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Die Dresdener Juso-Chefin Sophie Koch rechnet mit der Großen Koalition ab.

© Stefan Kraft

SPD-Basis in Aufruhr: Frau Koch und die große Wut auf die GroKo

Raus aus der Großen Koalition, sofort! An der SPD-Basis rumort es gewaltig. Und dann ist da noch die Dänen-Frage.

Sophie Koch, der Juso-Chefin in Dresden, ist letztens bei Twitter der Kragen geplatzt: "Warum ich als (ostdeutsches) #Juso und #spd Mitglied manchmal unfassbar wütend bin", lautete der Start einer Abrechnung. Einer Abrechnung mit der Großen Koalition. Einer Abrechnung, die einiges über die Lage in der SPD nach dem Rücktritt von Parteichefin Andrea Nahles sagt.

"Ich bin vor 6 Jahren in die Partei eingetreten, seitdem engagiere ich mich ohne Pause, opfere Wochenenden, habe mein Studium vernachlässigt, kenne einen Terminplan so voll wie der mancher Abgeordneten. Und drehe dabei am Ende des Monats trotzdem jeden Cent um", schrieb sie.

Und weiter: "Was mich aber wirklich wütend macht: 9mal Kluge Ideen von GroKo Befürwortern, von früheren Parteivorsitzenden oder noch Vorstandsmitgliedern, die aus einer durchaus bequemen Position heraus denken, ein „weiter so“ wird uns schon irgendwie retten. Fehlanzeige: in Sachsen kämpfen wir auch dank der Bundespolitik darum, überhaupt zweistellig zu werden, hier kämpfen wir, gegen schwarz-blau. Hier kämpfen wir schlicht und ergreifend um unsere Demokratie. Hier geht es um so viel mehr Regierungsbeteiligung. Und währenddessen ruhen sich manche auf der GroKo aus, beschließen eine weitere Verschärfung im Asylrecht und bestätigen damit lediglich was AfD Anhänger wollen, hängen in der Klimapolitik hinterher, und nehmen unsere Generation immer noch nicht ernst!"

Ihr Fazit: "Ich hab es satt! Ich will eine SPD die aufhört die kleine CDU zu sein, ich will eine SPD, die uns Jusos nicht als nützliche Wahlkämpfer*innen sieht, sondern verdammt nochmals mit ans Steuer lässt. Ich will eine SPD, die sich was traut!"

In ihrer Selbstbeschreibung betont Koch "Gin, Pinguine und Feminismus sind mein Ding". Ein Anruf bei einem SPD-Mitglied in Wut. "Für mich persönlich ist das Kernproblem der Verbleib in der Groko", sagt Koch. Statt wie von der NRW-SPD gefordert den Parteitag erst im Dezember abzuhalten und dort auch erst über den Verbleib in der Koalition zu entscheiden, müsse eine Entscheidung vor der Landtagswahl in Sachsen am 1. September her.

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Verhindern, dass die AfD stärkste Kraft wird

"Wir müssen verhindern, dass die AfD stärkste Kraft wird - dafür braucht es auch eine starke SPD." In Umfragen liegt die SPD hier bei neun bis zehn Prozent - Koch hält die Koalition mit der CDU in Sachsen für besser als die mit CDU/CSU im Bund. "Es muss was auf der Bundesebene passieren, damit uns nicht der ganze Osten flöten geht", sagt sie.

Denn auch in Thüringen (27. Oktober) und Brandenburg (1. September) wird bald gewählt. "Die sehen nicht, was das Aussitzen für Probleme mit sich bringt." Scharf kritisiert Koch zudem, dass nur acht SPD-Bundestagsabgeordnete gesagt hätten, sie könnten das Gesetz für eine strengere Abschiebepolitik, das am Freitag vom Bundestag verabschiedet worden ist, nicht mittragen. "Das hat mich erschüttert."

SPD ist inhaltlich tief gespalten

Das ist noch so eine Debatte, die die SPD gerade beschäftigt: Soll man sich ein Beispiel am Kurs der dänischen Sozialdemokraten nehmen, die mit einer härteren Migrationspolitik gerade die Wahlen gewonnen haben? Die Kritik von Koch zeigt, die SPD ist in dieser Frage inhaltlich tief gespalten - und statt solche grundlegenden Punkte inhaltlich richtig zu klären (auch die Nahles-Vorgänger Sigmar Gabriel und Martin Schulz haben das versäumt), wird nun über mehrere Monate inklusive einer Vorstellungstour an der Basis nach einer neuen Parteiführung gesucht - bis Freitag können die Mitglieder noch Vorschläge für das Prozedere abgeben, während der interne Druck anschwillt.

