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Erst mal eine rauchen: Alt-Kanzler Helmut Schmidt (Leinwand) präsentiert sich den Delegierten auf dem Bundesparteitag wie ihn alle kennen.

© dapd

SPD-Parteitag: Alt-Kanzler Schmidt wirft Schwarz-Gelb deutsche "Kraftmeierei" vor

In seiner Rede vor dem SPD-Parteitag mahnt Alt-Kanzler Schmidt die Deutschen vor Europa-Skepsis. Man müsse akzeptieren, dass es eine gemeinsame Verschuldung gebe. Auf den Euro lässt er nichts kommen.

Zum ersten Mal ein Lachen auf seinem Gesicht. Es ist der Moment, in dem Helmut Schmidt wieder unten im Plenum sitzt und sich eine Zigarette anzündet.

Eine Stunde lang ist er ohne ausgekommen. Donnernd liegt der Applaus über ihm, fast euphorisch. Immer wieder wird seine Rede von Applaus unterbrochen, doch Schmidt will sich nicht in ihm ergehen. Rasch hebt er die Hand, als wolle er den Applaus abwehren, nicht an sich ran kommen lassen. Denn seine Rede ist geprägt von messerscharfer Klarheit und die will er nicht durch die Wonne der Partei stumpf werden lassen.

Wüsste man es nicht besser, könnte man denken, der Parteitag hat eben seinen Höhepunkt erlebt. Dabei ist der Parteitag der SPD zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal offiziell eröffnet. Helmut Schmidt ist nur der Einpeitscher für den dreitägigen Parteitag der SPD in Berlin.

Doch die SPD ist eigentlich viel zu klein für diesen Mann. Deshalb arbeitet er sich auch gar nicht an ihr ab. Die Deutschen, die deutsche Politik insgesamt - zu ihr gehört ja auch die SPD -, sind seine Adressaten.

Es ist ein Appell – letztlich an das ganze Land. „Deutschland wird auf absehbare Zeit kein normales Land sein“, stellt er deshalb auch gleich zu Beginn klar. Und das vor einer Woche, in der es für Europa um die Existenz der gemeinsamen Währung geht.

Es ist eine „außergewöhnliche Geschichtsstunde“, wie es eine Delegierte aus Bayern am Ende sagt. Der Ex-Kanzler und Liebling aller Deutschen, erinnert daran, dass Europa immer geprägt war von Kämpfen zwischen Zentrum und Peripherie. Er geht zurück auf den ersten Dreißigjährigen Krieg, als eine starke Peripherie in ein schwaches Zentrum vorgestoßen ist. Er spricht vom zweiten Dreißigjährigen Krieg zwischen 1914 und 1945, als ein sich stark fühlendes Zentrum in die Peripherie vorgedrungen ist.

„Mehrfach haben wir Deutschen andere unter unserer zentralen Machtposition leiden lassen.“ Die Erinnerung daran spielt vor allem bei den europäischen Partnern immer noch eine große Rolle. „Wir Deutschen sind uns nicht in ausreichendem Maß im Klaren darüber, dass bei fast allen unserer Nachbarn wahrscheinlich noch für viele Generationen ein latenter Argwohn gegen die Deutschen besteht.“ Damit müssten auch die nachgeborenen Generationen leben.

Es sei dieser Argwohn gewesen, der eine Notwendigkeit zur europäischen Integration begründet hat. Es gab die Sorge vor zu großer deutscher Stärke. In der Nachkriegszeit wurde die europäische Integration vorangetrieben, um den Kampf zwischen Zentrum und Peripherie zukünftig zu vermeiden. „Wer dieses Ursprungsmotiv der europäischen Integration nicht verstanden hat, das immer noch ein tragendes Element ist, wer diese nicht verstanden hat, dem fehlt eine unverzichtbare Voraussetzung für die Lösung der gegenwärtigen höchst prekären Krise Europas.“

"Das ist eine schwerwiegende Fehlentwicklung"

Von einer Krise des Euro will er aber nichts wissen. „Alles Gerede und Geschreibe über eine angebliche ‚Krise des Euro‘ ist leichtfertiges Geschwätz von Medien, von Journalisten…“ Applaus brandet auf, „…und von Politikern“. Der Applaus hält an. Schmidt sieht den Euro als stabile Währung, die in ihren ersten zehn Jahren stabiler gewesen sei als die D-Mark in ihren letzten zehn Jahren.

Schmidt zeichnet das Bild eines schrumpfenden Europa im Konzert mit den aufstrebenden Nationen China, Indien und Brasilien. Die europäischen Nationen zusammen kämen nur noch auf sieben Prozent der Weltbevölkerung. 1950 seien es noch 20 Prozent gewesen. Schaue man auf die einzelnen Nationen Europas, sehe es noch extremer aus. „Daraus ergibt sich das langfristige strategische Interesse der europäischen Nationalstaaten an ihrem integrierenden Zusammenschluss“, rief Schmidt den Delegierten zu. Wenn nicht, drohe Marginalisierung, Isolation und das alte Spiel zwischen Peripherie und Zentrum könne wieder Wirklichkeit werden.

