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Der Eigenbeitrag im Pflegeheim soll auf 700 Euro im Monat begrenzt werden.

© Frank Rumpenhorst//dpa

Spahn stellt Ideen für Reform vor: Sechs Milliarden für die Pflege - vor allem aus Steuermitteln

Beschäftigte in der Pflege sollen flächendeckend nach Tarif bezahlt werden und der Eigenanteil für Heimbewohner soll gedeckelt werden. Doch die Reform stößt auch auf Kritik.

Bis zur Bundestagswahl ist es weniger als ein Jahr hin – doch Gesundheitsminister Jens Spahn will vorher noch eine Pflegereform auf den Weg bringen. Am Wochenende skizzierte der CDU-Politiker erste Ideen, die er innerhalb der Koalition besprechen will. Ein wichtiger Bestandteil seines Konzepts: Für Pflegebedürftige, die im Heim leben, soll der Eigenanteil zu den Pflegekosten gedeckelt werden. Er wolle „einen Rahmen setzen, der Pflege kalkulierbarer macht“, sagt Spahn.

Außerdem will der Minister die Leistungen für die Pflege zu Hause vereinfachen. Für die Beschäftigten in der Pflege will er darüber hinaus flächendeckend Tariflöhne durchsetzen.

Gesundheitsminister Spahn schlägt vor, dass Heimbewohner maximal einen Eigenanteil zu den Pflegekosten von 700 Euro im Monat zahlen sollen – und dies längstens drei Jahre lang. Danach soll dieser Betrag auf null sinken. Das bedeutet allerdings nicht, dass Pflegebedürftige dann nichts mehr aus eigener Tasche für ihren Heimplatz zahlen müssen. Denn zu dem „Eigenanteil“ kommen noch andere Kosten hinzu.

Laut einer Statistik des Verbands der Ersatzkassen zahlen Heimbewohner derzeit im Durchschnitt 2015 Euro im Monat selbst. Davon entfallen 774 Euro auf Unterkunft und Verpflegung, 445 Euro sind für Investitionskosten der Pflegeheimbetreiber vorgesehen – der Eigenanteil an den Pflegekosten beträgt demnach 786 Euro im Monat.

Der Pflegeexperte Thomas Kalwitzki von der Universität Bremen bezeichnet die vorgeschlagene Begrenzung des Eigenanteils als einen großen Schritt in die richtige Richtung. „Jeder Pflegebedürftige weiß dann, dass es ihn maximal 25.000 Euro kostet, wenn er ins Heim muss“, sagt der Wissenschaftler. Derzeit sei es für viele Menschen „schwer kalkulierbar“, welche finanziellen Belastungen auf sie zukommen könnten. „Eine Deckelung des Eigenanteils würde große Sicherheit geben“, sagt der Gerontologe. Über die Höhe von 700 Euro im Monat könne man sich streiten, sagt Kalwitzki. Er halte es für angezeigt, den Betrag niedriger anzusetzen, damit die Entlastungswirkung größer ausfalle. „Darüber wird es im politischen Prozess sicher noch Diskussionen geben – zumal der Koalitionspartner SPD eine Vollversicherung fordert“, erwartet Kalwitzki.

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Auch die Verbraucherzentrale Bundesverband hält die finanzielle Entlastung nicht für ausreichend. Angesichts einer Durchschnittsrente von 1500 Euro seien auch mit einer Deckelung des Pflegeanteils auf 700 Euro die Gesamtkosten für die meisten Pflegebedürftigen weiterhin viel zu hoch, kritisierte Vorstand Klaus Müller. Die Linken-Bundestagsabgeordnete Pia Zimmermann sieht das ebenso: „Pflegebedarf bleibt damit ein Armutsrisiko“, sagt sie.

Seit Januar 2017 ist gesetzlich festgelegt, dass Heimbewohner mit den Pflegestufen II bis V unabhängig vom Pflegegrad den gleichen Anteil zu den Pflegekosten zahlen. Wie hoch dieser Eigenanteil ist, ist jedoch von Heim zu Heim verschieden. Auch zwischen den Bundesländern fallen die Kosten zum Teil unterschiedlich aus. Besonders hoch sind die Eigenanteile im Durchschnitt in Nordrhein-Westfalen und im Süden Deutschlands, während Heimbewohner etwa in Sachsen-Anhalt, Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern von einer Deckelung des Pflege-Eigenanteils bei 700 Euro derzeit nicht profitieren würden.

Doch auch wenn der durchschnittliche Eigenanteil in einigen ostdeutschen Bundesländern im Moment noch nicht bei 700 Euro liege, würden doch gerade in diesen Ländern die Pflegekosten stark ansteigen, so dass eine Deckelung „spätestens 2022 auch dort greifen würde“, prognostiziert der Gerontologe Kalwitzki.

Von den insgesamt 3,4 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland werden nach Angaben des Statistischen Bundesamts derzeit etwa ein Viertel in einem Pflegeheim betreut. In absoluten Zahlen sind das rund 818.000 Personen.

