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© Saul Loeb, AFP

Sind es Faschisten oder Antifaschisten?: Die „VizPol“-App erkennt Gesinnung anhand von Symbolen

Wissen Sie auch manchmal nicht, ob das Tattoo ihres Dating-Partners auf eine rechte oder linke Gesinnung schließen lässt? Eine neue App kann helfen.

Die Idee entstand im Jahr 2018 nach einer Demonstration rechtsextremer Organisationen in Washington D.C. Nina Berman, die an der Columbia University Journalismus unterrichtet, fotografierte eine Frau, die auf ihrem Arm ein Tattoo mit den Zahlen „1488“ trug. Berman wusste nicht, was das bedeutet.  

Später lernte sie, das „14“ für einen Schwur weißer Neonazis und Rassisten steht, der folgende 14 Wörter enthält: „Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für die weißen Kinder sichern.“ Als Erfinder der „Fourteen Words“ gilt der amerikanische Rechtsextremist David Eden Lane. „88“ wiederum bezeichnet zweimal den achten Buchstaben des Alphabets, also HH, das wiederum steht für „Heil Hitler“. 

Berman sprach mit Ishaan Jhaveri, der am „Tow Center for Digital Journalism“ an der Columbia University arbeitet und dessen Hobby die Beobachtung von Vögeln ist. Eine App mit dem Namen „Merlin Bird ID“ hilft ihm dabei. Wer sie benutzt, muss fünf einfache Fragen beantworten oder ein Foto des Vogels eingeben, um bestimmen zu können, um welchen Vogel es sich handelt. Daraus entstand das Projekt „VizPol“. Beteiligt an der Entwicklung der App sind das "Tow Center", das "Digital Video and Multimedia Lab" und das "Data Science Institute".

Die Logos sind oft verwirrend vielfältig

Die App soll Journalisten, Fotografen und Redakteuren helfen, politische Symbole zu identifizieren. Ob auf Postern oder Bannern, T-Shirts oder als Tattoo: Ein Foto machen, auf den Icon „Identify Symbol“ klicken - und schon erscheint eine Liste mit zugehörigen Organisationsnamen, geordnet nach dem Grad ihrer Wahrscheinlichkeit.  

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Wer etwa das Kennzeichen der „Identitären Bewegung“ eingibt – ein Kreis mit einem umgedrehten V am unteren Rand - wird als erstes mit einer 50prozentigen Wahrscheinlichkeit auf eben diese „Identitäre Bewegung“ hingewiesen. Mit einer zweiprozentigen Wahrscheinlichkeit steht das Symbol für eine anarchistische Organisation.  

Wer demonstriert da gerade? Sind es Faschisten oder Antifaschisten, Rassisten oder Antirassisten, Rechte oder Linke, Klimaschützer oder Coronaleugner? Anhand der oft verwirrend vielfältigen Logos erkennt die „VizPol“ App, welche Gruppen aktuell auf die Straße gegangen sind. Sie ordnet sie politisch ein und liefert eine kurze Beschreibung ihrer Historie und Aktivitäten.  

Mehr als fünfzig Symbole kann die App identifizieren

Dazu mussten diverse Demonstrationen ausgewertet werden, unter anderem die „Unite-the-Right“-Proteste in Charlottesville, Virginia, im August 2017. Dabei tötete ein Neonazi mit seinem Auto gezielt eine Gegendemonstrantin. So entstand ein Panoptikum rechtsextremer Organisationen und von Gruppen, die eine „Überlegenheit der Weißen“ propagieren, wie „Vanguard America“, „Detroit Right Wings“, „National Socialist Movement“, „Identity Evropa“.  

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Bereits mehr als fünfzig Symbole kann die „VizPol“ App identifizieren. Allerdings beziehen sich die meisten auf Gruppen, die überwiegend in den USA tätig sind. Die Liste reicht von „Blue Lives Matter“ und „The Boogaloo Movement“ über „Celtic Cross“ und „Honkler the Clown“ bis zu den „Oath Keepers“ und „Pepe the Frog“. Das System lernt ständig hinzu. Die Trefferquoten der Nutzer erhöhen fortlaufend die Zuverlässigkeit der Angaben.  

Nur sechs Tage nach dem Sturm auf das Kapitol veröffentlichten Berman und Jhaveri auf der Internet-Plattform vice.com eine umfangreiche Analyse der an den gewaltsamen Protesten beteiligten Gruppen. Sie hatten Tausende von Fotografien und Videos gescannt und durch „VizPol“ laufen lassen. Dominant seien vor  allem christliche Symbole sowie Slogans der QAnon-Bewegung gewesen, schreiben sie.

Es kann zu falschen Verdächtigungen kommen

Trotz solcher Anwendungserfolge sind die Verantwortlichen am „Tow Center for Digital Journalism“ der Columbia University vorsichtig. Zum einen kann „VizPol“ sich irren, zum anderen teilen Personen, die ein bestimmtes Logo tragen, nicht unbedingt die dahinter stehende Ideologie. Es kann zum Missbrauch und zu falschen Verdächtigungen kommen. Deshalb lässt sich die App bislang nur auf Einladung der Betreiber und nur von Journalisten nach einer Identitätsüberprüfung herunterladen.  

Andererseits lebt das Projekt von einer immer größer werdenden Zahl von Nutzern, auch über die USA hinaus. Deshalb haben die Betreiber jetzt entschieden, sich direkt an Nachrichtenorganisationen zu wenden, damit diese die App unter ihren Korrespondenten und Reportern verteilen. 

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