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Der Lungenfacharzt Torsten Blum (l.) erklärt einem Covid-19-Patienten auf einer Computertomographie die Spuren, die Covid-19 in der Lunge hinterlassen hat.

© Christophe Gateau/dpa

Gravierende Spätfolgen von Covid-19: Die Krankheiten nach der Krankheit

Nach einer Corona-Infektion können schwere gesundheitliche Schäden auftreten. Welche Spätfolgen hat Covid-19 – und was kann man dagegen tun?

Die allermeisten Menschen, die an Covid-19 erkranken, sterben nicht daran. Sie genesen wieder. Aber was „Genesung“ hier konkret heißt, ist alles andere als eindeutig. Sie kann sich hinziehen, immer häufiger wird auch von Langzeitproblemen berichtet. Da es die Krankheit noch nicht einmal ein Dreivierteljahr gibt, kann es gar keine Erfahrungen mit echten dauerhaften Probleme geben. Doch Ärzte berichten von Befunden nachhaltig geschädigter Organe, die auch hier die Zeichen alles andere als auf Entwarnung stellen.

Was weiß man über die Langzeitfolgen von ähnlichen Erkrankungen?

Von den Viren der Gattung Betacoronavirus, die zwischen Menschen übertragbar sind und diese erkranken lassen, gab es vor dem derzeit grassierender Erreger nur zwei mit größerer klinischer Bedeutung: Sars, das 2002 und 2003 bei etwas mehr als 8000 Personen nachgewiesen wurde und etwa ein Zehntel davon das Leben kostete. Und Mers, das vor allem im Nahen Osten immer wieder zu Ausbrüchen geführt hat. Von Mers sind insgesamt etwa 2500 Fälle bekannt. Mehr als ein Drittel der Patienten starb. Ob es aber wirklich gefährlicher ist, ist unklar, weil möglicherweise die Dunkelziffer Infizierter deutlich höher ist als bei Sars.

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Nach überstandener Sars-Erkrankung gab es nach Informationen eines Fachartikels im „European Heart Journal“ häufiger Todesfälle durch akuten Herzstillstand. Dazu kamen auch zahlreiche Fälle akuter und lebensbedrohlicher Herzmuskel-Entzündungen, die das Herz oft auch bei Überlebenden nachhaltig schädigen, sowie weitere Komplikationen. Die für Mers vorliegenden Untersuchungen listen ähnliche Probleme auf. Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass auch andere virale Lungenentzündungen nicht selten Langzeiteffekte haben, die das Risiko einer späteren Herzkreislauferkrankung erhöhen könnten.

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So ist eine erhöhte Wahrscheinlichkeit von Herzkreislauf-Komplikationen für einen Zeitraum von bis zu zehn Jahren nach einer Lungenentzündung nachgewiesen. Zudem fand sich etwa bei Sars-Überlebenden häufig ein gestörter Fettstoffwechsel. Auch erhöhte Gesamt-Entzündungswerte und eine abnorme Blutgerinnungsneigung sind nachgewiesen. Dazu kommt, konkret beschrieben nach dem Ausbruch 2002/03, ein „Post-Sars-Syndrom“ genanntes Problem vieler Überlebender. Sie zeigen mittel- und langfristig Symptome wie Schlafstörungen, chronische Müdigkeit, Depressionen sowie Muskel -und Gelenkschmerzen.

Welche möglicherweise langfristigen Beschwerden nach Covid-19-Erkrankung gibt es?

Von der akuten Infektionskrankheit genesene Covid-19-Patienten klagen vor allem über verminderte körperliche und auch geistige Leistungsfähigkeit. Diese „Fatigue“ geht bis hin zu kompletter Erschöpfung, die ein ansatzweise normales Leben unmöglich macht. Die wenigen Studien, die es dazu gibt, legen nahe, dass dies bei Personen, die wegen Covid-19 behandelt worden sind, sehr häufig vorkommt. Eine Untersuchung aus Italien an 143 ehemaligen Patienten dokumentiert bei mehr als der Hälfte eine Erschöpfung, die im Durchschnitt zwei Monate nach den ersten Symptome auftrat.

