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CDU-Politiker Jens Spahn beim Parteitag der Christdemokraten.

© AFP/Tobias Schwarz

Spahn und Gysi bei Buchvorstellung in Berlin: „Mit der Bergpredigt können Sie kein Land regieren“

Jens Spahn, der Katholik, nimmt die Essener Tafel in Schutz. Gregor Gysi, der Atheist, warnt vor einer "gottlosen Gesellschaft". Eine Diskussion über das Christentum.

Er spricht es selbst an, jenes „große europäische Thema, das Westeuropa die nächsten fünfzig Jahre beschäftigen wird“. Flüchtlinge, Einwanderung, Islam, Integration. Vom Brexit bis zum Wahlergebnis in Österreich: Darum geht’s. Alles andere ist alles andere. Jens Spahn ist in seinem Element. Da sei die konservativ-reaktionäre Koran-Auslegung vieler Moscheegemeinden, unter der vor allem Frauen und Andersgläubige zu leiden hätten. „Gut möglich, dass uns der Laden irgendwann um die Ohren fliegt.“ Schließlich habe es seit 500 Jahren aus dem arabischen Kulturkreis auch keine wirtschaftlichen Innovationen gegeben.

Fast nahtlos landet Spahn dann beim Streit um die Essener Tafel. Der Sozialstaat habe sich bislang immer als Nationalstaat definiert, sagt er. Jeder Bürger dieses Nationalstaats habe Steuern in die Kassen der Solidargemeinschaft gezahlt. Doch bis zu welchem Maß, fragt der designierte neue CDU-Gesundheitsminister, hält es eine Solidargemeinschaft aus, dass von ihm Menschen profitieren, die nie eingezahlt haben? Abschließend kommt der kurze, harte Hieb in Richtung Angela Merkel, die den vorübergehenden Aufnahmestopp der Essener Tafel für Ausländer kritisiert hatte. „Ich tue mich mit dem erhobenen Zeigefinger aus Berlin sehr, sehr schwer“, sagt Spahn, ohne den Namen der Kanzlerin zu nennen. Das sitzt. Das Publikum klatscht.

Eine vehemente Verteidigungsschrift

Eigentlich sollte es friedlich und besinnlich zugehen an diesem Mittwochabend in der Bundespressekonferenz. Der Herder-Verlag hatte zu einer Buchvorstellung des Autors Manfred Lütz eingeladen. Lütz ist katholischer Theologe und Psychotherapeut, sein neuestes Werk heißt „Der Skandal der Skandale – Die geheime Geschichte des Christentums“. Das klingt zunächst wie eine Abrechnung mit der christlichen Religion, ist aber eine vehemente Verteidigungsschrift, wissenschaftlich fundiert, geprüft von renommierten Historikern, wie Lütz mehrfach beteuert.

Ob Kreuzzüge, Hexenprozesse, Inquisition, Abschaffung der Sklaverei, Ketzerverfolgung, Indianermission, Frauenemanzipation oder Zölibat: Kaum ein Klischee über das Christentum lasse sich historisch erhärten, sagt Lütz, dessen Buch gewissermaßen die Kurzfassung des 800 Seiten starken Standardwerkes des Historikers Arnold Angenendt ist („Toleranz und Gewalt – Das Christentum zwischen Bibel und Schwert“). Es ist eine verdienstvolle Arbeit, die die Lektüre lohnt.

„Taugt das Christentum noch als geistiges Fundament Europas?“ Darüber diskutierten mit Lütz, moderiert von Wulf Schmiese vom ZDF, Jens Spahn und Gregor Gysi. Die beiden Politiker duzen sich, spielen einander die Bälle zu. Gysi, der linke Agnostiker, fürchtet eine „gottlose Gesellschaft“ ohne verbindliche Moral. Nur die Kirchen- und Religionsgemeinschaften seien in der Lage, allgemeinverbindliche Normen aufzustellen, meint er. Ohne das Christentum gäbe es kein Nachdenken in der Gesellschaft über Barmherzigkeit und Nächstenliebe, keine Rückbindung der menschlichen Würde an die Gottesebenbildlichkeit. Man höre und staune. Gysi erzählt weiter, wie er Kraft aus der Bergpredigt gewann, das Christentum als Orientierung entdeckte. Leidenschaftlich verteidigt der langjährige Fraktionsvorsitzende der Linken das Engagement von Papst Franziskus. Der sei von den Kardinälen in der Krise wegen der Missbrauchsskandale gewählt worden, „jetzt stört er sie“.

„Mit der Bergpredigt können Sie kein Land regieren“

Spahn wiederum, der konservative Katholik, plädiert für ein eher spirituelles statt politisches Christentum. „Mit der Bergpredigt können Sie kein Land regieren“, erwidert er. Ein Staat müsse gerecht sein, nicht barmherzig, er sollte die Menschen nicht glücklich machen wollen, sonst werde er ideologisch, wenn nicht gar totalitär. „Für mich ist nicht der Staat die Stütze der Gesellschaft, sondern Gemeinschaften wie die Ehe sind es.“

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Die Skandalisierung der Geschichte von Christentum und Kirche sei ein Skandal, wiederholt Lütz gegen Ende der Veranstaltung. Zu viele Christen würden ihre Wurzeln nicht kennen und sich für die Geschichte ihrer Religion schämen. Kein Wunder: Seit 2000 Jahren werde eine Art Wahlkampf gegen das Christentum betrieben. Die „Behauptungen Hitlers und Honeckers“ über die Kirche lebten als haltlose Klischees weiter. Sein Buch soll aufklären, ein Gegengewicht schaffen zu den Diskreditierungen. „Taugt das Christentum noch als Fundament Europas?“, lautete die Frage für die Diskussionsrunde. Über das kleine Wort „noch“ redete keiner.

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