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Es geht um die Selbstbehauptung der FDP: Parteichef Christian Lindner hat zu kämpfen.

© Britta Pedersen/dpa

Sommer der Mühsal: Christian Lindner – allein gegen alle

Der FDP-Chef und Bundesfinanzminister lässt derzeit kein Thema aus. Wie er innerhalb der Ampel und gegen die Union nach Profilierung strebt.

Der FDP-Chef hat keinen ruhigen Sommer. Christian Lindner ist auf allen Kanälen unterwegs, keine Debatte lässt er aus. Andererseits ist die Omnipräsenz des Bundesfinanzministers auch ein Indikator dafür, dass derzeit nicht alles rund läuft für die FDP. Doch wie hat er der „Welt“ gerade erst tapfer gesagt: „Liberale Politik ist nichts für schwache Nerven.“ Allein gegen die anderen – das dürfte in den nächsten Wochen Lindners Devise bleiben.

Und seine Herausforderung. Denn es geht für die FDP um nichts weniger als Selbstbehauptung in einem ungünstigen Umfeld – ungünstig deshalb, weil angesichts der Gefahren von Gaskrise und Rezession einiges auf dem Spiel steht, womit die FDP ihren Einstieg in die Ampel-Koalition begründet hat.

Es geht dabei nicht allein um den Streit innerhalb der Koalition über den Kurs in diesem Winter. Es geht auch um Profilierung gegen die Union, die als stärkste Oppositionskraft den Unmut mit der Ampel nutzen möchte. Im Hintergrund steht die Niedersachsen-Wahl am 9. Oktober – für alle Parteien ein wichtiger Termin, nicht zuletzt aber für die FDP.

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Denn was passiert, wenn sie aus dem Landtag fliegt? Stürzt sie ähnlich heftig ab wie zuletzt in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, wäre das möglich. Dem gilt es vorzubeugen, und Lindner fängt schon jetzt damit an. Die Parteifreunde in Niedersachsen verlangen eine klare FDP-Linie in Berlin.

"Dass Deutschland nicht nach links driftet"

Lindners Ansage an die Ampel-Partnerinnen ist daher sehr deutlich: „Die wichtige Rolle der FDP ergibt sich ja daraus, dafür zu sorgen, dass Deutschland aus der Mitte regiert wird und nicht nach links driftet.“ Das klingt nach erhöhter Kampfbereitschaft, die aber aus der Wahrnehmung erwächst, dass er und seine Partei in der Defensive sind. „Jeden Tag eine Forderung nach Steuererhöhungen und Umverteilung“ – Lindner wehrt ab. „Im Zuge der grünen Transformation wollen manche die soziale Marktwirtschaft in eine Zentralverwaltungswirtschaft transformieren“ – aber nicht mit der FDP.

Dahinter steckt nicht zuletzt die Befürchtung, dass der Basisdeal in der Koalition bald nicht mehr Bestand haben könnte. Der lautet: Krisenpolitik inklusive hoher Neuverschuldung bis Ende 2022, von 2023 an wieder Normalität und solide Finanzpolitik. Um Letzteres zu bekommen, hat Lindner einiges mitgemacht und zugestanden. Jetzt aber wird in der Koalition immer offener in Frage gestellt, ob sich angesichts der Entlastungspolitik die Schuldenbremse ab 2023 wirklich wieder einhalten lasse. Lindners Kernversprechen wird in Zweifel gezogen. Da kann er nicht schweigen.

FDP-Hauptanliegen: Einhalten der Schuldenbremse

Zwar verweist der Finanzminister darauf, dass für eine weitere zeitweise Aussetzung der Schuldenregel eine neue Notlage erklärt werden müsste. Mit der Pandemie lässt sich die Notfallklausel nicht mehr aktivieren. Und die Gaskrise? Interessant ist, was Lindners Chefberater, der frühere Wirtschaftsweise Lars Feld, dazu im „Handelsblatt“ gesagt hat – mit Blick auf externe Schocks, ein Argument für die Notfallregel: „Jetzt sind wir in einer Situation, in der der Schock auf unbestimmte Zeit andauert und immer neue Folgen mit sich bringt, die sich dann gegenseitig verstärken.“ Aber die Frage wird erst im Spätherbst wirklich relevant werden.

