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Thilo Sarrazin

© dapd

SPD-Ausschlussverfahren: Sarrazin bleibt - nur links geht’s raus

Nur Sozialisten fliegen bei den Sozialdemokraten aus der Partei. Auch Thilo Sarrazin hat das Gesetz der Serie nicht geknackt. Eine Geschichte der SPD-Ausschlussverfahren.

Sie wollten die unangenehme Affäre beerdigen, unbemerkt und kurz vor Ostern. Das hat nicht funktioniert. Im Gegenteil, der gescheiterte Parteiausschluss im Fall Sarrazin rührt an fast Vergessenes in der SPD. In Leserbriefen wird an die lange Geschichte der sozialdemokratischen Parteiausschlüsse erinnert. Und an das Muster, das sich auch im Falle Sarrazin bestätigt: Gefeuert wurden, vom Kaiserreich bis zu den WASG-Sympathisanten hundert Jahre später, stets linke Sozis.

Nein, an einen Parteiausschluss aus dem Kreis der Rechten könne auch sie sich nicht erinnern, sagt die Historikerin Helga Grebing, Doyenne der SPD-Geschichtsschreibung, Mitglied der Historischen Kommission beim Parteivorstand, selbst eingetragene Genossin und bekanntermaßen keine Linke. Auf der anderen Seite habe es dagegen oft „ehrenwerte Sozialdemokraten“ getroffen wie Wolfgang Abendroth und Ossip K. Flechtheim.

In der Tat ist die Liste der Ausgeschlossenen lang und prominent besetzt: Dem Marburger Staatsrechtler und Politologen Abendroth, einem der Väter der deutschen Politikwissenschaft nach 1945 und bedeutenden Grundgesetzinterpreten, und seinem Berliner Kollegen Flechtheim warf die Partei ihre Sympathie für den SDS vor, die frühere Studentenorganisation der SPD. Abendroth und Flechtheim bekamen 1961 den Stuhl vor die Tür gesetzt. Drei Jahre zuvor war Viktor Agartz, einst leitender Wirtschaftsexperte des DGB und Mitglied im SPD-Vorstand, geflogen. Einen so hochrangigen Rauswurf hatte man sich vierzig Jahre zuvor schon einmal geleistet: Der Kriegsgegner Hugo Haase, der 1917 die Partei verlassen musste, war bis kurz zuvor ihr Vorsitzender.

Richtig in Fahrt kam die Ausschlussmaschinerie in den 70ern. 1977 katapultierte sie unter anderem den neugewählten Chef der Parteijugend Jusos, Klaus Uwe Benneter, und die Vorsitzende des Sozialistischen Hochschulbundes, Mechtild Jansen, aus der Partei. Ihre Vergehen: Der Berliner Benneter, der später wieder eintrat und es sogar zum Generalsekretär brachte, hielt Christdemokraten seinerzeit für politisch schlimmer als Kommunisten und hatte mit den Falschen, Kommunisten nämlich, zu einer Abrüstungsdemonstration aufgerufen. Jansen hatte bei den falschen Leuten einen Vortrag gehalten. Mit ihnen flogen Dutzende, die gegen den Rausschmiss protestierten.

„Es ging immer gegen die linken Studenten“, sagt der emeritierte Berliner Juraprofessor Uwe Wesel. Unter den vielen Köpfen, die unters Schwert der Partei gerieten, dürfte Wesel selbst ein Unikum sein. Gleich drei Verfahren hatte er am Hals, dreimal, so erinnert sich Ex- und seit 2008 Wieder-Mitglied Wesel, habe er Anfang der 70er „Post von Herrn Müller aus der Müllerstraße“, bekommen, dem Sitz der Berliner SPD. Zweimal konnte er den Ausschluss über einen Freund in der Bonner Bundestagsfraktion abwenden. Auch im Fall Wesel ging es jedes Mal um Kontakte nach links. Entscheidend war schließlich 1974 sein Vortrag über „Die Rolle individuellen Terrors in der Arbeiterbewegung“ vor den kommunistischen Studenten des KSV. Er hatte die Gardinenpredigt an die „KPdFU“ (Wesel) mit der Drohung erzwungen, sonst seine Unterschrift gegen deren Verbot zurückzuziehen. Die ultralinken Jungkader hatten eine Kampagne gegen sozialdemokratische FU-Professoren wie Richard Löwenthal und Alexander Schwan ausgerufen, die mit Telefonterror überzogen und deren Autoreifen zerstochen wurden. „Das hörte danach sofort auf“, erinnert sich Wesel. „Und ich dachte, jetzt bedanken sich die Uni oder der Regierende Bürgermeister bei mir.“ Stattdessen kam zum dritten Mal Post aus der Müllerstraße und Wesel flog nun tatsächlich aus der SPD – weil er den Kommunisten angeblich taktische Tipps gegeben hatte.

Auch wenn Parteiausschlüsse in den letzten Jahrzehnten aus der Mode gekommen scheinen – 1981 traf es noch den Bundestagsabgeordneten Karl-Heinz Hansen, der seinen Kanzler Helmut Schmidt wegen des Nato-Doppelbeschlusses „politischer Schweinerei“ zieh: Das Muster funktioniert bis heute. Links sprengen schon kritische Sätze und die falschen Auftrittsorte die Grenzen der Toleranz, rechts wird nicht einmal eine Wahlempfehlung für die Konkurrenz als parteischädigend erachtet. Wolfgang Clement, einst Schröders Superminister, hatte kurz Chancen, als erster Rauswurf eines Prominenten vom rechten Flügel in die SPD-Geschichte einzugehen. Er hatte 2008 vor der Wahl in Hessen vor der Spitzenkandidatin, seiner Genossin Ypsilanti gewarnt, die Schiedskommission der nordrhein-westfälischen SPD wollte seinen Ausschluss. Doch in letzter Instanz fiel das Wunder aus, es setzte nur eine Rüge. Clement, dem auch das zu viel war, trat am Tag darauf selbst aus. Auch von den vier Abgeordneten, die nach der Wahl eine SPD-geführte Regierung unter Ypsilanti verhinderten, musste keiner die Partei verlassen.

Dem Parteilinken Detlev von Larcher dagegen wurde im selben Jahr ein sehr kurzer Prozess gemacht, als er zur Wahl der Linken aufrief. Per Brief und ohne ihn anzuhören, klagte Larcher, sei ihm mitgeteilt worden, dass er nach fast 40 Jahren SPD nun draußen sei.

Auch Thilo Sarrazin hat das Gesetz der Serie nicht geknackt. Die Parteispitze hielt ihm zugute, er habe sich vom Sozialdarwinismus in seinem Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ distanziert – was er umgehend bestritt. „Problematisch“ nennt die Parteikennerin Helga Grebing das Verfahren, das mit jenem „ziemlich lauwarmen Text“ Sarrazins endete. Sarrazin, sagt Grebing, habe „Grundwerte und Substanz“ der SPD beschädigt. „Ich halte ihn nicht mehr für jemanden, der in die Partei gehört, der ich selbst angehöre.“ Und so wichtig ihr die Rechte des einzelnen Mitglieds gegenüber der Partei seien, inzwischen stelle sich doch eine weitere Frage: „Wie schützen wir uns vor einem Genossen wie Sarrazin?“

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