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Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Pressekonferenz.

© imago images/Bernd Elmenthaler

Staatliche Transparenz: Auf manche Fragen muss es eine Antwort geben

Die Koalition will der Presse mehr Rechte für investigative Recherchen bei Behörden verschaffen. Aber will die Regierung das auch? Ein Kommentar

„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Medien.“ Dieser viel zitierte Satz des Bielefelder Großsoziologen Niklas Luhmann unterschlägt, dass Weltwissen auch von Mensch zu Mensch weitergegeben werden kann. Zudem hatte Luhmann kaum das Internet vor Augen, als er dies schrieb. Dennoch beschreibt der Satz eine Wirklichkeit, die heute wohl mehr denn je zur Grundlage für Entscheidungen im Gemeinwesen gemacht wird, also für Politik: Die Realität der Massenmedien.

Sie sollen darstellen, erklären und kontrollieren, was Mächtige tun. So zumindest lautet die verfassungsrechtlich erwünschte und gesetzlich unterlegte Aufgabe für jenen Teil, der sich dem Journalismus verschrieben hat. Zwei Jahrzehnte Internet samt sozialen Netzwerkbetriebs haben erwiesen, dass Presse und Rundfunk ihre Funktion weder verloren haben noch andere Akteure sie ersetzen können. Einflussverlusten als „Gatekeeper“ oder „Agenda-Setter“, die einst bestimmen konnten, welche Themen die Öffentlichkeit erreichten und welche nicht, steht eine an Gewicht gewinnende Garantenfunktion für Auswahl, Glaubwürdigkeit und Relevanz von Informationen gegenüber. Google recherchiert nicht und prüft nicht, was wahr und wichtig ist. Google gewichtet nicht und begründet nicht, was dargestellt wird. Das können nur Menschen. So bestimmen klassische Medien weiterhin maßgeblich mit, was politisch verhandelt wird.

Wirkung hätte das Gesetz für alle Bundesbehörden, vom Verfassungsschutz bis zum Rechnungshof

Dies vorausgeschickt, wird möglicherweise deutlich, weshalb ein knapper Satz des Koalitionsvertrags Beachtung verdient: „Wir schaffen eine gesetzliche Grundlage für den Auskunftsanspruch der Presse gegenüber Bundesbehörden.“ Die gibt es bisher nicht. Es handelt sich dabei keineswegs um ein Branchen- oder Insiderthema. Da mit dem Vorhaben auch Behörden wie die Bundesministerien und das Kanzleramt einbezogen sind, kann ermessen werden, was dieses Gesetz für die Transparenz der Exekutive bedeuten könnte. Das Parlament wird hier entscheiden, inwieweit sich die Regierenden künftig bei der Arbeit in die Karten gucken lassen sollen.

Wirkung hätte ein solches Gesetz für alle Bundesbehörden, vom Verfassungsschutz bis zum Rechnungshof. Es führt zum Kern dessen, was ein Presse-Auskunftsanspruch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts leisten soll: Den Bürgerinnen und Bürgern amtliche Informationen zu beschaffen, die für ihre abgewogene Meinungsbildung bedeutsam sind, die ihnen ohne dieses förmliche Rechercherecht aber verborgen bleiben würden.

Defizite oder eigene Fehler und Versäumnisse kommen selten zur Sprache

Zwar betreiben die meisten wichtigen Behörden eine umfassende Öffentlichkeitarbeit. Es liegt aber in der Natur der Sache, dass Defizite oder eigene Fehler und Versäumnisse dabei selten zur Sprache kommen. Wer nach Fakten fragt, die im Fall ihrer Publikation Kritik erwarten lassen, bekommt oft Ausweichendes als Antwort; Verweise auf bekannte Reden oder stattgefundene Pressekonferenzen, Ausreden wie „dazu führen wir keine Statistik“ oder „zum Schutz laufender Verfahren können wir uns nicht äußern“. Gegen solche Mauern anzurennen, gehört zum Alltag des investigativen Journalismus in Deutschland.

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Das Versprechen, die journalistischen Auskunftsrechte zu stärken, hatte es zwar schon in den letzten Koalitionsvertrag von Union und SPD geschafft. Es ist aber leer geblieben. Die Union, die sich mit dem Kanzleramt historisch verwachsen sieht, hatte nicht das geringste Interesse daran. Transparenz schafft Unruhe, lautet hier die Überzeugung vieler. Die Diskussionen in Fraktion und Parteigremien rangierten in der Wertschätzung stets höher als die öffentliche.

In der Opposition hat man leicht reden

Spannend dürfte jetzt werden, wie sich die Ampelpartner positionieren. Von allen drei kamen in der vergangenen Legislaturperiode Vorschläge und Entwürfe, die hoffen ließen. So wollte die SPD-Fraktion Journalistinnen und Journalisten einen Direktzugang zu amtlichen Dokumenten erschließen; Grüne und FDP hatten sich stark gemacht, Presserechtsverfahren vor Gericht zu beschleunigen; SPD und FDP traten dafür ein, die Informationsrechte auf den Bundestag zu erstrecken, was etwa beim Aufklären der Unions-Maskenaffäre äußerst förderlich gewesen wäre; Grüne und SPD verlangten, Gleichheitsaspekte zu betonen, um auszuschließen, dass Ministerien oder einzelne wichtige Amtsträger politisch gewogenen Journalisten Informationen zuspielen, die sie kritischen anderen vorenthalten.

Das Bundeskanzleramt ist Sitz des Kanzlers und Treffpunkt aller Regierungsmitglieder.
Das Bundeskanzleramt ist Sitz des Kanzlers und Treffpunkt aller Regierungsmitglieder.

© imago images/photothek

Was bleibt davon übrig? In der Opposition hat man leicht reden. Und es stimmt auch, womit sich die Union verteidigt hat: Medien sind nicht rechtlos. Das Bundesverwaltungsgericht hat ihnen einen aus dem Grundgesetz abgeleiteten Auskunftsanspruch zugestanden, in den Ländern gibt es dafür die Pressegesetze. In der Praxis zeigt sich aber, dass die Ansprüche zu unbestimmt sind, dass sie unbegründet zurückgewiesen werden und erst die Justiz eingreifen muss, damit Fakten freigegeben werden. Auch der Tagesspiegel ist mit gerichtlichen Klagen daran beteiligt.

Nötig und überfällig ist jetzt ein Entwurf, der die genannten Forderungen zusammenfasst. Informationen ermöglichen öffentliche Kritik, und Kritik gehört zum demokratischen Konzept. Wer sie zulässt, schafft Vertrauen. Am neuen Presse-Auskunftsrecht wird man erkennen können, ob die Koalition hier wirklich den Fortschritt will, den sie in ihrem Programm versprochen hat.

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