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Mit 89,2 Prozent der Deligiertenstimmen gewählt: Norbert Walter-Borjans .

© Kay Nietfeld/dpa

SPD-Doppelspitze Esken und Walter-Borjans: 89,2 und 75,9 Prozent – Jubel, Skepsis und eine spürbare Kluft

Die SPD hat erstmals ein Führungsduo. Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans betonen in ihren Reden eine linke Agenda – und ihre Kompromissbereitschaft.

Die Erwartungen sind riesig. Als Saskia Esken fast pünktlich um 12 Uhr im roten Blazer ans Rednerpult tritt, füllt sich der große Saal schlagartig. Die Stuhlreihen im Delegiertenbereich sind eng besetzt, dahinter stehen Hunderte und blicken zu Esken aufs Podium. Alle wollen wissen: Wer ist die bislang eher unbekannte Bundestagsabgeordnete, die künftig die Partei führen wird? Wie macht sie sich? Was hat die Neue zu sagen?

Dass Esken jetzt hier steht, damit haben nur wenige in der Partei gerechnet. Sie und der ehemalige NRW-Finanzminister Walter-Borjans haben als dezidiert linkes Duo die Urwahl mit 53 Prozent gewonnen – gegen den Willen des Parteiestablishments im Willy-Brandt-Haus, der Ministerien und der Bundestagsfraktion. Damit haben die beiden Parteigeschichte geschrieben. Mit 75,9 Prozent der Delegiertenstimmen für Esken und 89,2 Prozent für Walter-Borjans werden sie dann am Freitagnachmittag offiziell gewählt – als erstes Führungsduo der ältesten Partei Deutschlands.

Vor allem konservative Sozialdemokraten entsetzt das. Die Skepsis gegen die Neuen ist nach wie vor groß. Auf der Parteitagsbühne versucht man zwar, die Kluft zu überdecken, den Konflikt zu überspielen – doch hinter vorgehaltener Hand schimpfen prominente Genossen kurz vor der Wahl noch immer über die designierte Parteivorsitzende Esken.

Die sei nicht teamfähig, zu verbissen, keine gute Wahl. Trotz aller Beteuerungen, dass die zurückliegende Suche nach einer neuen Parteispitze die SPD belebt habe: die Krise der Sozialdemokraten ist auch mit den Neuen noch lange nicht vorbei.

Das dürfte auch Esken klar sein, als sie die Parteitagsbühne betritt. Kann sie mit ihrer Bewerbungsrede die Skepsis ihrer Gegner zerstreuen? Den Kritikern vielleicht den Wind aus den Segeln nehmen?

Keine feurige Rede, trotzdem Applaus

Eine feurige Rede hält Esken nicht. Zwischenapplaus erhält sie trotzdem mehrfach – und als sie am Ende der 27-minütigen Ansprache ihren Ko-Bewerber Norbert Walter-Borjans auf die Bühne holt, stehen die Genossen auf und bejubeln die beiden. Das Publikum scheint an das Versprechen zu glauben, das ihnen Esken in ihrer Rede macht: „Wir sorgen dafür, dass es besser wird“.

Beide, Esken und Walter-Borjans, streicheln in ihren Reden dann auch die linke Parteiseele, berufen sich auf den sozialdemokratischen Übervater Willy Brandt – was in der SPD stets verlässlich für Applaus sorgt. Ihre Bewerbungsreden liefern weitgehend das, wofür Esken und Walter-Borjans gewählt wurden. Allerdings versuchen sie auch, ihren Gegnern ein Angebot zu machen.

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Beide nehmen den Parteitag mit auf einen Ritt durch die linke Themenwelt: von Frieden und Europa über Bildung und Umverteilung bis hin zum Umweltschutz. Links, sagt Walter-Borjans, das sei die „richtige politische Richtung“. Der Applaus zeigt: Die Sehnsucht nach einem Kurswechsel, von der Mitte weiter nach links, scheint groß zu sein bei den Sozialdemokraten.

Um sich diesen Wunsch zu erfüllen, haben die SPD-Mitglieder Esken und Walter-Borjans in der Urwahl mit 53 Prozent gewählt. Vor allem Esken betont deshalb ihre Verbundenheit zur Basis. „Heute bin ich Bundestagsabgeordnete, aber ich habe nicht vergessen, wo ich herkomme“, verweist sie auf ihre berufliche Vergangenheit als Paketbotin.

