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Sebastian Kurz (ÖVP), Bundeskanzler von Österreich, warnt zu eingewandertem Islamismus.

© dpa/Roland Schlager

Update

Sorge vor eingewandertem Islamismus: Kanzler Kurz warnt EU vor Anstieg der Flüchtlingszahlen aus Afghanistan

Anhaltende Kämpfe mit den Taliban, Tausende zivile Tote, 20.000 Familien auf der Flucht: Österreichs Kanzler will in Europa „Zustände wie 2015“ verhindern.

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) warnt die Europäische Gemeinschaft (EU) vor einem Anstieg der Flüchtlingszahlen nach dem Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan. "Das ist dramatisch für die Menschen dort, das wird zu Migrationsströmen führen", sagte Kurz am Sonntag in einer aufgezeichneten Ausgabe des Polit-Talks der Zeitung "Bild".

Er sei der Meinung, dass die Probleme Afghanistans nicht dadurch gelöst werden können, dass Deutschland und Österreich wie 2015 massenhaft Menschen aufnehmen. Er sei daher "sehr froh", dass sich die Linie gegenüber der ungesteuerten Zuwanderung des Jahres 2015 in Europa und Deutschland geändert habe. "Wir müssen als Europäische Union jetzt schon im Sommer aktiv werden, um zu verhindern, dass es wieder ähnliche Zustände gibt wie damals."

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Kurz kündigte eine Fortsetzung seiner konsequenten Abschiebepolitik an, auch wenn die Taliban in Afghanistan noch weitere Teile des Landes unter ihre Kontrolle bringen sollten. "Wir werden sicherlich weiter nach Afghanistan abschieben."

Wenn Menschen fliehen müssten, dann halte er "Nachbarstaaten, die Türkei oder sichere Teile Afghanistans definitiv für den richtigeren Ort als dass die Menschen alle nach Deutschland, Österreich oder Schweden kommen."

Bei einem Anstieg der Flüchtlingszahlen aus Afghanistan befürchtet Kurz eine neue Qualität der Gewaltkriminalität. "Sie müssen sich ja nur die Kriminalitätsstatistiken anschauen. Vieles, was es hier an Brutalität gibt, hat es in der Vergangenheit so nicht gegeben. Die Zahlen sind sehr eindeutig in gewissen Gruppen, was die Häufung der Gewaltverbrechen betrifft, was die Häufung von sexueller Gewalt gegen Frauen z.B. betrifft."

Kurz warnt vor eingewandertem Islamismus

Seine Sorge gelte auch dem möglichen eingewanderten Islamismus. "Ich möchte genau diese kranke Ideologie nicht nach Europa importieren", sagte der österreichische Kanzler der "Bild".

Man solle nicht alle Flüchtlinge über einen Kamm scheren, viele hätten sich sehr gut integriert. Aber, "wir haben gerade durch diese Migrationsströme in den letzten Jahren sehr viel an Antisemitismus nach Europa importiert. Wir haben viele Menschen, die zu uns gekommen sind, die klar homophob sind und die die Rechte der Frau nicht unbedingt hochhalten."

Kurz verwies auf die Sicherheitssituation in französischen Vorstädten, in Belgien und in anderen EU-Ländern und erinnerte an einen Mordfall in Wien Ende Juni. "Wir haben vor kurzer Zeit die Situation gehabt, dass mehrere afghanische junge Männer ein 13-jähriges Mädchen unter Drogen gesetzt, vergewaltigt, ermordet und dann wie eine Sache abgelegt haben."

Taliban auf dem Vormarsch – zunehmende Unsicherheit in Afghanistan

Die Unsicherheit in Afghanistan hat in den vergangenen Wochen erheblich zugenommen, seit die Taliban vorrücken. Sie haben bereits viele Bezirke des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. Gespräche zwischen ihnen und der Regierung in Kabul verliefen bisher ergebnislos. Dem Vormarsch der Extremisten war der Beginn des Abzuges ausländischer Truppen vorausgegangen.

