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Malu Dreyer, Bundes-Vize der SPD und Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz.

© Imago

SPD-Politikerin Malu Dreyer: „Wir wollen Mindestlöhne für ganz Europa“

Die SPD will ein sozialeres Europa. Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, über neue Standards und neues Selbstbewusstsein.

Frau Dreyer, hat die SPD sich schon bei der neuen CDU-Chefin bedankt?

Ich wüsste wirklich nicht, warum wir das tun sollten.

Frau Kramp-Karrenbauer tut doch viel, um die SPD sichtbarer zu machen, indem sie etwa in ihrer Antwort an den französischen Präsidenten Macron einem sozialeren Europa mit fairen Mindestlöhnen eine Absage erteilt. Das müsste die SPD freuen.

Das zeigt nur sehr klar, dass die CDU eine deutlich andere Haltung zu Europa hat als wir.

Freut Sie also doch?

Darum geht es nicht. Die SPD steht für ein sozialeres Europa. Da unterscheiden wir uns deutlich von der CDU. Auf unserem Europakonvent am Samstag werden wir unsere Leitlinien dazu verabschieden.

Sie und Ihre Partei sprechen jetzt immer von der „sozialen Dimension“ Europas. Das hört sich irgendwie nach Wolkenkuckucksheim an, was heißt das konkret?

Sehr konkret ist etwa das Thema Mindestlohn. Es darf nicht sein, dass in Europa Menschen unter der Armutsgrenze arbeiten müssen.

Was den Mindestlohn angeht, fordert die SPD in Deutschland zwölf Euro. Soll das auch das Ziel in allen europäischen Ländern sein?

Nein, es geht um Löhne, die nicht unter der Armutsschwelle in den jeweiligen Ländern liegen, und um soziale Standards.

Viele westeuropäische Länder haben einen höheren Mindestlohn als Deutschland, das Problem sind die osteuropäischen Staaten, wo oft nicht mal vier Euro gezahlt werden. Auf einer SPD-Veranstaltung sagte eine Gewerkschafterin, diese Länder seien die Sklaven für den Rest Europas. Teilen Sie die Ansicht?

Es bestätigt eher unsere Ansicht, dass es soziale Mindeststandards geben muss. Das Thema soziales Europa ist für die SPD ja nicht neu, aber es gab hier bisher insgesamt zu wenig Fortschritte.

In Berlin-Neukölln, an der Basis, wo man sich auch auf den Europawahlkampf vorbereitet, sagte man mir, man müsse ehrlich im Straßenwahlkampf sein und den Deutschen sagen, dass Standards für Mindestlöhne in Europa zunächst mal nur den Menschen in Bulgarien oder Rumänien helfen. Trotzdem sollen die Leute SPD wählen, geht das?

Das Thema hat doch zwei Seiten. Zum einen sagen mir deutsche Bauernvertreter, dass sie Mindestlöhne zahlen, dass dann aber eben in anderen osteuropäischen Ländern viel weniger bezahlt wird. Das ist eben nicht gerecht, deshalb brauchen wir verbindliche Standards, um den Abstand zwischen den Mitgliedsländern zu verkleinern. Die andere Seite ist, dass niedrige Löhne schlicht würdelos sind und die geleistete Arbeit geringschätzen. Für beides brauchen wir Mindestlöhne. Aber um die Frage zu beantworten, ich sehe das anders: In Wahrheit helfen Mindestlöhne und Standards in anderen Ländern auch uns in Deutschland.

Ist die Europawahl für die SPD auch ein Test, ob das doppelte Ziel der Partei gelungen ist: Mit der Union regieren und sich selbst erneuern?

Ich halte nicht viel davon, in Wahlen zu viel hineinzuinterpretieren oder sie unnötig aufzuladen. Wir gehen sehr zuversichtlich in diese Wahl, wir haben starke Spitzenkandidaten. Wir sind auch überzeugt von unserem Programm, weil die SPD in den sozialen Themen endlich wieder zu einer Klarheit gefunden hat, die auch die Bürger und Bürgerinnen verstehen. Trotzdem wissen wir, dass die SPD in einer großen Vertrauenskrise war, die wir nicht innerhalb von ein paar Monaten überwinden können.

Wie hat die Einigung auf das Sozialstaatspapier die SPD verändert?

Es ist mehr Selbstbewusstsein in den eigenen Reihen zu spüren. Ich würde sagen, es wirkt wie ein kleiner Befreiungsschlag. Die Leute sind wieder motiviert, und das macht Spaß. Offenbar finden viele gut, dass die SPD wieder deutlich macht, wofür sie steht.

Neues Selbstbewusstsein ist Voraussetzung für Erneuerung?

Ja, und daher arbeiten wir ja seit einem Jahr daran, und das Ergebnis ist sehr vielseitig: Neue Beteiligungsformen etwa, Debattencamps, aber eben auch eine klare sozialdemokratische Handschrift wie das Sozialstaatskonzept, das uns politisch deutlich von der Union abgrenzt. Natürlich sind wir nicht am Ende dieses Erneuerungsprozesses, aber die Mitglieder merken: Wir sind auf einem guten Weg.

Nach dem Abschied von Hartz IV kletterten die Werte der SPD in Umfragen kurzfristig um zwei Prozent, jetzt weisen die meisten Institute wieder die alten Werte aus. Warum überzeugt die neue Aufstellung der SPD die Bürger nicht, obwohl sie die Inhalte gute finden?

Ich bin überzeugt davon, dass wir nachhaltige Politik anbieten und dabei sehr klar in der Sache sein müssen. Nur das bringt uns voran. Nur so beseitigen wir die Fragezeichen, die manche Bürger und Bürgerinnen noch bei der SPD haben. Wir müssen gut kommunizieren und immer wieder beweisen, dass wir gute Politik machen können. Wie zum Beispiel mit der Grundrente oder dem Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit, das die Situation unter anderem der Paketzusteller verbessern wird – das ist lebensnah und nah bei den Menschen. Wir geben Antworten auf Fragen, die die Menschen bewegen.

Was müssen Sie der Union im Gegenzug zugestehen, damit sie die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung mitmacht?

Wir müssen da gar nichts zugestehen. Die Grundrente soll ja, so steht es im Koalitionsvertrag, eine Absicherung im Rentensystem sein. Und diesem System ist eine Bedürftigkeitsprüfung vollkommen fremd. Die Mütterrente haben wir auch nicht an die Bedürftigkeit gekoppelt. Wir werden das also ganz sachlich mit der Union verhandeln.

Was kosten das neue Bürgergeld und die Grundrente?

Hubertus Heil, unser Arbeitsminister, wird einen Gesetzesentwurf vorlegen, in dem die Kosten aufgeschlüsselt sind. Aber wenn es um diese Themen geht, möchte ich betonen, dass es nicht allein um Geld gehen kann. Denn zeitgleich macht die CDU den Vorschlag, erheblich mehr Geld auszugeben für die Entlastung der reichsten zehn Prozent beim Solidaritätszuschlag. Da sagen wir: Nein, weil es jetzt schon ein viel zu großes Arm-Reich-Gefälle gibt. Es geht also um die Verwendung von Geld, das wir haben, die SPD will mehr Gerechtigkeit für die Lebensleistung vieler Bürger und Bürgerinnen.

Verändert der Abschied von Sahra Wagenknecht die Aussichten auf eine Regierungszusammenarbeit von SPD und Linkspartei?

Im Moment stellt sich diese Frage nicht. Aber sicher ist es interessant zu schauen, wie sich die Linkspartei ohne Sahra Wagenknecht weiterentwickelt.

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