So schrieb der langjähriger Berliner Bildungs-Staatssekretär Mark Rackles in einer schonungslosen Analyse: "Wenn nicht endlich wirksame Schlussfolgerungen aus den vorliegenden Fehleranalysen (und eindeutigen Wahlanalysen) gezogen werden, ist die Frage nach einer Doppelspitze, dem konkreten Parteitagstermin oder gar der Einläutung eines neuen (mehrjährigen) Grundsatzprogrammprozesses schlicht egal, weil unsere Partei weiter an Vertrauen verlieren wird."

Klimaschutz sträflich vernachlässigt

Und weiter: "Die SPD muss nach wie vor ihr eigenständiges Profil jenseits der Koalition über eine kompromisslose Parteipolitik bilden. Die angestrebte Erneuerung innerhalb der großen Koalition ist mit Stand heute gescheitert!" So denkt eine wachsende Zahl in der Partei.

Fragen von Klimaschutz und Ökologie seien sträflich vernachlässigt worden, der Partei würden Vordenker wie der Solarpionier Hermann Scheer fehlen. Der Parteivorstand habe "nur mutloses Stückwerk vorgelegt („Neuer Sozialstaat“-Papier vom Februar 2019 als zaghafte Selbstkorrektur der Agenda 2010-Politik) bzw. ist seit Jahren Steuerkonzept schuldig."

Basis will mehr mitreden

Künftig will die Basis mehr mitreden, doch die Lage ist so kompliziert, dass sich verschiedene Probleme überlappen. In einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel zogen die Parteienkenner Wolfgang Merkel und Wolfgang Schroeder gerade eine interessante Parallele, die die Dramatik unterstreicht:

"Mit Blick auf die SPD-Parteigeschichte darf man an die tiefste Stunde sozialdemokratischer Not in der alten Bundesrepublik erinnern. Nach der desaströsen Wahlniederlage des Jahres 1957, als die Union das erste und einzige Mal die absolute Mehrheit bei einer Bundestagswahl erreichte, reagierte die SPD mit einer doppelten Zäsur: Sie formulierte Reformen für Partei und Programmatik in einer Art Doppelbeschluss auf den Stuttgarter (1958) und Godesberger (1959) Parteitagen."

Abschied von alter Parteiorganisation

In Stuttgart habe die SPD von der alten Parteiorganisation Abschied genommen, verlagerte ihr Schwergewicht in die Fraktion und öffnete sich für die neuen medialen Herausforderungen. "In Godesberg modernisierte sie ihr politisches Programm. Sie löste sich von überkommenen marxistischen Schablonen, um den Kapitalismus sozial zu gestalten." Godesberg steht bis heute für einen neuen Aufbruch, den Aufbruch zur Volkspartei. Merkel und Schroeder kritisieren auch die Kritik von Vertretern der Parteilinken wie SPD-Vize Ralf Stegner am Kurs der dänischen Schwesterpartei scharf.

Das Motto laute: Die anderen mögen Wahlen gewinnen, wir aber haben die richtige (kosmopolitische) Moral. "Die SPD droht im gegenwärtigen Strudel ihres dramatischen Verfalls zu einer Doppelspezialistin zu werden: eine für Wahlniederlagen und eine für die überlegene Moral. Das ist das lernunwillige Verhalten einer Partei, die den Anschluss an traditionelle Teile der Gesellschaft verloren hat."

Im Arbeiterlied, das am Ende der Parteitage bei der SPD traditionell gesungen wird, heißt es bekanntermaßen: "Wann wir schreiten Seit' an Seit'." Doch wohin und mit wem die Genossen schreiten wollen, das ist die große Frage. Positiv gewendet lässt sich sagen: Die SPD erlebt gerade einen urdemokratischen Moment - nicht die Funktionäre geben den Kurs vor, die Basis gewinnt an Einfluss. Klar ist: Die SPD wird künftig eine andere Partei sein. In der Krise liegt auch eine Chance, wie es so schön heißt.

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