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Immer abwehrbereit. Soldaten während der Nato-Übung „Cold Response“.

© AFP

Spannungen zwischen den Großmächten: Wie die Arktis militarisiert wird

Der Krieg in der Ukraine ist ein Wendepunkt für die Arktispolitik der Nato. Norwegen zieht daraus Konsequenzen – und investiert massiv ins Militär.

Für Norwegens Sicherheitspolitiker kam das Manöver zur rechten Zeit. 30.000 Soldaten, mehr als 200 Flugzeuge und 50 Schiffe aus 27 Nato-Staaten probten im hohen Norden über Wochen ihre Kampffähigkeit. Jonas Gahr Støre, Norwegens Ministerpräsident, sprach von einer „exzellenten Möglichkeit, Einigkeit und Stärke der Allianz zu zeigen“.

Und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, selbst Norweger, flog direkt nach dem Gipfel der Allianz in Brüssel in das arktische Einsatzgebiet des Manövers „Cold Response“, um die Präsenz des Bündnisses zu untermauern. „Die Nato ist eine arktische Allianz, weil wir selbst uns in der Arktis befinden“, sagte er in Bardufoss nahe des Polarkreises.

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Nur allein waren die Nato-Truppen im hohen Norden nicht. Die russische Marine zeigte ebenfalls Präsenz, als im Zeitraum des Manövers zwei gewaltige russische Kriegsschiffe durch die Gewässer zwischen den Küsten Islands und Norwegens fuhren, darunter ein atombetriebenes Schlachtschiff als Relikt des letzten Kalten Krieges.

Wie rege das Interesse an der Arktis ist, lässt sich schon seit einigen Jahren beobachten. Längst haben Staaten wie Russland und China ein Auge auf die Region geworfen, in welcher der Klimawandel Seerouten und Lagerstätten wertvoller Rohstoffe freilegt. Jetzt verschafft die geopolitische Lage der rohstoffreichen Region neue Aufmerksamkeit. Nato-Generalsekretär Stoltenberg sprach angesichts des Krieges von einem Wendepunkt für die Region, in der Russland die meisten seiner neuen Waffensysteme teste. Schon länger registriert Norwegen zahlreiche russische Marineaktivitäten in unmittelbarer Nähe seiner Hoheitsgewässer, während es in Schweden immer wieder zu Verletzungen des Luftraums durch die russischen Luftstreitkräfte kommt.

Nun rüsten die USA in der Arktis auf und auch Großbritannien kündigte vor wenigen Tagen an, seine Präsenz zu verstärken. Die militärische Aktivität wächst also – und wird in Oslo neu bewertet. „Wir müssen unsere Präsenz im hohen Norden ausweiten“, sagte Norwegens Verteidigungsminister Odd Roger Enoksen vor kurzem in Oslo. Russland habe bedeutsame Sicherheitsinteressen in Gebieten nahe des norwegischen Staatsgebietes, auch sei die Arktis „von großer wirtschaftlicher Bedeutung“ für Russland.

30.000 Soldaten nahmen an der Nato-Übung im hohen Norden teil.
30.000 Soldaten nahmen an der Nato-Übung im hohen Norden teil.

© Reuters

Bereits Mitte März erhöhte die Regierung in Oslo den Verteidigungsetat des Landes um drei Milliarden Kronen (308 Millionen Euro). Und anders als die über viele Monate geplante Übung kann die Erhöhung des Verteidigungsetats als direkte Reaktion auf den Krieg Russlands in der Ukraine gesehen werden. Die zusätzlichen Gelder sollen unter anderem dafür verwendet werden, die Präsenz der norwegischen Marine in der Arktis und nahe der Grenze zu Russland zu verstärken. „Auch wenn ein russischer Angriff auf Norwegen sehr unwahrscheinlich ist, müssen wir erkennen, dass wir einen Nachbarn im Osten haben, der immer gefährlicher und unberechenbarer wird“, sagte Enoksen vor Journalisten.

„Der Angriffskrieg in der Ukraine beschleunigt die Anstrengungen“

Schon nach der russischen Annexion der Krim stiegen die Verteidigungsausgaben an. Während der Anteil der Militärausgaben am Bruttoinlandsprodukt 2014 noch bei rund 1,4 Prozent lag, stieg er bis 2020 auf über 1,9 Prozent. Der Verteidigungsetat wuchs teils um sieben Prozent pro Jahr. Unter anderem 52 F-35-Kampfflugzeuge werden seit einigen Jahren angeschafft. Im vergangenen Jahr bestellte die norwegische Marine bei Thyssenkrupp vier U-Boote im Wert von 4,4 Milliarden Euro.