Dass in diesem Sommer nicht der Tankrabatt der FDP, sondern die Grünen-Entlastungsidee des Neun-Euro-Tickets der Medien-Schlager ist, dürfte Lindner wurmen. Erst lehnte er eine Fortsetzung strikt ab, dann die Finanzierung einer Nachfolgelösung aus dem Bundesetat, nun will er zumindest keine neuen Schulden dafür aufnehmen. Aber die Debatte läuft nicht zu Lindners Gunsten, er redet wohl schon über einen Bundeszuschuss an die Länder für ein verbilligtes Ticket.

Zwischen Schwarz und Grün

Da wirkt es fast wie eine Gegenreaktion, wenn der FDP-Chef die Grünen in der Debatte über die längere Laufzeit von Atomkraftwerken unter Druck setzt. Aber auch da ist Lindner selber unter Druck – seitens der Union nämlich. Es ist mittlerweile das Schicksal der Freien Demokraten, in Konkurrenz zu beiden Parteien zu stehen und damit in eine Sandwich-Position geraten zu sein. Lindners Vorstoß, ein Ende der Stromproduktion mit Gas zu fordern, konnte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) relativ leicht parieren – mit dem Hinweis, dann drohten Blackouts, weil einige Gaskraftwerke systemrelevant seien. Wieder kein Punkt in die gelbe Ecke.

[Lesen Sie dazu auch: Wie geht's weiter nach dem Neun-Euro-Ticket? (T+)]

In die Entlastungsdebatte brachte Lindner zuletzt gleich mehrere Forderungen ein. Er werde Vorschläge machen zu einem höheren Grundfreibetrag bei der Einkommensteuer, für mehr Kindergeld, zur Anpassung des Steuertarifs an die Inflation (die Vermeidung der „kalten Progression“), für eine höhere Sparerpauschale. Was wie ein Alleingang Lindners wirkt (er tut auch so, als ob), ist tatsächlich entweder gesetzlich vorgesehen oder es steht im Koalitionsvertrag.

Wo Lindner punkten kann

Gerade deswegen aber könnte Lindner mit diesen Themen punkten. Im September muss die Regierung zwei Berichte vorlegen, den Existenzminimumbericht und den Progressionsbericht. Dann wird klar sein, in welcher Höhe die aktuelle Inflation und die Inflationserwartungen über höhere Grundfreibeträge und eine Tarifanpassung auszugleichen wären. Drumherumdrücken wird schwierig.

Zwar würden dann alle Steuerzahler entlastet, auch die Bestverdiener – aber der Effekt wäre natürlich insgesamt in der breiten Mitte am größten. Auf den Finanzminister Lindner käme zwar ein nicht geringer Einnahmeverzicht zu, dem FDP-Chef aber winkt Gewinn, wenn er hier auf einen möglichst umfassenden Inflationsausgleich setzt. Chefberater Feld wies schon darauf hin, dass sich eine solche Steuerreform auch so gestalten lasse, „dass vor allem untere und mittlere Einkommen relativ besser gestellt werden“. Unlängst war Lindner vorgeworfen worden, er wolle bei Langzeitarbeitslosen sparen.

Auch beim Sparerpauschbetrag kann Lindner argumentieren, dass eine Anpassung wegen der Inflation dringend nötig sei, die letzte hatte es 2009 gegeben. Zudem hat die Ampel ausdrücklich vereinbart, dass die Erhöhung von 800 auf 1000 Euro zum 1. Januar 2023 erfolgen werde. Wie bei der Schuldenbremse tritt Lindner hier als Hüter des Koalitionsvertrags auf. Auf den kann er pochen. Der FDP-Chef mag derzeit ein bisschen einsam wirken – ganz kraftlos ist er nicht.

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