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Alles auf Rot: Teilnehmerin Christa Randzio-Plath beim SPD-Debattencamp in Berlin.

© Christoph Soeder/dpa

SPD unter Druck: Auszeit von der sozialdemokratischen Depression

Nach unten - einen anderen Kurs kennen die Umfragewerte der SPD kaum mehr. Beim "Debattencamp" aber hatten die Genossen nun gute Laune. Hilft das?

Von Hans Monath

Einen beispiellosen Niedergang in den Umfragen haben die Sozialdemokraten in den vergangenen Wochen und Monaten erlebt. Bis auf einen Tiefstwert von bundesweit 13 Prozent sahen Demoskopen die Volkspartei SPD zuletzt abgestürzt. Auch die massiven Verluste bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen drückten in der ältesten demokratischen Partei Deutschlands auf die Stimmung und setzten ihre Führung unter Zugzwang. Denn die hat nach Ansicht vieler Genossen ihren Anteil am bayerischen und hessischen Wahlergebnis.
Parteichefin Andrea Nahles konnte vergangene Woche zwar Forderungen nach einem Sonderparteitag zur Neubewertung der großen Koalition formal abwehren: Der Vorstand stimmte dagegen. Doch auch Mitglieder des Gremiums halten es keineswegs für sicher, dass ihre Partei die Strecke bis zu den Europawahlen Ende Mai 2019 im Regierungsbündnis durchhält. Allenfalls Zeit gewonnen hat die SPD-Spitze. Zeit, in der sie die viel beschworene Erneuerung der Partei mit wichtigen inhaltlichen Entscheidungen vor allem zum Thema Sozialstaat mit Leben füllen will. Die Forderungen aus der Partei nach einer anderen, neuen Führung reißen nicht ab, die Unzufriedenheit mit der Leistung von Nahles und ihrer Stellvertreter ist weit verbreitet in der SPD. Das Bild einer Partei, die mit sich selbst hadert, aber noch keine neuen Antworten hat, vermittelt sich auch nach außen – und macht die SPD für Wähler nicht attraktiver.

Umso erstaunlicher, dass sich viele Sozialdemokraten am Wochenende gleichsam eine Auszeit aus ihrer Depression gönnten: Beim „Debattencamp“ in Berlin, einer Art sozialdemokratischer Kirchentag, debattierten 3400 Teilnehmer auf vielen Bühnen und in vielen Foren über Themen wie die Zukunft von Hartz IV, Klimaschutz, digitaler Kapitalismus, Ideen für eine neue Parteikultur oder den Kampf gegen den Rechtsextremismus. „Sie werden eine andere SPD erleben“, hatte Generalsekretär Lars Klingbeil zuvor versprochen. Tatsächlich war auf der SPD-Ideenmesse zu spüren, dass viele Sozialdemokraten noch Lust an Politik, Gestaltung und Zukunft haben – ein Eindruck, den ihre Vertreter im Alltag weit seltener verbreiten.

Nahles bedankte sich zum Schluss bei den Teilnehmern für ein "grandioses Wochenende". Ihre Stellung als Parteichefin dürfte das Ideenfestival jedenfalls gestärkt haben. Das „Debattencamp“ feierte ihre programmatische Ankündigung, Hartz IV hinter sich zu lassen und den Sozialstaat neu zu erfinden. Schon lange fordern große Teile der Partei eine Abkehr von der Reformpolitik Gerhard Schröders, die sie für den eigenen Niedergang mindestens so sehr verantwortlich machen wie die schädliche Wirkung der großen Koalition für ein klares sozialdemokratisches Profil.

Nahles' Strategie hat auch Nebenwirkungen

Das Versprechen einer anderen Sozialstaatspolitik ist ein zentraler Baustein für die inhaltliche Neuaufstellung der SPD, welche die Führung versprochen hat. Der ist bewusst, dass es in der Partei zu viele Widersprüche gibt, die nicht geklärt sind und dazu beitragen, dass viele Menschen gar nicht mehr erkennen können, wofür die SPD eigentlich steht. Alle auf dem "Debattencamp" vorgebrachten Argumente sollen nun in den Entscheidungsprozess über neue Inhalte einfließen. Am 14. Dezember will der Parteivorstand darüber beraten, bis zur Jahresauftaktklausur Anfang Februar 2019 sollen wichtige Weichenstellungen getroffen werden. Mit dem neuen Programm will sich die Führung dann der Basis auf Regionalkonferenzen stellten. Das "Debattencamp" hatte nicht nur eine inhaltliche, sondern auch eine gleichsam therapeutische Funktion. In der SPD ist der Vorwurf weit verbreitet ist, die Führung höre nicht auf die Basis oder setze sich selbstherrlich über deren Willen hinweg. Die Berliner Politikmesse lässt sich als Gegenargument anführen: Die dort vorgebrachten Thesen, so versprach Klingbeil, würden dokumentiert, veröffentlicht und und würden in die kommenden Debatten des Vorstands einfließen.

So begeistert die Teilnehmer des "Debattencamps" über die Abkehr der Parteichefin von Hartz IV waren, so unausweichlich hat ihre Strategie auch Nebenwirkungen. Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz wollen die SPD in der großen Koalition halten, sofern die Union bereit ist, nicht mit neuem Streit die gemeinsame Arbeit zu behindern. Doch die Leistungen der Sozialdemokraten im Regierungsbündnis werden entwertet, wenn Nahles den existierenden Sozialstaat grundsätzlich umbauen will. Ist ein Lob auf die sozialdemokratischen Errungenschaften des Koalitionsvertrags dann noch glaubwürdig? In der Debatte über neue Sozialstaatsinstrumente im Vorfeld der Politikmesse jedenfalls ging völlig unter, dass der Bundestag vergangene Woche milliardenschwere Hilfen für Langzeitarbeitslose beschlossen hatte – natürlich nur auf Anregung der SPD.

Dass die Vorstandsklausur auf Mitte Dezember gelegt wurde, ist kein Zufall: Bis dann steht fest, wer Nachfolgerin oder Nachfolger von CDU-Chefin Angela Merkel wird. "Unsere Probleme sind hausgemacht, wir müssen sie selbst lösen", sagen wichtige SPD-Vertreter. Doch womöglich entscheiden auch die Delegierten des CDU- Parteitags, ob die SPD schnell wieder ein klares Profil gewinnen kann.

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