Ganz kurz zusammengefasst:

Nun werde man „gemeinsam Erfolg“ haben, verspricht Esken den Mitgliedern. Sie arbeitet sich daran ab, was aus ihrer und der Sicht ihrer Anhänger in den vergangenen Jahren schiefgelaufen sei in der SPD. Man müsse Hartz IV endlich überwinden, „den Sozialstaat ins 21. Jahrhundert überführen“, und „die digitale Revolution so gestalten, dass sie menschlich wird“. Damit verweist Esken auf ihr Spezialthema: die Digitalpolitik. „Ein Ökonom und eine Informatikerin“ stehe künftig an der Parteispitze, sagt Esken. Sie will den Anspruch unterstreichen, die SPD zukunftsfest zu machen. „Klare Kante, klare Sprache, klarer Kurs“ – damit werde man das schaffen.

Walter-Borjans streckt in seiner Rede vor allem die Hand aus in Richtung Regierung und SPD-Bundestagsfraktion – er lobt Außenminister Heiko Maas, den Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, den Europabeauftragten Udo Bullmann, den ehemaligen Vorsitzenden Martin Schulz.

Walter-Borjans fordert Kompromissbereitschaft ein

Während Esken die Basis bespielt, übernimmt Walter-Borjans vor allem die Aufgabe, die Skepis unter den regierungstreuen Sozialdemokraten zu zerstreuen – die SPD-Bundesminister und auch die Abgeordneten im Bundestag hatten sich im parteiinternen Wahlkampf mehrheitlich für Olaf Scholz und Klara Geywitz als neue Parteichefs ausgesprochen, nicht zuletzt wegen der Dauerkritik an der Groko, die Esken und Walter-Borjans zuletzt übten. Jetzt werden sie mit den Groko-Anhängern zusammenarbeiten müssen.

„Wir müssen zu Kompromissen bereit sein“, sagt Walter-Borjans dann auch. Er spricht da auch aus Erfahrung. Die Kernforderungen, die Esken und Walter-Borjans im parteiinternen Wahlkampf aufgestellt hatten, trafen beim alten Parteivorstand bislang auf taube Ohren. Weder der 12-Euro-Mindestlohn noch die 50 Milliarden Euro jährliche Staatsinvestitionen haben es in den Leitantrag geschafft. Stattdessen finden sich dort viele Kompromiss-Formulierungen – etwa zur „Schwarzen Null“, deren Ende Walter-Borjans beim Parteitag abermals fordert.

Walter-Borjans umarmt Esken, nachdem bekannt gegeben wurde, dass 89,2 Prozent der Delegierten für ihn gestimmt haben.
Walter-Borjans umarmt Esken, nachdem bekannt gegeben wurde, dass 89,2 Prozent der Delegierten für ihn gestimmt haben.

© REUTERS/Fabrizio Bensch

Künftig dürfe es „keine Festlegung der Parteimeinung aus der Koalitionsdisziplin heraus“ mehr geben, fordert Walter-Borjans nun. Außerdem lautet seine Devise: „Keine Alleingänge“ mehr. Stattdessen müsse es einen „ständigen Austausch“ geben zwischen der Parteizentrale und den anderen Machtzentren in der SPD, den Ministerien und der Bundestagsfraktion.

Auch Esken geht ein Stück weit auf die Groko-Anhänger zu. Im Wahlkampf hatte sie stets etwas schärfere Formulierungen gewählt als Walter-Borjans, wenn es um die Zukunft der Groko ging. Jetzt sagt sie: Es bestehe durchaus eine „eine realistische Chance auf eine Fortsetzung“ der Groko – obwohl Esken skeptisch bleibe, was die Zukunft der Groko angehe. Vor der Stichwahl hatte sie „eigentlich keine Chance“ mehr für die Zusammenarbeit mit der Union gesehen.

Kein schneller Groko-Ausstieg gewünscht

In der Groko-Frage haben sich die beiden Neuen damit deutlich positioniert: Den schnellen Ausstieg wollen sie nicht. Bei manchen an der Basis sitzt der Groko-Frust allerdings noch immer tief – viele dürften Esken und Walter-Borjans nicht zuletzt gerade wegen deren offener Kritik an der großen Koalition gewählt haben.

Zur Hauptaufgabe von Esken und Walter-Borjans wird es deshalb auch gehören, die zerrissene Partei zu einen: die Gegner und Anhänger der Groko zu versöhnen und jene Skeptiker zu überzeugen, die das neue Führungsduo kritisch sehen.

Den Anspruch erheben die beiden neuen SPD-Chefs: „Wir wollen diese Partei zusammenführen“, sagt Walter-Borjans – und erhält dafür spontanen Applaus. „Nur Einigkeit macht stark.“

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