Pflege zu Hause

Für die Pflege zu Hause plant Spahn die Zusammenfassung zweier Leistungen (Verhinderungs- und Kurzzeitpflege) zu einem Budget, das die pflegenden Familien flexibler ausgeben können. Beide Leistungen sollen pflegenden Angehörigen ermöglichen, sich kurzzeitig vertreten zu lassen. Die Summe von 3330 Euro im Jahr, die der Minister nennt, wären rund 100 Euro höher als die gegenwärtigen Leistungen.

Tariflöhne für Beschäftigte

Spahn will die tarifliche Bezahlung von Pflegekräften sicherstellen, indem nur noch Heimträger Verträge mit den Pflegekassen abschließen dürfen, die von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgehandelte Tarifverträge anwenden. Insgesamt sind nach Angaben des Statistischen Bundesamts mehr als 1,1 Millionen Menschen in der Pflege tätig, knapp 400.000 in der ambulanten Pflege und mehr als 760.000 in den Heimen.

Auch wenn Pflegekräfte mittlerweile an vielen Orten fehlen, fällt die Bezahlung sehr unterschiedlich aus. Einen bundesweiten Tarifvertrag in der Pflege gibt es noch nicht. Das liegt auch daran, dass in der Branche sehr unterschiedliche Träger tätig sind. Es gibt private, kommunale, gemeinnützige und kirchliche Träger. Nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums gelten in der Altenpflege nur für 20 Prozent der Beschäftigten tarifliche Arbeitsbedingungen.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bei der Vorstellung seiner Pflegereform
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bei der Vorstellung seiner Pflegereform

© Frank Rumpenhorst/dpa

Der Pflegeforscher Kalwitzki findet es vernünftig, eine flächendeckende Einführung von Tariflöhnen mit der Deckelung des Eigenanteils zu verknüpfen. „Nach den bisherigen Regelungen wäre es sonst so, dass mit einer besseren Bezahlung der Pflegekräfte auch die Kosten für die Pflegebedürftigen steigen“, sagt der Wissenschaftler aus Bremen. Ein weiterer positiver Nebeneffekt: Das gerade vorgestellte Personalbemessungsverfahren könne eingeführt werden, ohne dass diese entstehenden Kosten an die Heimbewohner weitergeben würden, sagt er. Eine vor Kurzem von dem Bremer Institut veröffentlichte Studie zeigt, dass nach diesem Verfahren in allen Pflegeeinrichtungen mehr Personal nötig wäre.

Kosten der Reform

Spahn beziffert die Kosten für die Pflegereform auf sechs Milliarden Euro. Er fordert, die Mehrausgaben zu weiten Teilen aus Steuermitteln zu zahlen - und nicht aus den Beiträgen zur Pflegeversicherung. Der CDU-Politiker argumentiert, Pflege sei eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“. Durch die Erfahrungen aus der Corona-Krise sei die Akzeptanz dafür gestiegen.

Chancen auf Umsetzung

Beim Koalitionspartner SPD stößt Spahn mit seinen Vorschlägen grundsätzlich auf Zustimmung. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil verwies am Montag auf einen Beschluss der SPD von 2019, in dem sich die Partei für einen Deckel bei den Eigenanteilen ausgesprochen habe.

Er forderte zugleich Nachbesserungen am Konzept. Der Minister begehe den Fehler, dass er alle gleich viel bezahlen lassen wolle, sagte Klingbeil: „Das kann nicht sein.“ Der SPD-Politiker sprach sich dafür aus, dass das Einkommen bei den Pflegekosten stärker berücksichtigt werden soll. Wer hohe Einkommen und Vermögen habe, könne bei den Pflegekosten auch mehr leisten. Auch Spahn selbst machte deutlich, dass er nicht davon ausgehe, dass es „eine Debatte ohne Kontroverse“ werde.

Was fehlt?

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz bemängelt, dass bei Spahns Reform die pflegenden Angehörigen zu kurz kämen. „Gerade mal 100 Euro im Jahr sollen die mehr als drei Millionen Pflegebedürftigen daheim erhalten“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch mit Blick auf die geplanten Veränderungen. „Für die pflegenden Angehörigen als größten Pflegedienst Deutschlands hat der Bundesgesundheitsminister nur Peanuts übrig.“

Nach Ansicht von Diakonie-Präsident Ulrich Lilie ist die von Spahn vorgeschlagene Reform nur „ein Tropfen auf dem heißen Stein“. Die Pflegeversicherung brauche eine Kompletterneuerung. Dazu gehöre vor allem eine bedarfsgerechte Personalausstattung in den Einrichtungen und ein sinnvolles Konzept zur Verzahnung von ambulanten und stationären Angeboten. „Die Familien von pflegebedürftigen Menschen müssen spürbar entlastet werden“, fordert Lilie.

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