperre ist beispielsweise auch ein Mann betroffen, der in der vergangenen Woche nach einem Gerichtsurteil freigelassen wurde, aber jetzt noch sein Berufungsverfahren abwarten muss.

Selbst in EU-Staaten sind deutsche Staatsbürger nicht sicher vor einer Verfolgung durch die Türkei: Anfang September wurde in Bulgarien ein Deutscher festgenommen und unter Hausarrest gestellt, weil ihm die Türkei eine Tätigkeit in der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK vorwirft. Der SPD-Abgeordnete Frank Schwabe forderte in einer Bundestagsdebatte zur Türkei, Mehmet Y. müsse sofort nach Deutschland zurückkönnen.

2. Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte

Vor der Ankunft Erdogans appellierten Menschenrechtler an Merkel und Steinmeier, nicht nur die Fälle der inhaftierten Deutschen anzusprechen. Sie sollten die „klare Botschaft vermitteln, dass auch das Schicksal der vielen Bürger in der Türkei wichtig ist, die willkürlich und wegen politisch motivierter Anschuldigungen inhaftiert sind“, forderte Hugh Williamson, Europadirektor von Human Rights Watch. Als Beispiel nannte er den Fall des Schriftstellers Ahmet Altan, der wegen angeblicher Unterstützung des Putschversuches in der Türkei zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Gerade ist auf Deutsch Altans neues Buch mit Texten aus dem Gefängnis erschienen – unter dem Titel „Ich werde die Welt nie wiedersehen“.

Nach dem Umsturzversuch in Ankara im Sommer 2016 war die türkische Führung massiv gegen Personen vorgegangen, die sie dafür verantwortlich macht. Zehntausende wurden festgenommen, etwa 150.000 Staatsbedienstete verloren ihre Arbeit. Mehr als 100 Journalisten sitzen nach Angaben von Reporter ohne Grenzen in der Türkei hinter Gittern.

Im Bundestag kritisierten am Donnerstag sowohl Vertreter der Regierungsparteien als auch Oppositionspolitiker die Menschenrechtslage in der Türkei mit deutlichen Worten. Die Türkei habe sich „zunehmend in Richtung eines autoritären Regierungs- und Staatsmodells entwickelt“, sagte der CDU-Abgeordnete Andreas Nick. Zugleich kritisierte er die Inhaftierung von Oppositionspolitikern in der Türkei: „Parlamentarier gehören ins Parlament und nicht ins Gefängnis.“ Die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen betonte, eine Normalisierung im Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei dürfe es erst geben, „wenn sich die Verhältnisse auch in der Türkei normalisieren“. Der SPD-Abgeordnete Schwabe wandte sich in der Debatte direkt an den Staatsgast: „Herr Präsident Erdogan, wenn Sie eine Entspannung des Verhältnisses wollen, dann achten Sie die Regeln der Demokratie, des Rechtsstaates und der Menschenrechte.“

3. Spionage

Das Verhältnis zwischen Berlin und Ankara ist außerdem belastet durch Berichte über Versuche der türkischen Behörden, ihre Gegner auch in Deutschland auszuspähen. Nach Tagesspiegel-Recherchen wird gegen einen Berliner Polizisten ermittelt, der Informationen über im deutschen Exil lebende Oppositionelle an den türkischen Geheimdienst weitergegeben haben soll. Zuvor war bekannt geworden, dass die türkische Polizei eine App entwickelt hat, mit der auf der ganzen Welt Personen gemeldet werden sollen, die den Staatspräsidenten oder die Regierung in Ankara beleidigen. Erdogan säe in Deutschland „das schleichende Gift der Angst“, sagte der Grünen-Abgeordnete Cem Özdemir. „Wer als Gastgeschenk auf dem Weg nach Deutschland eine App freischalten lässt, in der man Andersdenkende denunziert und in der Türkei ans Messer liefert, der kommt nicht mit guten Absichten.“

Bereits in der Vergangenheit war der von der Türkei kontrollierte Moscheeverband Ditib in die Kritik geraten, weil Imame Gemeindemitglieder ausgespäht haben sollen. Kurz vor dem Erdogan-Besuch wurde bekannt, dass der Verfassungsschutz derzeit prüft, ob Ditib beobachtet werden soll.

Unmittelbar vor seiner Ankunft in Deutschland warf Erdogan seinen Gastgebern vor, nicht genug gegen Anhänger der PKK sowie des Predigers Fethullah Gülen vorzugehen, den die türkische Führung für den Drahtzieher des Putschversuches hält. „Entschiedene Schritte unserer deutschen Freunde gegen Institutionen, Organisationen und Mitglieder“ der Gülen-Bewegung würden „zu einem Wohlgefallen des türkischen Volkes führen“, schrieb Erdogan in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.

4. Wirtschaftslage

Einer der wichtigsten Gründe, warum Erdogan derzeit eine Annäherung an Europa und insbesondere an Deutschland sucht, ist die schwere Wirtschaftskrise in der Türkei. Die Inflation droht außer Kontrolle zu geraten, die Landeswährung Lira verlor in diesem Jahr bereits etwa 40 Prozent an Wert.

Zur Vorbereitung des Besuchs schickte Erdogan in der vergangenen Woche seinen Finanzminister, seinen Energieminister und seine Handelsministerin nach Berlin. Erdogans Schwiegersohn, der Finanzminister Berat Albayrat, hatte vorgeschlagen, die Zollunion der EU mit der Türkei auszuweiten. Doch die deutschen Gesprächspartner verwiesen in dieser Frage auf die Zuständigkeit Brüssels. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) betonte nach dem Gespräch mit den Gästen aus Ankara, deutsche Finanzhilfen für die Türkei seien kein Thema.

Bereits vier Wochen nach dem Erdogan-Besuch will Bundeswirtschaftsminister Altmaier mit einer großen Delegation von Unternehmensvertretern in die Türkei reisen. Beide Staaten wollen die Wirtschaftsbeziehungen weiter ausbauen. Zumindest in diesem Punkt scheint Einigkeit zwischen den Regierungen in Berlin und Ankara zu bestehen.

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