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Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir (links) trifft beim Staatsbankett den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Staatsbankett mit Erdogan: Cem Özdemir: "Geben Sie Gedankenfreiheit!"

Der Grüne bringt Erdogan ein Schillerzitat mit. Von der Bundesregierung fordert er, notfalls für die Türkei unbequeme Konsequenzen zu ziehen. Ein Interview.

Herr Özdemir, wie war’s beim Staatsbankett mit dem türkischen Präsidenten Erdogan?

Ich fand es sehr gut, dass unser Bundespräsident die unangenehmen Themen nicht ausgespart, sondern in aller gebotenen Deutlichkeit angesprochen hat. Man konnte ja an der Reaktion des Gastes aus der Türkei sehen, dass er darüber nicht amüsiert war.

Was haben Sie zu Erdogan gesagt, als Sie ihm die Hand gaben?

Auf meinem Sticker stand in türkischer Sprache: „Geben Sie Gedankenfreiheit“, in Anlehnung an meinen berühmten schwäbischen Landsmann Friedrich Schiller in dessen Drama „Don Carlos“. Insofern kann Erdogan jetzt sagen, er hat Schiller gelesen. Ich habe gesagt, dass es viel zu besprechen gibt und dass ich hoffe, dass wir dazu die Gelegenheit finden. Und weil ich ihn schon lange kenne, seit seiner Zeit als Oberbürgermeister und Parteivorsitzender, habe ich ihm auch gesagt, dass von dem früheren Erdogan nichts mehr übrig ist.

Gab es später noch eine Gelegenheit zum Gespräch?

Nein, er ist sofort abgereist. Ich glaube, dass er sich den Verlauf des Abends anders vorgestellt hat.

Wie haben Sie seine Rede erlebt?

Ich habe in deutschen Medien gelesen, das sei ein extremer Auftritt gewesen. Aber wer Erdogan kennt, weiß, dass bei ihm auf der Empörungsskala durchaus noch Platz nach oben gewesen ist. Die Menschen in der Türkei kennen ihn weitaus extremer. Das war die klassische Rede eines autoritären Herrschers, völlig frei von jeder Selbstkritik. Erdogan spricht nur in den Kategorien von Macht und Stärke. Deshalb kommen wir in der Türkeipolitik mit dem klassischen Instrumentenkasten der Bundesregierung an die Grenzen. Wir müssen den Instrumentenkasten der Diplomatie ganz ausschöpfen.

Was heißt das konkret?

Mit dem Staatsbesuch hat Erdogan genau die Bilder bekommen, die er wollte. Nun bin ich sehr gespannt auf die Gegenleistung. Denn in der Diplomatie kann nichts ohne Gegenleistung sein. Neben der Freilassung der deutschen Geiseln, die ich für eine Selbstverständlichkeit halte, muss es weitere Signale geben, dass also prominente politische Gefangene in der Türkei freigelassen werden, dass beispielsweise die Frau von Can Dündar ausreisen darf und der Mann von Mesale Tolu. Die Bemühungen Erdogans, auch in Deutschland sein Angstregime auszuweiten, durch die Gleichschaltung der Moscheen, durch Osmanen-Schlägertrupps, durch eine Spionage-App - das alles muss vollständig aufhören. Falls das nicht passiert, ist klar, dass der bisherige Weg der deutschen Diplomatie nicht funktioniert hat und ein anderer Weg der bessere ist.

Welcher Weg wäre das?

Wenn die Türkei eine völlig absurde Terrorliste übergibt, sollten wir die Liste zurückschicken und Ankara auffordern, sie zurückzunehmen. Wir müssen deutlich machen, dass es andernfalls Konsequenzen gibt und die Hermes-Bürgschaften eingeschränkt werden. Berlin hat das einmal gemacht und diese Bürgschaften nur symbolisch eingeschränkt. Ankara hat innerhalb von 24 Stunden die Liste eingestampft. Auf diesem Ohr hört Erdogan. Aber offensichtlich hat die Bundesregierung Angst davor, dieses Instrument zum Einsatz zu bringen.

In der Pressekonferenz im Kanzleramt wurde ein türkischer Fotograf abgeführt, weil er ein T-Shirt mit der Forderung nach Freilassung der in der Türkei inhaftierten Journalisten trug. Haben die deutschen Sicherheitskräfte richtig reagiert?

Ich habe mir den Kodex erklären lassen, dass in diesen Pressekonferenzen kein Journalist ein T-Shirt mit einem politischen Slogan tragen darf. Aber man muss sich natürlich auch die Wirkung dieser Bilder in der Türkei vorstellen. Ich bezweifele, dass das allen zu jedem Zeitpunkt bewusst war.

Cem Özdemir ist Bundestagsabgeordneter und ehemaliger Parteichef der Grünen.

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