Die jüngste Erhöhung des Verteidigungsetats führt nun dazu, dass Norwegen bald rund zwei Prozent seines BIP in die Verteidigung investiert. „Für die norwegische Bevölkerung ist der Krieg in der Ukraine zwar schockierend, aber weit weg. Die Erhöhung des Verteidigungsetats wurde kaum wahrgenommen“, sagt Karsten Friis, Wissenschaftler am Norwegian Institute of International Affairs. „In der Politik wird die Sicherheitslage aber bereits seit der russischen Annexion der Krim neu bewertet. Der Angriffskrieg in der Ukraine beschleunigt die Anstrengungen im Verteidigungssektor.“

Ähnlich wie Deutschland brach auch Norwegen zuletzt mit der restriktiven Praxis für den Export von Verteidigungsgütern. Oslo schickte im März 2000 Panzerabwehrsysteme sowie tausende Schutzwesten und Helme in die Ukraine. Am vergangenen Mittwoch kündigte Verteidigungsminister Enoksen weitere Lieferungen panzerbrechender Waffen an.

Ausgelegt auf die Integration verbündeter Truppen

Im eigenen Land geht es nun vor allem um die Fähigkeit, im Ernstfall größere Verbände verbündeter Truppen aufnehmen zu können. Genau das wird alle zwei Jahre mit „Cold Response“ getestet. Die Regierung investiert in größere Vorräte an Treibstoff, Munition und technischer Ausrüstung – eine Grundvoraussetzung für die Aufnahme verbündeter Truppen. Denn das Land, von dem Europas Energieversorgung bereits jetzt abhängt, wäre schlicht zu klein, um sich selbst zu verteidigen.

Norwegen hat in der Arktis eine 196 Kilometer lange Landgrenze zu Russland. Hinzu kommt eine gewaltige Meeresgrenze zu Russland in der Barentssee. Mit seinen rund 5,3 Millionen Einwohnern verfügt das Land gerade einmal über 17.000 aktive Soldaten. „Niemand fürchtet die Okkupation von großen Teilen des Landes. Das klappt ja bereits in der Ukraine nicht“, sagt Friis. „Norwegens Streitkräfte sind hochmodern“, sagt Friis. „Sie sind aber darauf ausgelegt, große Truppenverbände von Verbündeten zu integrieren. Es geht darum, dass Kapazitäten für den Ernstfall zur Verfügung stehen.“

Bilaterales Abkommen mit den USA

Das neue Tempo in der Sicherheitspolitik lässt sich auch in bilateralen Verhandlungen erkennen. Jahrelang führten etwa Washington und Oslo Gespräche über einen besseren Zugang des US-Militärs zu norwegischen Militärstützpunkten und den Aufbau eigener Infrastrukturen. Den USA geht es darum, im Ernstfall schneller Truppen und Material verlagern zu können.

Für die Regierung in Oslo ist dies brisant. Norwegen legte sich einst selbst die Regel auf, im Friedensfall nicht dauerhaft Truppen verbündeter Staaten aufzunehmen und Finnmark, die Grenzregion zu Russland, weitestgehend entmilitarisiert zu halten. Spannungen mit Russland sollten vermieden werden und daran hält sich die Regierung bis heute. Noch immer gibt es keinen Nato-Stützpunkt im Land.

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Die Regierungen schlossen bereits im vergangenen Jahr ein Abkommen über einen besseren Zugang zu mehreren Stützpunkten. Die Vereinbarung bedarf allerdings der Zustimmung des norwegischen Parlaments – sie kann angesichts der Entwicklungen in der Ukraine wohl als gesichert gelten.  „Wenn die eigenen Verteidigungsmöglichkeiten begrenzt sind, ist die Diplomatie umso wichtiger“, sagt Friis. „Bilaterale Abkommen ergänzen das Nato-Bündnis.“ Auch Großbritannien halte auf norwegischen Stützpunkten längst Infrastruktur vor, habe aber nicht dauerhaft Soldaten im Land.

Wie der Kreml die Präsenz der Nato in der Arktis sieht, macht ein russisches Manöver im Februar deutlich. Nur wenige Tage vor der russischen Invasion in der Ukraine übte die russische Marine in der Barentssee, feuerte auch atomwaffenfähige Raketen ab. Das politische Signal an die Nato und vor allem die USA war unmissverständlich.

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