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Die Schuldenuhr am Gebäude des Bundes der Steuerzahler in Mitte zeigte bereits im Februar 2021 einen neuen Höchststand an. Weltweits sieht es teilweise noch schlimmer aus.

© picture alliance/dpa

Staatliche Schulden weltweit auf Rekordhöhe: Schluss mit der Politik auf Pump

Die nächste Krise ist schon da - damit es nicht zur Katastrophe kommt, müssen Haushalte wieder solider werden. Ein Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Günther H. Oettinger

Günther H. Oettinger ist Präsident von United Europa e.V. Er war Ministerpräsident von Baden-Württemberg und EU-Kommissar für Energie, digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Haushalt und Personal.

Weltweit sind seit Beginn der Corona-Pandemie finanzielle Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von Wirtschaft und Beschäftigung vor allem durch staatliche Schuldenaufnahme finanziert worden. Man kann nur hoffen, dass sich der Trend mit dem Abflauen der Omikron-Variante umkehrt. Die Ausweitung der öffentlichen Verschuldung ist diesmal zwar genauso vertretbar wie sie es 2008/09 war. Damals ging es darum, die Folgen der Weltfinanzkrise in den Griff zu bekommen. Inzwischen hat die Staatsverschuldung aber weltweit Spitzenwerte erreicht. Das gilt auch für den privaten Sektor, was die Sache nicht besser macht.

Könnte man davon ausgehen,  dass die Welt in den nächsten Jahrzehnten beispielsweise von Immobilienblasen und neuen Pandemien verschont bliebe, gäbe es keinen Grund zur Sorge.  Die Schuldenberge würden abgetragen.

Doch diese Annahme wäre naiv. Wahrscheinlicher ist, dass noch während beziehungsweise nach der Corona-Pandemie die nächste Krise kommt – etwa Russlands bereits gestarteter Überfall auf die Ukraine samt drohender Flüchtlingswelle, crashende Immobilienmärkte, zugespitzte globale Handelskonflikte oder gefährlichere  Virusvarianten. Die nächste weltweite Krise dürfte nicht fern sein.

Die USA und China sind die größten Schuldenmacher

Sind wir darauf haushaltspolitisch vorbereitet? Oder läuft die Welt in eine Schuldenfalle? Klar ist: Die globalen Verbindlichkeiten sind so stark gestiegen wie noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Das zeigen die Zahlen des Internationalen Währungsfonds: Allein 2020, dem ersten Krisenjahr der Corona-Pandemie, erhöhten sich die weltweiten Schulden um 28 Billionen auf 226 Billionen Dollar. Die größten Schuldenmacher sind dabei nicht  Schwellen- und Entwicklungsländer, sondern die dominierenden Volkswirtschaften – allen voran die USA, China und Japan.

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In Europa treten als Defizitkönige Länder auf, die schon zuvor hoch verschuldet waren: Italien, Spanien, Portugal, Belgien und Frankreich. Seit einigen Jahren schon und verstärkt seit Beginn der Pandemie erzeugt die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrer Niedrigstzinspolitik und den massiven Käufen von Staatsanleihen die Illusion, steigende öffentliche Ausgaben ohne Strukturreformen langfristig risikolos finanzieren zu können.

Darüber hinaus spiegelt sich die finanzwirtschaftliche Entwicklung Europas  mannigfaltig auf der Welt wider.  Deshalb stellt sich in aller Dringlichkeit die Frage: Wohin steuert die Haushaltspolitik mit Blick auf künftige Herausforderungen? Gibt es überhaupt noch ein Verständnis für Schuldentragfähigkeit?

Nach den Kriterien des Maastricht-Vertrags müssen die Mitglieder der Eurozone ihre Staatsverschuldung in „normalen“ Zeiten auf maximal 60 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandprodukts (BIP) beschränken. Die Realität sieht freilich anders aus. Inzwischen plädiert etwa der Chef des Europäischen Stabilitätsmechanismus, Klaus Regling, dafür, die Grenze auf 100 Prozent des BIP zu erhöhen. Die haben wir im Durchschnitt der Euroländer bereits  jetzt erreicht. Deshalb dürfte es immer waghalsiger werden, künftigen Gefahren mit einer „Politik auf Pump“ zu begegnen. 100 Prozent als neue Schuldengrenze? Solange die Zinsen auf einem historischen Tiefstand bleiben, erscheint selbst das vertretbar. Doch bald dürfte die Zeit kommen, in der Zinsen wieder vom Markt geprägt werden.

