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Unter Angela Merkel ist die Union zur Ankerpartei in einem Parteiensystem geworden, in dem sich die einstigen Lager immer mehr auflösten.

© Hannibal Hanschke/REUTERS

Sind nach 2021 Mitte-Koalitionen passé?: Die Polarisierung nach der Merkel-Dämmerung

Merkel geht, das Parteiensystem ändert sich, eine Mitte-Koalition könnte es 2021 letztmalig geben. Doch eine Partei hat einzigartige Chancen. Eine Analyse.

Es wird ein Superwahljahr. Sechs Landtagswahlen und die Bundestagswahl kommen 2021 auf uns zu. Es wird ein Wahljahr werden mit mehr oder weniger starken Zäsuren.

Bundeskanzlerin Angela Merkel steht nach gegenwärtigem Stand nicht mehr zur Wahl. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik (sieht man von der ersten Wahl 1949 ab) gibt es damit tatsächlich nur Kandidaten und niemanden mit Kanzlerbonus. Erstmals geht die Republik zudem in eine Wahl im bundesweit etablierten Sechsparteiensystem. Und eine dritte Zäsur scheint sich vorzubereiten: 2021 könnte das vorerst letzte Wahljahr sein, das nochmals eine Mitte-Koalition ergibt, bevor sich ein wieder stärker polarisiertes, von Lagerbildung geprägtes Parteiensystem entwickelt.

Im politischen Berlin laufen die Erwartungen auf eine schwarz-grüne Koalition hinaus. Merkel hätte das gern schon vor vier Jahren gemacht. Eventuell wird es im zweiten Anlauf auch ein Jamaika-Bündnis, also Schwarz-Grün plus FDP. Ohne die Union geht vorerst jedoch nichts.

Deren Dominanz reicht weit zurück. CDU und CSU beherrschen die deutsche Politik seit dem Regierungswechsel von 1982, also seit fast 40 Jahren. Rot-Grün nach 1998 war nur eine kurze Unterbrechung, stabil für vier Jahre, die zweite Wahlperiode musste vorzeitig abgebrochen werden.

Die Union als Ankerpartei

Unter Merkel ist die Union zur Ankerpartei in einem Parteiensystem geworden, in dem sich die einstigen Lager immer mehr auflösten. Das ergab den Mittekurs der Kanzlerin, das Koalieren und Anbandeln mit Parteien links der Mitte. Aber es führte auch zum Schrumpfen der CDU (die CSU konnte sich dem weitgehend entziehen) und der SPD, die zuvor vom schärferen Gegeneinander profitiert hatten.

Die kleineren Parteien holten auf. Grüne und Linke festigten ihre Positionen. Die FDP litt zwischendurch zwar an Auszehrung, aber verschwand nicht. Und die AfD gesellte sich hinzu. Trotz aller Querelen, trotz allem Mangel an Professionalität, trotz der Allianz mit dem braunen Milieu muss man davon ausgehen, dass sich die Rechtsaußenpartei etabliert hat.

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Der Drang hin zu Mitte-Koalitionen hatte noch andere Gründe. Die Ausgrenzung der Linken über Jahre hinweg machte Bündnisse links der Mitte im Bund unmöglich. Gleiches gilt nun auf der Rechten: Das Einrücken der AfD in die Parlamente macht Koalitionen rechts der Mitte unmöglich, wenn es für Schwarz-Gelb nicht reicht.

Alle mit (fast) allen

So kam es (und kommt es wohl auch 2021 nochmals) zu dem Phänomen der ungewohnten Regierungsbündnisse. Die bunte Welt des Vielparteiensystems bescherte uns die „Flaggenkoalitionen“ à la Jamaika und Kenia. Alle mit allen, lautete fast schon die Devise. Bloß keine „Ausschließeritis“. In ihrer Hochburg Baden-Württemberg musste sich die CDU in eine von den Grünen geführte Koalition fügen. Im Osten kam gar eine kurze, schnell erstickte Diskussion auf, ob die CDU nicht mal mit den Linken koalieren sollte.

2021 wird ein neuer Bundestag gewählt - das Feld der Parteiensortiert sich neu.
2021 wird ein neuer Bundestag gewählt - das Feld der Parteiensortiert sich neu.

