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So sieht Komplexität aus. In der Berliner Netzleitstelle.

© imago images/Bernd Friedel

Staat oder Unternehmertum: Die unbewegliche öffentliche Hand

Nach dem Vorbild von Hamburgs Fernwärmenetz will die Stadt Berlin ihr Stromnetz von Vattenfall zurückkaufen. Was halst sie sich damit auf? Ein Gastbeitrag.

Oliver Rottmann ist Geschäftsführender Vorstand des Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e.V. (KOWID) an der Universität Leipzig.

Seit vielen Jahren wird darüber diskutiert, ob sich Infrastrukturleistungen besser und effizienter durch den Staat oder im Wettbewerb durch private Unternehmen erbringen lassen. Einfluss auf Steuerungsprozesse, Einnahmengenerierung oder der Klimaschutz bilden dabei zentrale Ziele.

Die Corona-Pandemie hat die Auseinandersetzung um die optimale Ausgestaltung öffentlicher Leistungen im Rahmen der Daseinsvorsorge für die Bürger nochmals intensiviert.

Die Plädoyers fallen dabei meist zugunsten eines stärkeren öffentliches Engagements aus. Der Wettbewerb zwischen öffentlicher und privater Durchführung um die beste Leistung, wie ihn auch das europäische Recht fordert, wird selten favorisiert. Dafür gibt es in vieler Hinsicht wenig Gründe.

Ein höheres Maß an staatlichem Engagement ist zwar in Bereichen wie dem Gesundheitssektor sinnvoll, wenn es etwa um die Bevorratung von Medikamenten geht. In den meisten Bereichen lässt sich die Daseinsvorsorge allerdings wettbewerblich effizienter regeln. Das gilt auch für die Energieversorgung.

Nach Hamburg, das sein Fernwärmenetz von Vattenfall zurückkaufte, plant nun auch Berlin, sein Stromnetz wieder in die öffentliche Hand zu geben – angeregt vom Verkaufswunsch des Eigentümers Vattenfall, der das Netz nach jahrelangem Rechtsstreit mit der Stadt Berlin entnervt veräußern möchte.

Netzkäufe sind jedoch eine technisch komplexe und finanziell anspruchsvolle Herausforderung, da es über den Netzzustand, der im Vorfeld der Transaktion zu bewerten ist, hohe Informationsasymmetrien und Unsicherheiten gibt. Eine Fehleinschätzung der Wartungsintensität kann zu ungeplanten Folgeinvestitionen führen. Mit Blick auf die angespannte Haushaltslage des Landes Berlin stellt sich die Frage, warum ein Investment dieser Größenordnung gerade jetzt sinnvoll sein soll.

Berlin weist einen Schuldenstand von über 50 Milliarden Euro aus, die Pro-Kopf-Verschuldung des Landes ist eine der höchsten Deutschlands. Die mit dem Rückkauf des städtischen Stromnetzes verbundene Investitionen zwischen einer und drei Milliarden Euro vergrößern den Schuldenberg Berlins weiter. Diesen Ausgaben stehen in den Folgejahren allerdings nur Einnahmen aus regulierten Entgelten gegenüber.

Warum also forcieren Länder und Kommunen dennoch immer wieder Energienetzübernahmen? Grundsätzlich sind mit einer Rekommunalisierung drei Ziele verbunden: Das erste Ziel umfasst den Steuerungseinfluss der Kommune oder des Landes, der, so wird argumentiert, bei einer Infrastruktur in privater Hand nicht vorhanden sei. Ohne Steuerung sei es schwer, für den Bürger eine bessere oder gar auch günstigere Leistung zu erbringen. Aber sind private Dienstleister per se teurer und schlechter als öffentliche?

Beim Strombezug herrscht Wettbewerb, jeder Endverbraucher kann seinen Lieferanten frei wählen. Qualitativ unterscheidet sich Strom nicht. Strom ist ein homogenes Gut, egal ob er gelb, grün oder schwarz erzeugt wird. Zudem ist die Bereitstellung der Leistung selbst kaum gefährdet: Stromausfälle sind in Deutschland im europäischen Vergleich äußerst selten, was für eine grundsätzlich flächendeckend reibungslose Versorgung spricht.

Ein zweites Ziel bildet die Erschließung weiterer Einnahmequellen der öffentlichen Gebietskörperschaft. Stromnetze sind natürliche Monopole, gesellschaftsrechtlich von Wettbewerbsbereichen getrennt und gesetzlich reguliert. Um einen angemessenen Gewinn zu erwirtschaften, muss das Netz effizient bewirtschaftet werden. Dies gilt gleichermaßen für öffentliche und privatrechtliche Eigentümer. Hieraus lässt sich kein Vorteil der öffentlichen Erbringung ableiten.

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Das dritte Ziel ist ökologischer Natur. Rekommunalisierungsbefürworter argumentieren häufig mit einer besseren Steuerung des Klimaschutzes. Diese Diskussion ist jedoch in der Erzeugung zu führen. Bezogen auf die Stromverteilung in einer flächenseitig limitierten Stadt entfaltet sie nur wenig Wirkung. Nicht zuletzt durch die Pflicht des diskriminierungsfreien Netzzugangs Dritter (Durchleitung) bleibt für Berlin der Gestaltungsspielraum begrenzt.

Letztendlich stellt sich die Frage nach einer weiteren Verschuldung des fiskalisch angespannten Landes, für kaum eine Steuerungsoption, für wenig klimapolitisches Potenzial und einer regulierten Rendite. Berlin sollte davon Abstand nehmen und sich stattdessen anderen, für Berlin viel notwendigeren Daseinsvorsorgebereichen, wie der Digitalisierung oder dem sozialen Wohnungsbau zuwenden, statt mit einem Mietendeckel private Investitionen zu behindern. Dies wäre eine gute Daseinsvorsorge.

Oliver Rottmann

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