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Über die deutsche Beteiligung am Einsatz solcher Waffen geht der Streit: Test einer französischen Atombombe über dem Mururoa-Atoll 1971.

© picture alliance / dpa

SPD fordert Abzug aller US-Atomwaffen aus Deutschland: „Es wird Zeit, dass Deutschland die Stationierung zukünftig ausschließt“

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ist gegen Atomwaffen in Deutschland. Er verweist auf die Nuklearstrategie von Donald Trump – und das Coronavirus. Ein Interview.

Von Hans Monath

Rolf Mützenich (60) ist seit 2019 Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Der Abgeordnete, der seinen Wahlkreis Köln-Nippes stets direkt gewann, kommt vom linken Flügel seiner Partei und steht in der Tradition der internationalistischen, friedenspolitischen Schule der deutschen Politikwissenschaft. Der Sohn einer Arbeiterfamilie wurde 1991 an der Universität Bremen promoviert. Titel der Doktorarbeit: "Atomwaffenfreie Zonen und internationale Politik – historische Erfahrungen, Rahmenbedingungen, Perspektiven".

Herr Mützenich, seit Jahren hören wir, Deutschland müsse und wolle mehr außen- und sicherheitspolitische Verantwortung übernehmen. Wird die große Koalition diesem Anspruch gerecht?
Ja, das tut sie. Einige glauben, außen- und sicherheitspolitische Verantwortung würde sich nur an der Höhe der Militärausgaben messen lassen. Das ist falsch. Wir nutzen das gesamte Instrumentarium von der Diplomatie über Abrüstung, Rüstungskontrolle, Entwicklungszusammenarbeit bis hin zur humanitären Hilfe. Auf diesen Feldern spielt Deutschland eine weltweit wichtige Rolle. Und darüber hinaus sorgen wir durch zusätzliche Mittel für eine bessere Ausstattung der Bundeswehr, um beispielsweise die vom Parlament beschlossenen Auslandseinsätze ausüben zu können.

Und das gilt ungeachtet der ständigen Auseinandersetzungen zwischen CDU-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und SPD-Außenminister Heiko Maas?
Beide tragen Verantwortung für unterschiedliche Ressorts. Mich wundert es nicht, dass sie aus dieser Rolle heraus zu eigenen Schlussfolgerungen kommen. Das Ziel muss sein, all jene Eigenschaften zu stärken, die Deutschland nach zwei verheerenden Weltkriegen in die internationale Ordnung eingebracht hat. Dazu zählen Verlässlichkeit, Multilateralismus und die Wertschätzung des Völkerrechts.

Gehört Bündnistreue für Sie auch dazu?
Das gehört zur Verlässlichkeit. Gleichzeitig muss man immer überprüfen, ob die Vereinbarungen noch den aktuellen Erfordernissen entsprechen.

Unions-Fraktionsvize Johann Wadephul hat der SPD kürzlich vorgeworfen, sie sei „nicht bereit, in der Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts anzukommen und Antworten auf die neuen Gefahren zu geben“. Was entgegnen Sie ihm?
Die Sozialdemokratie ist immer auf der Höhe der Zeit, das wusste schon Willy Brandt. Auch auf dem Feld der internationalen Politik sind wir personell und inhaltlich gut aufgestellt. Viel stärker als andere Parteien orientieren wir uns nicht nur am eigenen, nationalen Interesse, sondern beachten auch die Interessen anderer Länder, weil wir wissen, dass wir nur gemeinsam stark sein können.

Die Verteidigungsministerin will die veralteten Tornados der Bundeswehr, welche die US-Atomwaffen ins Ziel tragen, ersetzen, aber die SPD verweigert sich dieser Lösung. Ist dieser Streit um die nukleare Teilhabe ein Beweis für Wadephuls These?
Nein. Es ist die Aufgabe der Verteidigungsministerin, Vorschläge zur Ausrüstung der Bundeswehr zu machen. Wir sollten aber erst einmal eine Debatte über die Frage führen, ob die nukleare Teilhabe noch zeitgemäß ist. Ich bedaure, dass die Sicherheitspolitiker der Union sich dieser wichtigen Frage entziehen.

