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Helge Lindh ist SPD-Abgeordneter im Bundestag. Für seinen Einsatz gegen Rassismus wird er häufig attackiert.

© Imago

SPD-Politiker Lindh nach erneuter Morddrohung: „Rassismus und Nazismus wird nicht durch Ignoranz bekämpft“

Der Bundestagsabgeordnete Helge Lindh hat erneut eine Morddrohung von Rassisten gegen ihn gepostet. Ein Gespräch über Haltung, Angst und die Rolle der AfD.

Helge Lindh ist seit 2017 Abgeordneter für die SPD im Deutschen Bundestag. Er setzt sich schon seit vielen Jahren öffentlich und offensiv gegen Muslimfeindlichkeit und Rassismus ein – und wird deshalb immer wieder Opfer von Beleidigungen und Drohungen aus dem rechten Milieu.

So auch am späten Donnerstagabend. Da bekam er eine Mail von selbsternannten „Türkenjägern“, die ihn davor warnten, sich weiterhin in der Öffentlichkeit an der Seite von Muslimen zu zeigen. Der 43-jährige Wuppertaler Lindh postete ein Foto der Mail bei Twitter und schrieb dazu: „Die Menschen in meinem Büro und in meinem Talk sind meine Freunde, ich werde immer zu ihnen stehen, mit allen Konsequenzen.“

Am Freitagmittag, kurz vor dem Gespräch mit dem Tagesspiegel, wurde Lindhs Tweet von Twitter gelöscht. Das sei ihm noch nie passiert, so Lindh. Er vermutet, dass der Algorithmus von Twitter seine Nachricht selbst als „Nazi-Zeug“ erkannt habe. Für ihn ist das „eine interessante Form, wie man mit Opfern umgeht“. Über das und mehr haben wir mit ihm gesprochen.

Herr Lindh, auf Ihrer Website steht Ihr Lebensmotto: „Niemals aufgeben!“ Wie oft haben Sie in den vergangenen Wochen trotzdem mal daran gedacht?
Zu keiner Minute. Es wäre gelogen zu sagen, dass mich das unberührt lässt. Ich habe das aber immer eher als Motivation begriffen oder als Ansporn, nicht nachzugeben und mich nicht einschüchtern zu lassen.

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Worauf ich hinauswill: In einer Mail an Sie haben selbsternannte „Türkenjäger“ Ihnen gedroht, für Totenstille zu sorgen, wenn Sie sich nochmal öffentlich mit Muslimen treffen.
Das ist natürlich nicht harmlos, das muss ich ernst nehmen – deshalb leite ich das dann auch weiter und lasse es prüfen und ermitteln. Ich will denjenigen aber nicht den Triumph überlassen, dass ich mein komplettes politisches Handeln einstelle. Ich denke überhaupt nicht daran, mich nicht mehr gegen Muslimfeindlichkeit einzusetzen. Wenn das so wäre, lässt man ja zu, dass solche Personen einem untersagen, sein Mandat auszuüben. Ich würde mich im Zweifel für die Haltung und gegen die Sicherheit entscheiden.

Sie haben gestern passend dazu geschrieben, dass Sie sich lieber abknallen lassen würden, als Ihre Haltung zu ändern. Zuvor hatte Sie ein Mailschreiber als „Lübcke 2“ bezeichnet und Ihnen sogar eine Waffe genannt, mit der er Sie erschießen wolle. Was macht das mit Ihnen?
Es ist natürlich schwer zu vermitteln – aber ich habe ja schon eine gewisse Routine darin. Ich habe ja schon so ziemlich alle Varianten von Morddrohungen und Beschimpfungen erhalten – auch auf rechtsextremistischen Plattformen. Man härtet da auch ab. Wobei ich zugeben muss, dass das zutiefst ins Leben eingreift. Es sorgt dafür, dass ich überlege, wo ich hingehe und was ich mache.

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Haben Sie denn schon mal etwas aus Angst nicht gemacht?
Ich erinnere mich noch, das war vor zwei Jahren. Da habe ich vor einer Bundestagsrede genau überlegt, was ich sage, damit ich nicht wieder eine Welle auslöse. Im Nachhinein habe ich mich extrem geärgert, dass ich mir die Gedanken gemacht habe. Ich war in dem Moment nicht mehr so frei in den Argumenten und der Überzeugung.

Die Morddrohungen per Mail sind zwar konkret in der Theorie, aber abstrakt in der Praxis. Sehr konkret war hingegen der offenbar linksextreme Anschlag auf ihr Wahlbüro in Wuppertal im April. Haben Sie Angst, dass es irgendwann über Beleidigungen, Drohungen und Sachbeschädigung hinausgeht?
Ja, weil die Realität zeigt, dass es Leute gibt, die soweit gehen. Manche drohen natürlich auch nur, aber es gibt auch gewaltaffine Leute, die sich dadurch ermutigt fühlen.

