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Wirtschaftsführer. Facebook-Chef Mark Zuckerberg trägt mit seinem Unternehmen nicht gerade zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei.

© Stephen Lam/Reuters

Soziale Beziehungen: Facebook ist die Entkoppelung der Wirtschaft von der Gesellschaft

Der Algorithmus von Facebook verändert soziale Beziehungen mehr als die Politik. Dabei geht es nur um gewinnorientierte Werte, alles andere spielt keine Rolle. Eine Kolumne.

"Die Wirtschaft ist nicht mehr in die sozialen Beziehungen eingebettet, sondern die sozialen Beziehungen sind in das Wirtschaftssystem eingebettet.“ Der Ökonom Karl Polanyi ist zu früh gestorben, um sich ein Facebook-Profil einzurichten, 1964 – ziemlich genau vierzig Jahre vor der Firmengründung von Facebook, Inc. Trotzdem lassen sich seine Ideen auf Social Media anwenden. Zumindest, wenn wir Facebook-Freundschaften als soziale Beziehungen durchgehen lassen. Und etwas komplizierter: Facebook als eigenes Wirtschaftssystem.

Auf jeden Fall ist Facebook ein Wirtschaftsunternehmen: Privateigentum, autonom, auf Gewinn ausgerichtet. Von fast allen anderen Unternehmen, wenigstens allen nicht-digitalen, unterscheidet es sich allerdings mindestens in einem Punkt: Ein großer Teil der Weltbevölkerung organisiert oder pflegt „soziale Beziehungen“ teilweise über dieses Unternehmen – Facebook hat mehr Mitglieder als jeder Staat auf dieser Erde Bürger. Bestimmen diese Mitglieder die Funktionsweise von Facebook, also spiegeln sich Regel- und Sinngebung ihrer Beziehungen in Facebook wider? Oder verläuft es umgekehrt: Bestimmt Facebook Regel- und Sinngebung der sozialen Beziehungen?

"Menschliche Freundschaft verstümmelt"

Sofern Facebook die technischen Mittel hat, soziale Beziehungen zu beeinflussen, wird es dies als Wirtschaftsunternehmen in einer Weise tun, die ihren Gewinn erhöht. Prinzipien in zwischenmenschlichen Beziehungen, die hierbei nicht nutzen, zum Beispiel Solidarität, werden dann wenigstens teilweise ersetzt. Nichts anderes meinte Polanyi damit, dass die sozialen Beziehungen nunmehr ins Wirtschaftssystem eingebettet sind und nicht umgekehrt. In einem Essay zu Facebook diese Woche in der „FAZ“ schreibt Ranga Yogeshwar: „Da werden menschliche Freundschaft, das Bedürfnis nach offener Kommunikation und aufrichtige politische Überzeugungen mit ungebremstem Konsumismus und Desinformationskampagnen verstümmelt.“ Er bezieht sich auf eine Studie, wonach falsche Aussagen eine maßgeblich höhere Aktivität – Kommentare, Likes, etc. – in sozialen Medien auslösen als belegbare Tatsachen.

Der Physiker Yogeshwar beobachtet vor allem Algorithmen, also Regelsysteme, die bestimmen, wann bei welchem Nutzer in welcher Frequenz welche Posts angezeigt werden und welche nicht. Durch die Verwendung solcher Algorithmen lenkt die Firma Wahrnehmung und Verhalten der Menschen. So verändert sie soziale Beziehungen präziser als Politik, Gesetzgebung und Medien, erreicht mehr Menschen als jeder einzelne Staat. Aber darf es überhaupt ein Unternehmen geben, das als Quasi-Staat fungiert? Und wenn es so ein Unternehmen gibt, darf es profitorientiert, also privatwirtschaftlich sein?

Wie kann die Gesellschaft Algorithmen selbst bestimmen?

Bisher wurde viel über eine Regulierung hinsichtlich der Transparenz nachgedacht, etwa durch die Offenlegung von Algorithmen, wie das auch Justizministerin Barley gefordert hat. Aber es braucht mehr als das für eine Einbettung der (digitalen) Wirtschaft in die sozialen Beziehungen. Zum Beispiel Partizipation: Wie kann die Gesellschaft Algorithmen selbst bestimmen, die ihre Beziehungen strukturieren? Nach welchen Kriterien – anstelle des Unternehmensprofits – sollen die Regelsysteme programmiert werden? Zum Beispiel gesellschaftlicher Zusammenhalt? Und wer bestimmt darüber? Der einzelne Nutzer? Das Parlament?

Indes würde Polanyi im Phänomen Facebook vermutlich hauptsächlich die konsequent fortgeschriebene Entkopplung der Wirtschaft von der Gesellschaft im digitalen Zeitalter sehen.

Deniz Utlu

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