Fast ebensoviele klagten weiterhin über Atemnot, mehr als ein Viertel über Gelenkschmerzen und mehr als ein Fünftel über Schmerzen in der Brust. Allerdings bezweifeln etwa deutsche Klinikärzte, dass diese hohen prozentualen Anteile allgemein gelten. Auch bei jüngeren Patienten und auch bei solchen, die nicht beatmet werden mussten oder ihre Covid-Erkrankung zuhause aussitzen konnten, finden sich nicht nur in Einzelfällen derlei Beschwerden.

Davon berichten nicht nur zahlreiche Betroffene im Netz, sondern auch die Ärzte der Covid-19-Ambulanz der Charité. Ob die Probleme mit der Zeit weniger werden oder ganz verschwinden, ist aufgrund der Tatsache, dass es die Krankheit noch kein Dreivierteljahr überhaupt offiziell gibt, derzeit unmöglich zu sagen. Die Fälle von Erschöpfungssyndrom sprechen für eine Schädigung sowohl des Nervensystems als auch möglicherweise des Stoffwechsels.

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Wie genau die Wirkungen und Auswirkungen von Covid-19 sind, ist ähnlich wie die tatsächliche Häufigkeit solcher Probleme, noch unklar. Es herauszufinden, wird lange dauern. Eine nach der Erkrankung veränderte Regulation von Entzündungsbotenstoffen spielt aber wahrscheinlich eine bedeutende Rolle.

Welche organischen Schäden stellten die Mediziner fest?

Schwere und langfristige Schädigungen der Lunge sind nachgewiesen. Sie sind sowohl auf das Virus selbst zurückzuführen als auch auf die massive, das eigenen Gewebe mit angreifende Immunreaktion dagegen sowie die Belastung durch die Beatmungsapparate. Ebenso sind bei einigen Patienten Spuren im Herzgewebe und an Blutgefäßen belegt. Bei Patienten mit schweren Verläufen sind auch die Nieren oft stark belastet, weshalb sie häufig per Dialyse behandelt werden müssen. Inwieweit und wie häufig die empfindlichen Nierenkanälchen dadurch dauerhaft geschädigt werden, ist noch unklar.

Eine kürzlich im Fachblatt „The Lancet Psychiatry“ erschienene Studie listet auch Schlaganfälle (entsprechend sind auch Probleme mit der Blutgerinnung nach Covid-19-Erkrankung dokumentiert), Gehirnentzündungen und schwere Psychosen im Zusammenhang mit in Kliniken behandelten Covid-19-Fällen auf. Wie hoch das Risiko für all das für die einzelne infizierte Person ist, ist völlig unklar. Das Narrativ von der meist als kleines Hüsterchen verlaufenden und fast immer nur schwer vorgeschädigte Personen wirklich krankmachenden Covid-19-Infektion ist allerdings schon lange nicht mehr haltbar.

Covid-19-Patienten könnten nach überstandener Erkrankung Herzprobleme drohen.
Covid-19-Patienten könnten nach überstandener Erkrankung Herzprobleme drohen.

© Soeren Stache/dpa-Zentralbild/dpa

Können die von Patienten berichteten Post-Covid-Beschwerden auch eingebildet sein?

Da vor allem Patienten mit Vorerkrankungen und entsprechenden Beschwerden schwer am Coronavirus erkranken, ist es möglich, dass diese auch Symptome, die der Fortgang ihrer Grunderkrankung ohnehin mit sich gebracht oder verstärkt hätte, als Folgen der Infektion interpretieren. Ebenso ist es möglich, dass auch eine andere sonst banale Infektionskrankheit den ohnehin geschwächten Organismus in ähnlicher Weise nachhaltig geschädigt hätte wie das Coronavirus. Die verfügbaren klinischen Daten zeigen aber eindeutig, dass es echte, und nur auf Covid-19-Erkrankungen zurückzuführende Folgebeschwerden gibt.