Von 1996 bis zu ihrem Sturz durch die US-geführten Truppen 2001 hatten die Taliban Afghanistan beherrscht und die Menschenrechte massiv beschnitten. Die USA intervenierten in Afghanistan an der Spitze eines Nato-Bündnisses kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001.

Die USA wollen auch während ihres laufenden Abzugs aus Afghanistan die dortigen Regierungstruppen mit Luftangriffen gegen die Taliban unterstützen. "Die Vereinigten Staaten haben Luftschläge zur Unterstützung afghanischer Kräfte in den vergangenen Tagen verstärkt. Und wir sind bereit, dieses erhöhte Ausmaß an Unterstützung in den kommenden Wochen fortzusetzen, wenn die Taliban ihre Angriffe fortsetzen", sagte der für die Region zuständige General Kenneth McKenzie.

Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und Vertretern der radikalislamischen Taliban haben zu keiner Befriedung des Landes geführt.
Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und Vertretern der radikalislamischen Taliban haben zu keiner Befriedung des Landes geführt.

© AFP/KARIM JAAFAR

Nach Kämpfen 20.000 Familien auf der Flucht

In der afghanischen Provinz Kandahar sind wegen der Kämpfe zwischen den radikalislamischen Taliban und dem Militär mehr als 20.000 Familien auf der Flucht. "Die Kämpfe haben in Kandahar im vergangenen Monat 22.000 Familien vertrieben", sagte Dost Mohammed Darjab, Leiter der Flüchtlingsbehörde der südafghanischen Provinz, am Sonntag. Kandahar war zur Zeit der Taliban-Herrschaft zwischen 1996 und 2001 eine Hochburg der Islamisten.

Die Taliban haben parallel zum rasch fortschreitenden Abzug der US- und anderer Nato-Truppen in den vergangenen Monaten große Teile des Landes erobert. Inzwischen kontrolliert die Miliz mehrere Grenzübergänge sowie dutzende Bezirke und hat mehrere Provinzhauptstädte eingekreist.

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Die Behörden in Kandahar haben vier Lager für die geschätzt 154.000 Vertriebenen eingerichtet. Die Gefechte in den Außenbezirken der Stadt Kandahar, mit 650.000 Einwohner die zweitgrößte des Landes, dauerten auch am Sonntag an. Die Taliban hätten sein Haus eingenommen, berichtete Hafis Mohammed Akbar, ein Einwohner von Kandahar. "Sie haben uns gezwungen zu gehen. Ich lebe jetzt mit meiner 20-köpfigen Familie in einem Gebäude ohne Toilette."

Das afghanische Innenministerium gab unterdessen die Festnahme von vier Verdächtigen bekannt, die für den Raketenbeschuss in Kabul Anfang dieser Woche verantwortlich sein sollen. Sie sollen demnach den Taliban angehören, obwohl die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat den Angriff für sich reklamiert hatte. Bei der Attacke waren am Dienstag während der offiziellen Zeremonien zum islamischen Opferfest Eid al-Adha mindestens drei Raketen in der Nähe des Präsidentenpalastes eingeschlagen.

UN-Bericht: Fast 5200 zivile Opfer im ersten Halbjahr

Mit Beginn des Abzugs der internationalen Truppen aus Afghanistan hat die Zahl der Opfer in der Zivilbevölkerung wieder deutlich zugenommen. In den ersten sechs Monaten des Jahres wurden annähernd 5200 Zivilisten verletzt oder getötet - ein Anstieg um 47 Prozent im Vergleich zum ersten Halbjahr 2020. Das geht aus einem Bericht hervor, den die UN-Mission in Afghanistan am Montag in Kabul veröffentlichte.

Der Anstieg sei vor allem auf die Monate Mai und Juni zurückzuführen, hieß es. Er fällt also mit dem Abzug der internationalen Truppen und dem Start mehrerer Militäroffensiven der militant-islamistischen Taliban zusammen. Die letzten Soldaten der Bundeswehr haben Afghanistan nach fast 20 Jahren Ende Juni verlassen. Die letzten Kampftruppen der USA sollen bis Ende August abziehen. (Reuters/AFP/dpa))

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