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Die Masterfrage: Soll das medizinische Personal erst die zweite Dosis bekommen oder vorher alle einmal geimpft werden?

© Sandra Sanders/Reuters

Sollten zunächst alle nur eine Dosis erhalten?: Was für einen Wechsel der Impfstrategie spricht – und was dagegen

Lauterbach und Drosten plädieren dafür, mehr Erst- statt Zweitimpfungen durchzuführen. In einem US-Medizin-Fachblatt wurden nun Vor- und Nachteile erörtert.

Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (SPD) ist sich sicher: Die dritte Welle der Corona-Pandemie beginnt jetzt. Bei seiner Einschätzung kann er sich auf die wieder leicht steigenden Infektionszahlen und den dadurch steigenden R-Wert stützen.

Da die Europäische Union (EU) im Vergleich zu Impfvorreitern wie Israel, den USA und Großbritannien die älteste Bevölkerung habe, könne sich die EU das derzeitige Impftempo außerdem nicht mehr lange leisten, schreibt Lauterbach via Twitter. Gerade in Bezug auf die um bis zu 50 Prozent ansteckendere Virus-Mutante B 1.1.7.

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Aus Lauterbachs Sicht gäbe es allerdings einen „Gamechanger“: das pragmatische Vorziehen einer ersten Impfstoff-Dosis. So würden Todesfälle und Krankenhausfälle massiv sinken.

Lauterbachs Sichtweise deckt sich mit der von Charité-Virologe Christian Drosten, der via Twitter ebenfalls ein in den USA diskutiertes Vorziehen der ersten Dosis in den Raum stellte. Leif Erik Sander, Immunologe an der Charité, hatte das bereits in einem Interview mit dem Tagesspiegel gefordert.

Sollte also die zweite Dosis später verabreicht werden, damit mehr Menschen früher die erste Dosis erhalten können? Diese Frage stellt sich, seitdem Zahlen aus Israel die Runde machen, dass der Impfstoff von Biontech und Pfizer sowohl schon nach der ersten Dosis eine Wirksamkeit von bis zu 90 Prozent haben soll und zudem zu 90 Prozent gegen eine Corona-Infektion schützt – wobei Wissenschaftler die aufkommende Euphorie bremsen.

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Nach Herstellerangaben sollen die beiden Dosen der Impfstoffe von Biontech und Pfizer sowie Moderna innerhalb von drei bis vier Wochen injiziert werden, um die Wirksamkeit von 95 Prozent zu garantieren. So wird es derzeit auch praktiziert.

Aufgrund der schleppend verlaufenden Impfstoff-Lieferungen, der daraus resultierenden Impfstoff-Knappheit und der gefährlichen Virus-Mutanten gibt es nun allerdings Überlegungen, die zweite Dosis auf unbestimmte Zeit zu verschieben.

Welche Vor- und Nachteile es für die beiden Strategien gibt, haben zwei Wissenschaftler im „New England Journal of Medicine“ veranschaulicht.

Dem Einspruch einiger Wissenschaftler, dass jegliche Abweichung vom vorgesehenen Impfprotokoll unwissenschaftlich sei, entgegnet Robert Wachter, Forscher der Universität von Kalifornien in San Francisco. Er stützt sich auf zwei wissenschaftliche Studien von Dezember und Februar, die nahelegen, dass der Impfstoff durch die erste Dosis am Tag der Injektion der zweiten Dosis bereits eine Wirksamkeit von 80 bis 90 Prozent hat.

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Anhand eines Modells zeigt er, dass die erwartete Anzahl an Corona-Infektionen signifikant niedriger sei, sollten mehr Menschen zunächst die erste Dosis bekommen.

Die um voraussichtlich 50 Prozent ansteckendere Virus-Mutante B 1.1.7 werde in wenigen Wochen in den USA, wie schon jetzt in England, die dominante Variante sein, so Wachter. Deshalb sei es wichtig, zuerst die Bevölkerung mit der ersten Dosis durchzuimpfen, bevor die besonders gefährdeten Personen ihre zweite Impfung erhalten.

Wachter gibt zu, dass die Gefahr bestehe, dass die zweite Dosis nach mehr als vier Wochen weniger effektiv sein könnte. Belastbare Daten gibt es dazu noch nicht. Ebenso könnte die Immunität ohne die zweite Dosis schneller schwinden. Aufgrund bislang weniger Fälle von Reinfektionen sei allerdings davon auszugehen, dass die Immunität auch nach einer ersten Impfstoff-Dosis deutlich länger drei Monate andauere, so Wachter.

Kein adäquater Schutz nach nur einer Dosis?

Auch könnte das Vertrauen in die Impfkampagne aufgrund eines Strategiewechsels schwinden – einige Menschen könnten auch denken, dass generell nur eine Impfstoff-Dosis reiche. Doch könnten diese etwaigen Probleme durch eine großangelegte Aufklärungskampagne angegangen werden, so Wachter.

Nicole Lurie, strategische Beraterin der „Coalition for Epidemic Preparedness Innovations“ (CEPI) in Oslo, ist gegenteiliger Auffassung. Sie ist dafür, die bisherige Impfstrategie – zwei Dosen innerhalb von maximal vier Wochen – beibehalten wird.

Denn, so Laurie, es gebe keine Daten, die Aufschluss darüber geben, wie lange eine zweite Dosis aufgeschoben werden könnte, bis dass die Wirksamkeit eingebüßt würde. Da nicht mal sicher ist, wie lange die Immunität nach der zweiten Dosis andauert, sei es wahrscheinlich, dass man Menschen mit nur einer Dosis inadäquat geschützt hätte. Dieses Risiko sollte man im Kampf gegen schwere Krankheitsverläufe nicht eingehen.

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Gerade Personal im medizinischen Bereich und Pflegebereich sollte nach der Impfung ein maximal mögliches Maß an Schutz erwarten können – ansonsten würde dies die Impfbereitschaft wohl drücken, so Lurie.

Es gebe zwar Modelle, die darauf hindeuten, dass die Pandemie schneller bewältigt werden könne, wenn ein geringeres Maß an Herdenimmunität erreicht würde. Allerdings ließen diese Modelle den Effekt eines solchen Strategiewechsels auf das Vertrauen in den Impfstoff und die damit verbundene Bereitschaft, sich impfen zu lassen, völlig außer acht.

Sollte es also nach einem Strategiewechsel zu mehr (schweren) Infektionen trotz Impfung kommen, wären die Auswirkungen auf die Impfkampagne fatal.

Diesen Argumentationen folgend gab es eine nicht repräsentative Abstimmung auf der Website des „New England Journal of Medicine“. 8309 Menschen beantworteten bis Montagmittag die Frage, für welche der beiden Strategien sie sich entscheiden würden. Das Ergebnis: 51 Prozent zu 49 Prozent der Menschen, die abgestimmt haben, entschieden sich dafür, die derzeitige Strategie beizubehalten.

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