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Zusammengeklappte Stühle vor einer Berliner Kneipe.

© Annette Riedl/dpa

Sperrstunden und Beherbergungsverbote: Verletzen die neuen Corona-Maßnahmen die Grundrechte?

Hoteliers müssen mit Stornierungen leben, in Berlin ruft die Sperrstunde. Alles tiefe Eingriffe in die Rechte der Betroffenen. Können sie dagegen vorgehen?

Bundesweit werden die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus wieder verschärft. Immer mehr deutsche Städte werden zu Corona-Hotspots und erlassen neue Regeln zum Eingrenzen der Pandemie.

Die Kritik daran nimmt zu und wird wegen der Herbstferien besonders laut. Urlauber und Gastwirte müssen mit Stornierungen leben, in Berlin ruft die nächtliche Sperrstunde Wut hervor. Im Ergebnis sind dies tiefe Eingriffe in die Rechte der Betroffenen. Erste Klagen gibt es schon, bundesweit werden weitere erwartet. Möglich, dass die Justiz die Politik dazu zwingt, allzu rigide Maßnahmen zu korrigieren.

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Wie können Betroffene gegen Maßnahmen vorgehen?

Die Verordnungen zum Infektionsschutz und die auf ihrer Grundlage erlassenen Verfügungen sind hoheitliche Maßnahmen. Sie unterliegen also der Kontrolle durch Verwaltungsgerichte. Bürger können sich gegen diese Maßnahmen wehren, wenn sie dadurch in ihren Rechten verletzt werden.

Im Falle der Corona-Regeln stehen Grundrechte im Fokus: Staatliche Anordnungen können etwa die allgemeine Handlungsfreiheit betreffen, wie sie von Artikel 2 des Grundgesetzes umfasst wird. Für Hotellerie, Gaststätten und Gewerbetreibende kommen die Grundrechte aus Artikel 12, die Berufsfreiheit, oder Artikel 14, die Eigentumsgarantie, in Betracht.

Gemessen werden Eingriffe oft auch an Artikel 3, dem Gleichbehandlungsgebot. Eine erhebliche Rolle hat in den Diskussionen auch Artikel 8 gespielt, der die Versammlungsfreiheit und damit das Demonstrationsrecht garantiert. Kontaktbeschränkungen und das Verbot größerer Menschenansammlungen können auch in die Freiheit der Religionsausübung einwirken, Artikel 4.

Werden die Grundrechte durch die derzeit laufenden Maßnahmen verletzt?

Das prüfen jetzt die Gerichte – soweit ihnen Klagen dazu vorgelegt werden. Aber nicht jeder Eingriff in ein Grundrecht ist auch eine Verletzung. Die Beeinträchtigung eines Grundrechts kann gerechtfertigt sein, wenn sie durch die Geltung anderer Rechte aufgewogen oder durch andere Gesetze zulässig eingeschränkt wird.

Über allem schwebt immer das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Es besagt, dass staatliche Eingriffe nicht außer Verhältnis zum angestrebten erreichbaren Ziel stehen dürfen. Behörden sollen also nicht härter durchgreifen als unbedingt erforderlich.

Was genau prüfen die Gerichte?

Grundsätzlich müssen die Gerichte einschätzen, ob auch andere geeignete Mittel zur Verfügung stehen, mit denen den Gefahren der Pandemie ebenso begegnet werden kann. Erst wenn das verneint wird, kommt der eigentliche Schwerpunkt der Prüfung, die „Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne“. Jetzt werden beeinträchtigte Rechte mit den Rechten abgewogen, die mit den angestrebten Maßnahmen geschützt werden sollen.

Oft übersehen wird in der öffentlichen Diskussion, dass Staat und Bürger hier nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten. Prinzipiell sind Grundrechte zwar Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe. Aber der Staat ist auch in der Pflicht, Grundrechte zu schützen. Dazu gehört die Gesundheit des Einzelnen. „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“, bestimmt Artikel 2 GG.

Warum entscheidet die Exekutive über die Maßnahmen – und nicht das Parlament?

Tatsächlich zeigt diese Frage auf ein Grundproblem der juristischen Corona-Diskussion. Die Rechtsverordnungen in den Ländern werden auf einer allgemeinen Grundlage des im Frühjahr novellierten Infektionsschutzgesetzes erlassen. Kritiker wenden ein, dass diese Befugnis mit den kleinteiligen und weitreichenden Maßnahmen überstrapaziert werde. Nötig seien deshalb abgestufte und detaillierte gesetzliche Regelungen zur Bekämpfung der Pandemie.

Könnte die Sperrstunde in Berlin wieder gekippt werden?

Das ist möglich. Derzeit liegen dem Berliner Verwaltungsgericht Eilanträge mehrerer Gastronomen vor. Ihr Rechtsanwalt Niko Härting hält die Anordnung für „kopflos“ und bringt Artikel 3 ins Spiel: Denn für ihn ist es ein Widerspruch, dass Theater und Veranstaltungsstätten, Fitnessstudios, Saunen und Bordelle offen bleiben dürften, während Wirte den Ausschank einstellen müssten.

Nachts in einer Bar: Das geht nicht mehr.
Nachts in einer Bar: Das geht nicht mehr.

© Jörg Carstensen/dpa

Wie verteidigt sich der Senat?

Am Montag hat die Gesundheitsverwaltung eine elfseitige Stellungnahme an das Gericht geschickt, die dem Tagesspiegel vorliegt. Dort wird auf die „besorgniserregende Entwicklung der Fallzahlen“ hingewiesen. Kneipen seien in besonderer Weise ein „sozialer Anlaufpunkt“, der Ansteckungen ermögliche, gerade angesichts „alkoholbedingter Enthemmung“.

Das Infektionsrisiko sei eine „konkrete Gefahr für Leib und Leben“, hieß es, und angesichts steigender Zahlen habe der Staat hier einen „Schutzauftrag“. Mildere Mittel, etwa Hygienevorschriften, seien nicht in gleicher Weise geeignet, ein Verbot von Alkoholausschank bei 19000 gastronomischen Betrieben nicht kontrollierbar. Zudem verwies der Senat auf die Befristung der Maßnahme.

Wie ist die Situation beim Beherbergungsverbot in Brandenburg?

Aus dem Gesundheitsministerium heißt es, Klagen oder Eilanträge seien bislang nicht bekannt. Oberste Priorität sei, einen Lockdown wie im Frühjahr mit flächendeckenden Schließungen wie bei Schulen oder Kitas zu verhindern.

Der Unmut über das Beherbergungsverbot sei verständlich, jedoch gelte es für Reisende aus innerdeutschen Hotspots bereits seit Juni 2020. Es wäre „ein falsches Signal, die Regelung angesichts deutlich steigender Zahlen jetzt zu kippen“. Das Verwaltungsgericht Potsdam bestätigte am Abend den Eingang eines Rechtsschutzantrags.

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