Unsere Kinder können keine Schulden mehr aufnehmen

Wir müssen die Fragen von Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit mit einer moralischen Schuldentragfähigkeit verbinden: Wo bleiben die Spielräume für unsere Kinder, eigene Schulden aufzunehmen? Haben künftige Generationen kein „Schuldenrecht“ mehr? Schließlich ist es so, dass Rentenzahlungen und Gesundheitsleistungen angesichts der Überalterung vieler Gesellschaften steigende Staatsleistungen erfordern werden. Mit Taschenspielertricks – etwa das europäische Förderprogramm Next Generation EU nicht in die Verschuldungs-Statistik aufzunehmen – werden wir jedenfalls nicht weiterkommen.

Noch ist die Pandemie nicht vorbei, noch ist die Wirtschaft erst auf Erholungskurs. Aber schon stehen nicht nur milliardenschwere Klimaschutzpakete auf der Agenda – jetzt  kommt auch noch die Inflation hinzu. Viel spricht dafür, dass die Geldentwertung uns länger treffen und nachhaltige Schäden verursachen wird.

Nach den klassischen Regeln der Ökonomie müssen die Notenbanken  gegensteuern, also vor allem den Ankauf von Staatsanleihen beenden und eine behutsame Zinswende einleiten, nachdem die US-Notenbank Fed und die EZB jahrelang die Märkte mit billigem Geld geflutet haben. Eine harte Zinswende würde Schockwellen in der Wirtschaft auslösen, die vielerorts noch längst nicht wieder das Vor-Pandemie-Niveau erreicht hat. Die Notenbanken können die Inflation aber auch nicht einfach laufen lassen, weil sonst gewaltige gesellschaftliche Verwerfungen drohen.

Fed-Chef Jerome Powell hat bereits signalisiert, dass die US-Notenbank in diesem Jahr mehrmals die Leitzinsen erhöhen wird. EZB-Präsidentin Christine Lagarde, die viel zu lange die inflationäre Entwicklung als nur „vorübergehend“ heruntergespielt hat, dürfte ebenfalls zu einer zumindest leichten Kurskorrektur gezwungen werden – schon damit nicht zu viel Kapital aus der Eurozone in die USA abfließt.

Klare Sanktionen bei Verstößen gegen Schuldengrenzen

Vor dem Hintergrund tendenziell steigender Zinsen gilt umso mehr: Weltweit muss in den nächsten Jahren der Schuldenanstieg gestoppt und mit der Tilgung von Verbindlichkeiten  begonnen werden. Schon im Sinne der Generationengerechtigkeit gilt es, wieder den Weg zu einer geordneten Haushaltspolitik zu beschreiten. Es mag sein, dass als Ausgangspunkt realistischere Schuldengrenzen als bisher geboten sind. Mit höheren Grenzen müssen diesmal aber auch, anders als bisher in der Eurozone, klare finanzielle Sanktionen bei Verstößen gegen die Obergrenze verbunden sein.

Außerdem muss jeder Staat, der sich übermäßig verschuldet und dennoch finanzielle Solidarität beansprucht, Beratung, Begleitung und Kontrolle akzeptieren. Weltweit ist das die Verantwortung des Internationalen Währungsfonds (IWF). In der Eurozone war die „Troika“ aus  IWF, EZB und EU-Kommission zwar unbeliebt, hat aber gute Arbeit geleistet.

Immer mehr zeichnet sich ab, dass die Entwicklung darauf hinausläuft, geringer verschuldete Länder in „Haftung“ für höher verschuldete Länder zu nehmen. Auch Schuldenschnitte und die Auslagerung von Staatsschulden in „Bad Banks“ erscheinen wieder möglich.  

Dabei ist solide Haushaltspolitik alles andere als ein Selbstzweck. Im geopolitischen Kampf der Systeme sind finanzielle Spielräume die Grundlage für künftige Handlungs- und Wettbewerbsfähigkeit. Man darf gespannt  sein auf den EU-Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs am 10. und 11. März in Brüssel: Unter Frankreichs Vorsitz soll über ein neues europäisches Wachstums- und Investitionsmodell beraten werden. Geht es dabei um ein wettbewerbsfähiges und finanziell solides Europa, kann der Gipfel wegweisend für die Zukunft sein – und Impulse für eine weltweite Schuldenbremse setzen. Werden hingegen weitere Verschuldungsspielräume eröffnet, gehen wir einer düsteren Zukunft entgegen.   

Günther H. Oettinger

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