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Sie sind nicht die einzige Person des öffentlichen Lebens, die sich gegen Muslimfeindlichkeit einsetzt und von offensichtlich extrem rechten Personen angegangen wird. Sie gehen damit bewusst in die Offensive und posten Nachrichten solcher Personen in den sozialen Medien. Was ist Ihre Intention dahinter?
Ich will dieser Gewöhnung und Normalisierung entgegentreten und solches Gedankengut in seiner Widerlichkeit kenntlich machen – weil wir uns an diese Barbarei nicht gewöhnen dürfen. Rassismus und Nazismus wird nicht durch Ignoranz bekämpft. Wir brauchen klaren Widerspruch – sonst sind die Falschen die, die immer aktiv sind. Meine Erfahrung ist auch, dass es die Leute irritiert, das will ich auch.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Es gibt eine rechte Bloggerin, die auf Facebook öffentlich Bodyshaming gegen mich betrieben hat. Es gibt viele Gruppen, die mich als Neandertaler bezeichnen. Diese Bloggerin hat sich dann tierisch aufgeregt, als ich das, das sie öffentlich machte, auch wiederum öffentlich machte. Das fand ich interessant. Die sind es nicht gewohnt – die machen das in ihren Blasen und bekommen dafür Applaus.

Helge Lindh bei einer Rede im Bundestag.
Helge Lindh bei einer Rede im Bundestag.

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Während der Corona-Pandemie ist rechtes Gedankengut, das sich bei den Demonstrationen in Berlin beispielsweise durch Antisemitismus äußerte, noch mehr in die Öffentlichkeit geraten. Auch am Wochenende werden wieder Verschwörungstheoretiker und Neonazis auf die Straße gehen. Wie nehmen Sie das wahr – nimmt der Rassismus in Deutschland zu oder war er vorher nur nicht so offensichtlich?
Wenn wir uns nicht belügen, war der Rassismus immer da. Wir hatten zwar lange Zeit keine rechtspopulistische und zum Teil neonazistisch auftretende Partei im Parlament, die Personen haben das aber dann im engeren Kreis geäußert. Jetzt haben wir durch diese Partei eine Enthemmung – der Rassismus ist aus dem Privaten viel mehr ins Öffentliche geraten. Dadurch sind einige Bremsen gelöst, sich doch zurückzuhalten.

Also geben Sie der AfD eine Mitschuld, dass diese Bremsen gelöst worden sind?
Ja, sie ist eindeutig mitschuldig daran, dass sich Täter in verbaler und auch körperlicher Art ermutigt fühlen. AfD-Politiker haben die Grenzaufhebung klar betrieben und klimatisch dafür gesorgt, dass aus einem „Das kann man doch nicht sagen“ ein „Das muss man sagen“ wurde. Das ist die zentrale politische Verantwortung, die die AfD trägt.

„Rechte, weiße Männer“ haben Sie einige dieser Hetzer in Bezug auf "Tichys Einblick" in der vergangenen Woche genannt. Wie zermürbend ist es, regelmäßig ganz konkret und organisiert mit diesem Hass konfrontiert zu werden?
Es ist natürlich zermürbend – aber damit könnte ich leben. Es ist vielmehr entsetzlich und beschämend. Es treibt einen über die Grenze des Zorns hinaus, dass das jetzt eine regelmäßige Plattform im Bundestag gefunden hat. Leider ist es so, dass wir es ertragen müssen, weil die Demokratie es ermöglicht hat – das ist ja das Dramatische. Auch an die Form dieses Diskurses darf man sich nicht gewöhnen.

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Sehen Sie sich daher als extremer Gegenpol zur AfD?
Ja, weil ich es als keine Option ansehe, dass man Deutschsein und Patriotismus der AfD überlässt. Da muss man gegenhalten. Dass die AfD muslimisch als anti-deutsch begreift – aber viele Muslime Deutsche sind –, heißt in einem einfach logischen Schluss, dass diejenigen, die Stimmung machen gegen Muslime, damit auch deutschenfeindlich sind.

Wie, glauben Sie denn, könnte es möglich sein, diese Art von Rassismus zu bewältigen?
Zum einen: Indem man diesen blanken Hass, die Gewalt, den Terror in Wort und Tat ahndet. Indem man ihn kenntlich macht, dagegen mit aller Konsequenz des Gesetzes vorgeht und bestraft. Zum anderen, das ist die wahrscheinlich größere Aufgabe: indem man das Klima ändert, diese Atmosphäre, die das möglich macht. Man sollte nicht Diskurse über die Muslime führen, sondern endlich mal mit ihnen. Wenn wir es schaffen, diese Diskurskultur zu ändern, bin ich überzeugt, dass es Rassismus, Rechtsextremismus und auch Neonazismus deutlich schwerer hat in diesem Land. Das ist die große gesellschaftliche Aufgabe.

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