© imago images/STPP

Aber wird es so weitergehen? Bleibt es bei einem Parteiensystem, in dem allseits zur Mitte tendiert wird? Ein Schaden war und ist es nicht. Die große Konsensorientierung, die das allen Parteien abverlangt, die regieren wollen, führt allerdings auch zu Unschärfen im Profil. Und die Arithmetik eines Sechsparteiensystems deutet nun darauf hin, dass sich mittelfristig wieder ein stärker von Lagerkonstellationen geprägtes Parteiensystem entwickelt – mit SPD, Grünen und Linken links der Mitte, mit der Union, der FDP und der AfD rechts der Mitte.

Schnittmengen links und rechts

SPD, Grüne und Linke haben zu große Schnittmengen, um im Bund auf ewig Ringelpiez ohne Anfassen zu spielen. Dass es schon 2021 für ein stabiles Bündnis reicht, ist aus heutiger Sicht allerdings unwahrscheinlich. Die Union und auch die FDP werden umgekehrt darauf schauen, wie sich die AfD entwickelt.

Das weisen sie natürlich aktuell von sich. Die Rechtsaußenpartei ist das Schmuddelkind der deutschen Politik. Ob sie jemals in einem Lager rechts der Mitte koalitionsfähig wird, ist vorerst auch unklar. Aber der Meuthen-Flügel will das, und wenn das Abstoßen des Höcke-Flügels nach der Bundestagswahl gelingt, wird die Annäherung beginnen. Man sollte sich da nichts vormachen.

Die CDU wird nach Merkel ohnehin eine etwas andere Partei werden. Die bemerkenswerte Rückkehr von Friedrich Merz, von Teilen der Partei erwartet wie ein Messias, macht das deutlich. Aber sie wird sich nicht mit einem Ruck nach rechts wenden, sie wird die Mitte vorerst besetzt halten. Das ist die Chance der AfD, sich ihrer extremen Teile zu entledigen und sich anzubieten. Tut sie das nicht, wird sie verschwinden.

Die Chance der Grünen

Ein Hinüberblinzeln der Union Richtung AfD in den Jahren nach der Wahl wäre natürlich eine Belastung für eine schwarz-grüne Koalition im Bund, auch für ein Jamaika-Bündnis. Aber für die Grünen ist eine Regierungsbeteiligung eine einzigartige Chance.

Denn wenn es sich bestätigt, dass wir nach 2021 wieder in Richtung eines stärker polarisierten Parteiensystems tendieren, dann geht es auch darum, wer die starke Kraft, wer die Ankerpartei im Lager links der Mitte sein wird. Die SPD schwächelt mittlerweile zu sehr, um diese Rolle noch ohne Weiteres beanspruchen zu können.

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Die Grünen würden als Regierungspartei in die folgende Wahl gehen. SPD und Linke kämen aus der Opposition, in der sie beide Profil suchen, gewinnen, festigen müssen. Gegen mitregierende Grüne, aber auch gegeneinander.

Wird die SPD sich verdrängen lassen?

Aus der Kopf-an-Kopf-Konstellation, die sich zwischen SPD und Grünen bei der Wahl im kommenden September bisher abzeichnet, kann dann ein Vorsprung der Grünen werden. Dass sie die Fähigkeit haben, die Sozialdemokraten als Ankerpartei links der Mitte abzulösen, haben sie im Süden bereits bewiesen.

Im Westen und Norden haben sie sich an die SPD herangerobbt. Und auch im Osten, nimmt man Berlin und die fünf Flächenländer zusammen, liegen beide Parteien nahe beieinander. Aber die SPD, man soll sie nicht unterschätzen, wird sich nicht kampflos zurückdrängen lassen. Es gibt auch keinen Automatismus für einen weiteren Aufstieg der Grünen – und sie haben ein notorisches Talent, sich die eigene Suppe zu versalzen. Aber wenn der Mut sie nicht verlässt …

Wie auch immer: Zwar wird das Wahljahr 2021 noch von den Konsensjahren des Vielparteiensystems mit der Union als Mittelpunkt geprägt sein, aber dann könnte die Neuausrichtung des Parteiensystems hin zu einer stärkeren Polarisierung beginnen. Was dann auch zu neuen Stellungskämpfen der Parteien in den Lagern führen würde.

Polarisierung muss allerdings nichts Schlechtes sein. Sie schafft mehr Klarheit, es herrscht mehr Wettbewerb. Wenn die Lager sich nicht zu bekriegen beginnen, wenn sie nicht spalterisch agieren, wäre da wenig zu befürchten.

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