Blicke man nun am Ende des Jahres 2011 von außen auf Deutschland, dann löse Deutschland Unbehagen aus. „In den allerletzten Jahren sind erhebliche Zweifel in die Stetigkeit der deutschen Politik aufgetaucht“, sagt Schmidt. Das Vertrauen in die Verlässlichkeit der deutschen Politik sei beschädigt. Sie beruhen laut Schmidt auch auf außenpolitischen Fehlern deutscher Politiker aber auch auf der überraschenden ökonomischen Stärke Deutschland.

Schmidt prangert die enormen deutschen Überschüsse in der Handels- und Leistungsbilanz an. „Das ist eine schwerwiegende Fehlentwicklung“, sagt Schmidt. „Alle unsere Überschüsse sind in Wirklichkeit die Defiziten der anderen“, sagt der Altkanzler und erntet dafür lauten Applaus der Delegierten. Die Forderungen, die die Deutschen an die anderen hätten, seien deren Schulden. Das sei eine „ärgerliche Verletzung“ des einstmals zum Ideal erhobenen Grundsatzes des „außenwirtschaftlichen Gleichgewichts“. Diese Verletzung müsse unsere Partner beunruhigen.

Diese Entwicklung sowie die Schwäche der europäischen Organe hätten Deutschland wieder in eine zentrale Rolle gedrängt, so Schmidt. Deutschland dürfe sich davon nicht verführen lassen, eine politische Führungsrolle zu beanspruchen. Das würde nur in Isolation führen. „Die sehr große und sehr leistungsfähige Bundesrepublik Deutschland braucht – auch zum Schutz vor uns selbst – die Einbettung in die europäische Integration.“

Diese Gemengelage aus geopolitischen Lage, der unglücklichen Rolle Deutschlands im 20. Jahrhundert sowie der enormen Leistungsstärke heute verlange von den deutschen Politikern ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen. „Und unsere Hilfsbereitschaft ist unerlässlich“, sagt Schmidt. Schließlich habe Deutschland seinen Aufstieg auch von der Solidarität und Hilfsbereitschaft der anderen zu verdanken. "Wir brauchen ein mitfühlendes Herz", so Schmidt. Ein Streben nach weltpolitischem Prestige sei dagegen unnütz.

Dann setzt Schmidt zum Schlag gegen die schwarz-gelbe Regierung an: Wer betone, dass in Europa wieder deutsch gesprochen werde, wenn Außenminister fernsehtaugliche Auftritte in Kairo, Tripolis oder Kabul den politischen Kontakten nach Paris, Warschau oder Prag vorzögen oder wenn jemand meine, die Transfer-Union verhüten zu müssen, „dann ist das alles bloß schädliche Kraftmeierei“. Deutschland und die Deutschen müssten akzeptieren, dass es in einer Währungsunion eine gemeinsame Verschuldung gebe - ein deutlicher Hieb gegen die Anti-Haltung von Kanzlerin Angela Merkel zu Euro-Bonds und EZB-Stützungskäufen.

"Es ist Zeit sich zu wehren"

Schmidt schont aber auch seine Genossen nicht. Vor allem Martin Schulz, Vorsitzender der europäischen Sozialdemokraten im Europaparlament, muss sich den Schmidtschen Zeigefinger ansehen: Denn der Altkanzler kritisiert die Wirkungslosigkeit des Europäischen Parlaments, er prangert die Entdemokratisierung an. An Schulz gewandt sagt Schmidt: „Es ist höchste Zeit, dass Sie und Ihre christdemokratischen, sozialistischen, grünen und liberalen Kollegen sich gemeinsam, aber drastisch zu öffentlichem Gehör bringen.“ Die Aufsicht von Banken, Börsen und Finanzinstrumente eigne sich dafür.

Schmidt glaubt nicht, dass der amerikanische Präsident Barack Obama und auch nicht die britische Regierung, die Regulierung der Finanzmärkte durchsetzen werde. Denn schon seit 2010 „spielt diese Herde von hochintelligenten, zugleich psychose-anfälligen Finanzmanagern abermals ihr altes Spiel um Profit und Bonifikation“. Es werde höchste Zeit sich dagegen zu wehren, sagt er und erntet langen Applaus.

Schmidt verlangt Regeln, Aufsicht und wachstumsfördernde Projekte. Schmidt sieht die Europäische Union am Ende nicht auf dem Weg zu einem Bundesstaat, sondern zu einem sich dynamisch entwickelnden Verbund. Einer, der ohne historisches Beispiel sei. Betrachte er Deutschland und Europa heute, sei der Fortschritt fast unglaublich.

Dann tritt er ab. Lange will er den Applaus auf der Bühne nicht entgegen nehmen. Erst SPD-Chef Sigmar Gabriel bittet ihn noch einmal in die Mitte der Bühne. Dann faltet er die Hände und schließt kurz die Augen. Wieder unten im Plenum im Saal angekommen, das erste Lächeln und endlich die Zigarette.

Mittlerweile ist der Parteitag eröffnet. Am Nachmittag wird Frank-Walter Steinmeier zu einem Europa-Antrag seine Rede halten. Es ist Teil 1 des Kanzlerkandidaten-Castings. Doch nach dem Auftritt von Helmut Schmidt dürfte es eigentlich für alle drei schwer werden, einen Eindruck zu widerlegen: die SPD hat nur einen Kandidaten, einen sehr alten.

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