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SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz bei der Arbeitnehmerkonferenz seiner Partei in Bielefeld.

© AFP / dpa / Friso Gentsch

SPD und Gewerkschaften: DGB-Chef Hoffmann zur Agenda 2010: "Da muss vieles korrigiert werden"

Die Agenda 2010 hat das Verhältnis der Gewerkschaften zur SPD belastet. Nach der Bielefelder Rede von Martin Schulz sieht DGB-Chef Reiner Hoffmann nun neue "Anknüpfungspunkte".

Martin Schulz hat seine Rede bei der SPD-Arbeitnehmerkonferenz in Bielefeld gerade beendet, als ein Mann aus der ersten Reihe im Publikum spontan aufspringt. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Reiner Hoffmann, eilt dem neuen SPD-Hoffnungsträger entgegen und nimmt ihn fest in den Arm. Nun muss man wissen, dass der DGB-Chef ein herzlicher Typ ist und dass er Schulz aus Brüsseler Zeiten gut kennt: Schulz war Präsident des Europäischen Parlaments, Hoffmann unter anderem Vize-Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes. Und doch findet Hoffmann anerkennende Worte für den SPD-Kanzlerkandidaten: Schulz sei das „neue glaubwürdige Gesicht gegen Politikverdrossenheit“, attestiert er ihm nach seinem Auftritt am Montag.

Die Agenda 2010 belastete das Verhältnis der SPD zu den Gewerkschaften

Das Verhältnis der SPD zu den Gewerkschaften war immer ein besonderes. Beide haben ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert, als sich die Arbeiter zusammenschlossen, um für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne zu kämpfen und um die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern. Jahrzehntelang waren SPD-Führung und Gewerkschaftsspitzen eng verwoben, auch wenn letztere immer ihre parteipolitische Neutralität betonten. Doch als der damalige sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder 2003 die Agenda 2010 mit den Hartz-IV-Reformen auf den Weg brachte, wandten sich viele Gewerkschafter enttäuscht ab. Die Entfremdung dauerte über die rot-grünen Regierungsjahre hinaus an: 2007 trat der damalige DGB-Chef Michael Sommer bei der zentralen DGB-Kundgebung zum 1. Mai in Gelsenkirchen alleine auf, während SPD-Chef Kurt Beck nur eine Bühne in Rheinland-Pfalz überlassen wurde. Kurz zuvor hatte die große Koalition die Rente mit 67 beschlossen – ein Vorhaben, das Vizekanzler Franz Müntefering maßgeblich vorangetrieben hatte.

Seit einigen Jahren sucht die SPD wieder die Nähe

Doch seit einigen Jahren sucht die SPD wieder die Nähe zu den Gewerkschaften. „Der Anfang ist von Sigmar Gabriel gemacht worden, als er auf dem Dresdner Parteitag 2009 darauf hingewiesen hat, dass sich Gewerkschaften und Sozialdemokratie nie wieder so weit voneinander entfernen dürfen wie zu Zeiten der Agenda 2010“, sagt Hoffmann. Auch in der Rede von Schulz sieht er Anknüpfungspunkte. Der SPD-Kanzlerkandidat habe auf Webfehler in der Agenda 2010 hingewiesen. „Da muss vieles korrigiert werden“, fordert der DGB-Chef. Erste Schritte seien getan mit dem Mindestlohn und der Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren. Schulz habe weitere Punkte benannt, wie die Abschaffung der „sachgrundlosen Befristung“. „Wir kennen sehr viele Beispiele von jungen Leuten, die sich über Jahre in Ketten-Zeitverträgen befinden“, sagt Hoffmann.

Dass Schulz die Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung fordert, kommt gut an

Gut kommt bei den Gewerkschaften außerdem an, dass Schulz sich für eine Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung stark macht. So hat der SPD-Politiker angekündigt, den Kündigungsschutz für die Beschäftigten ausweiten zu wollen, die einen Betriebsrat neu gründen wollen. Eine weitere Forderung: Die Aufsichtsrats-Mitbestimmung unter Beteiligung der Arbeitnehmer soll auch für die Firmen gelten, die in Deutschland tätig sind, sich aber eine ausländische Rechtsform gegeben haben. In seiner Rede auf der Arbeitnehmerkonferenz der SPD lobt Schulz mehrfach die in Deutschland ausgeprägte Sozialpartnerschaft, die das Land stark gemacht habe. Auch wenn Gewerkschaften und SPD oft für „das alte Prinzip der Gemeinsamkeit und des Zusammenhalts“ belächelt worden seien, so sei diese „alte Tugend“ das „modernste Politikangebot“, das es in diesem Land gebe, sagt Schulz.

DGB-Chef sieht in Schulz' Rede ein "Angebot an die Gewerkschaften"

DGB-Chef Hoffmann jedenfalls versteht die Bielefelder Rede „als Angebot an die Gewerkschaften“. Zugleich betont er, dass es „bei einigen Parteien“ große Schnittstellen zu den Forderungen des DGB gebe. Zu Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat der Gewerkschaftsboss einen guten Draht, im November letzten Jahres bestärkte er die Grünen auf ihrem Parteitag in ihrem Plädoyer für eine Vermögensteuer. „Wir werden mit allen Parteien reden“, kündigt Hoffmann an. „Vor den Wahlen, aber dann insbesondere auch während der Koalitionsverhandlungen.“

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