Was bedeutet das für den Infektionsschutz?

Aufgrund der massiven wirtschaftlichen und damit potenziell auch gesundheitlichen Folgen von Maßnahmen wie Unternehmensschließungen, allgemeinen Lockdowns, Verschiebungen planbarer Therapien und ähnlichem ist maximaler Infektionsschutz langfristig nicht durchzuhalten. Schon jetzt findet mit den Lockerungen, Schulöffnungen und wieder bestehenden Reisemöglichkeiten de facto eine ethisch hochgradig kontroverse Abwägung statt. Denn sie führt dazu, dass Menschen, die sich sonst nicht angesteckt hätten, sich mit dem Virus infizieren und manche von ihnen sterben.

Die nachgewiesenen und prognostizierten Langzeitfolgen von Erkrankungen sind bislang aber kaum Teil dieser Abwägung. Sie müssten es aber werden. Denn sie bedeuten nicht nur vermeidbares Leid, sondern auch Kosten für die Wirtschaft aufgrund möglicherweise nachhaltig verringerter Leistungsfähigkeit von Beschäftigten sowie psychosoziale und sozioökonomische Folgen für die Familien betroffener Personen. Vor allem, wenn man davon ausgehen kann, dass Impfstoffe, die in absehbarer Zeit erwartet werden, nicht nur Erkrankungen und damit auch schwere und tödliche Verläufe werden vermeiden können. Und damit könnten auch jene Spätfolgen von Erkrankungen nicht mehr auftreten.

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Den kurzfristig zu erwartenden ökonomischen Nachteilen von Maßnahmen stehen folglich die langfristig zu erwartenden gesellschaftlich-wirtschaftlichen Konsequenzen von Spätfolgen der Erkrankung gegenüber. Wie hier die Gewichtung zu bewerten ist, ist derzeit unklar. Aber der Faktor spräche dafür, dass es auch gesamtgesellschaftlich-ökonomisch sinnvoll wäre, über gezielte und nachdrücklich durchgesetzte politische Maßnahmen den Anteil der Bevölkerung, die sich letztlich mit dem Virus infiziert, bis zum Einsatz eines Impfstoffes so niedrig wie irgend möglich zu halten.

Wie stark könnten Spätfolgen der Pandemie das Gesundheitssystem belasten?

Der Epidemiologe und SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach vermutet, dass auf einen Coronatoten etwa zehn Patienten kommen könnten, die mit bleibenden Schäden zu leben haben. Es handle sich dabei „um das derzeit wohl am stärksten unterschätzte Problem der Coronakrise“, sagte Lauterbach dem Tagesspiegel. Das menschliche Leid dadurch sei vorhersagbar, sagte Lauterbach. Ob und in welcher Weise das Gesundheitssystem durch Spätfolgen der Infektion belastet werde, sei bis dato jedoch reine Spekulation.

Wobei zweierlei gewiss ist: Chronisch Kranke sind, ökonomisch betrachtet, die teuersten Patienten. Und unklare Krankheitsbilder produzieren besonders hohe Kosten. Hinzu kommen könnten zudem Ausfälle bei Ärzten und medizinischem Personal. Wenn die Coronakrise mit all dem Arbeitsdruck, den Überforderungsgefühlen und der Angst vor Ansteckung nachlasse, würden viele von ihnen wohl posttraumatischen Stress entwickeln, prophezeite jüngst die WHO-Direktorin für Öffentliche Gesundheitssysteme, Maria Neira, der "Ärztezeitung". Einer dort ebenfalls zitierten Umfrage zufolge fühlt sich im besonders stark betroffenen Spanien schon jetzt jeder zweite Arzt durch solchen Stress belastet – und fast 80 Prozent der Mediziner gaben an, aufgrund von Covid-19 unter Angstsymptomen zu leiden.

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