Sorge vor rechtsextremer Mobilisierung: So lässt sich ein Winter der Wut verhindern
Proteste gegen hohe Energiepreise sind legitim. Gefährlich wird es, wenn Demokratiefeinde mobilisieren. Wie kann man verhindern, dass sie Erfolg haben? Ein Kommentar.
Das Video zeigte einen Mann in Gefangenenkluft, mit gefesselten Händen und einem Sack über dem Kopf in einem Fahrzeug. Der Gefangene sollte Wirtschaftsminister Robert Habeck sein. Mit der Inszenierung warben Rechtsextreme für eine Demonstration im sächsischen Heidenau.
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Das Video, das diese Woche die Sicherheitsbehörden alarmierte, ist ein Beleg für das, was seit Wochen befürchtet wird: dass nämlich Rechtsextremisten versuchen, den Unmut über Inflation und hohe Energiepreise zu missbrauchen und zu Protesten zu mobilisieren. Für sie ist der grüne Wirtschaftsminister derzeit das Feindbild Nummer eins.
Doch während Verfassungsschützer in Brandenburg und Thüringen bereits vor rechtsextremen Plänen für einen „Wutwinter“ und heftigen Protesten warnen, haben Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Kanzler Olaf Scholz offenbar Angst vor sich selbst erfüllenden Prophezeiungen. Sie erklärten diese Woche, sie glaubten nicht, dass es zu Volksaufständen oder Unruhen kommen werde. Wie groß ist also die Gefahr?
Keine Entwarnung
Wichtig ist: Demonstrationen sind in einer Demokratie völlig legitim – es muss nicht das Ziel sein, sie zu verhindern. Das Risiko ist, dass Demokratiefeinde zu diesen Protesten aufrufen, sie kapern und Menschen radikalisieren. Zurzeit sehen Sicherheitsbehörden zwar nicht, dass Rechtsextremisten viel Erfolg bei der Mobilisierung hätten. Das aber als Entwarnung zu sehen, wäre naiv.
[Lesen Sie hier bei Tagesspiegel Plus mehr zu den Plänen der Rechtsextremisten für den Herbst und Winter.]
Die Politik muss bereits jetzt alles dafür tun, damit die Verzweiflung Menschen nicht auf die Straße und Extremisten in die Arme treibt. Dabei kann man der Bundesregierung momentan kein besonders gutes Zeugnis ausstellen.
Bundesregierung schafft gerade wenig Vertrauen
Ihre Aufgabe ist es, den Menschen das Vertrauen zu geben, dass der Staat sie mit existenziellen Geldnöten nicht alleine lässt. Doch auch wenn Scholz betont: „You’ll never walk alone“ – die Ampel vermittelt in Sachen Entlastungen vor allem den Eindruck der Zerstrittenheit. Sie kann sich nicht darauf einigen, wer genau entlastet werden soll. Stattdessen greifen sich SPD, Grüne und FDP gegenseitig an und sorgen etwa bei der Gasumlage selbst für Verunsicherung, bei der noch immer zentrale Fragen offen sind. Wie sollen Bürger da Vertrauen fassen?
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Aber auch Opposition und Zivilgesellschaft sind gefragt: Wenn Bürger auf die Straße gehen wollen, muss es demokratische Angebote geben, denen sie sich anschließen können Die Linke will sich das zur Aufgabe machen und kündigt eine Protestoffensive an. Dabei muss sie allerdings aufpassen, dass sie mit ihrer Agitation gegen „Reiche“ nicht selbst Sündenböcke schafft und Hass schürt.
Es hilft nicht, mit düsteren Prognosen Angst zu schüren
In der Krise kommt es auf Zusammenhalt an. Dazu muss die Gesellschaft die Krise als gemeinsame Herausforderung begreifen. Es hilft nicht, mit düsteren Prognosen Angst vor kalten Wohnzimmern und Wohlstandsverlust zu schüren. Dann ist sich jeder selbst der Nächste und wer kann, kauft sich einen Heizlüfter oder hortet Holz im Keller.
Es braucht eine positive Vision davon, wo Deutschland am Ende dieser Krise stehen will und wie jeder dazu beitragen kann. Dass starke Schultern mehr tragen als schwache, darf nicht nur eine Floskel sein. Die Ampel braucht ein gemeinsames Konzept davon, was eine gerechte Verteilung der Lasten in dieser Krise bedeuten würde. Wenn sie das auch klar vermittelt, wäre es ein wichtiger Schritt, um einem Wutwinter vorzubeugen.
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