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Was hat sich denn verändert im Vergleich zu jener Zeit, als die SPD die Idee der nuklearen Teilhabe noch verteidigte?
Die Idee der nuklearen Teilhabe ist ein Konstrukt aus der Zeit des Kalten Krieges. Dabei ging es auch um Lastenausgleich und Einbindung. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts wurde auf dem Feld der Nuklearwaffen leider nur temporär und unzureichend abgerüstet. Das müssen wir nun nachholen, nicht allein wegen des Übermaßes an Waffen, sondern auch wegen der Überlegungen in den Hauptstädten, diese Waffen in einem Krieg einzusetzen. Donald Trump hat 2018 die Nukleardoktrin der USA deutlich verändert. Zudem muss man schon mal fragen: Weltweit werden fast zwei Billionen US-Dollar für Rüstung ausgegeben – brauchen wir in Corona-Zeiten nicht mindestens einen Teil davon für die Bekämpfung der Pandemie und den Wiederaufbau der Wirtschaft? Wer oder was ist gegenwärtig der reale Feind der Menschheit?

Warum ist Trumps Nukleardoktrin so gefährlich?
Trumps Regierung hat verkündet, dass Atomwaffen nicht mehr nur der Abschreckung dienen, sondern Waffen sind, mit denen man Kriege führen kann. Die USA behalten sich vor, auf Bedrohungen, zum Beispiel auch durch Cyber-Angriffe, mit nuklearen Vergeltungsschlägen zu reagieren. Auch der Ersteinsatz ist nicht vom Tisch. Trumps Regierung hat zudem angekündigt, die in Deutschland lagernden Atomwaffen durch modernisierte, zielgenauere atomare Lenkwaffen zu ersetzen. Das Eskalationsrisiko ist damit unüberschaubar geworden

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Handelt sich Deutschland nicht ein Recht auf Mitsprache bei der Nuklearstrategie der Nato dadurch ein, dass es diese Tornados zur Verfügung stellt?
Diesen Zusammenhang bestreite ich energisch. Die politische nukleare Teilhabe besteht darin, dass alle Nato-Staaten die Nuklearstrategie des Bündnisses mitbestimmen. Auch Kanada, das keinerlei Kernwaffen auf seinem Territorium stationiert hat, nimmt an dieser Diskussion teil. Wir sollten als Deutsche selbstbewusst fordern, die Nuklearstrategie der Nato auch dann mit zu prägen, wenn keine Nuklearwaffen mehr auf unserem Gebiet lagern. Und mal im Ernst: Glaubt wirklich jemand, dass sich Donald Trump, wenn er einen nuklearen Einsatz plant, von Deutschland abhalten ließe, nur weil wir ein paar Sprengköpfe transportieren?

Gelten für das bevölkerungsreichste und wirtschaftsstärkste Land Europas nicht andere Regeln als für machtpolitisch weniger bedeutende Nato-Mitglieder?
Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ist immer gut beraten, jedes europäische Land als gleichberechtigten Partner zu behandeln, egal, wie viele Einwohner es hat und wie stark seine Wirtschaft ist. Der Europäer Helmut Kohl hat dieses Gebot immer beachtet. Wir sollten nicht auf unsere Größe verweisen, sondern auf die Qualität unserer Argumente und den Wert einer gemeinsamen Politik.

Nimmt sich die Freiheit, auch gegenüber SPD-Ministern seine eigene Meinung zu sagen: Fraktionschef Rolf Mützenich.
Nimmt sich die Freiheit, auch gegenüber SPD-Ministern seine eigene Meinung zu sagen: Fraktionschef Rolf Mützenich.

© imago images/Christian Spicker

Im Koalitionsvertrag bekannte sich auch die SPD zur nuklearen Teilhabe. Wollen Sie nun zunächst nur eine Debatte über die nukleare Teilhabe führen oder den technischen Teil der nuklearen Teilhabe beenden, nämlich die Lagerung von US-Atomwaffen in Deutschland und die Fähigkeit der Bundeswehr, sie einzusetzen?
Ich will beides. Die USA haben ihre Nuklearstrategie so einschneidend verändert, dass ein Einsatz dieser Waffen hier in Europa wieder viel wahrscheinlicher geworden ist. Und ich bin der Meinung, dass wir auch auf diesem Feld abrüsten müssen. Atomwaffen auf deutschem Gebiet erhöhen unsere Sicherheit nicht, im Gegenteil. Es wird Zeit, dass Deutschland die Stationierung zukünftig ausschließt. Das haben schließlich auch andere Staaten getan, ohne dabei die Nato infrage zu stellen.  Weil Sie den Koalitionsvertrag erwähnten: Die SPD hat dafür gesorgt, dass darin von der technischen nuklearen Teilhabe ausdrücklich keine Rede ist, sondern nur von der politischen nuklearen Teilhabe. Deshalb bewege ich mich mit meinen Vorschlägen im Rahmen dieser Abmachung.

Die USA machen ohnehin schon massiv Druck, weil Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel der Nato nicht erfüllt. Wie würde Trumps Regierung reagieren, wenn Deutschland die US-Atomwaffen aus dem Land wirft?
Ich kann auch mit einer unfreundlichen Reaktion der USA umgehen. Donald Trump ist einer der größten Meister in der Disziplin, Druck auf andere auszuüben. Es ist an der Zeit, dass Deutschland in der Tradition seiner abrüstungspolitischen Initiativen nun mit den USA und den Bündnispartnern über diese Fragen spricht. Im Übrigen wird der wirtschaftliche Einbruch infolge der Corona-Pandemie dazu führen, dass unser Anteil am Verteidigungshaushalt von derzeit 1,3 auf 1,7 Prozent des BIP steigen könnte. Das zeigt nur wie wenig aussagekräftig diese Zielgröße ist.

Haben Sie keine Angst, dass die USA ihre Atomwaffen aus Deutschland abziehen und stattdessen mit einem europäischen Land kooperieren, das nicht von unserer Kultur der militärischen Zurückhaltung geprägt ist?
Polen hat ja bereits angeboten, in einem „Fort Trump“ US-amerikanische Truppen und taktische Nuklearwaffen aufzunehmen. Aber nein, ich habe keine Angst davor. Deutschland bleibt unabhängig von der Lagerung taktischer Nuklearwaffen in Büchel wichtig für die US-Armee.

Von der Nato können Sie keine Unterstützung erwarten. Ihr Generalsekretär Stoltenberg hat den Vorschlag der Verteidigungsministerin gelobt, Ersatz für die Tornados zu beschaffen.
Ich brauche nicht die Unterstützung der Nato, ich möchte die Unterstützung der Bevölkerung. Ich bin sehr zuversichtlich, dass viele Deutsche es begrüßen werden, wenn ihre Regierung sich noch stärker für Abrüstung einsetzt. 

Die Union sagt, Vizekanzler Olaf Scholz und Außenminister Heiko Maas hätten Zustimmung zur Nachfolgeentscheidung der CDU-Verteidigungsministerin signalisiert. War das so?
Das ist nicht mein Kenntnisstand. Wenn die Union das sagt, bezweifle ich, dass die Union in diesem Punkt die Öffentlichkeit korrekt informiert.

Beide SPD-Minister bekennen sich zum Prinzip der nuklearen Teilhabe. Gibt es da einen Dissens mit Ihnen?
Vielleicht gibt es aus unterschiedlichen Verantwortungen heraus unterschiedliche Blickwinkel auf diese Frage. Aber am Ende sind sich alle Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten einig, für Abrüstung, Rüstungskontrolle und eine nuklearwaffenfreie Welt einzutreten. Ich glaube, es ist richtig, dass ich als Fraktionschef der SPD eine Debatte einfordere, wie eine friedliche internationale Ordnung ohne Atomwaffen gestaltet werden kann. 

Die Union drängt darauf, Deutschland müsse den Bitten Frankreichs nachkommen und den Bundeswehr-Einsatz in Mali ausweiten, weil die Sicherheitslage in der Sahel-Zone immer schlechter werde. Ist die SPD dafür das Mandat auszuweiten?
Die Verteidigungsministerin hat einen Entwurf für die Ausweitung des Mali-Mandats vorgelegt, der mangelhaft ist und jetzt nachgearbeitet werden muss. Wir können das Mandat erst bewerten, wenn dieser Mangel behoben ist.

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