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Chinesische Soldaten während einer Zeremonie in Korla, Xinjiang im August 2019

© REUTERS

Siemens, VW und BASF in Xinjiang: „Unternehmen müssen sich Chinas repressiver Politik widersetzen“

Chinaforscher Benjamin Haas wirft europäischen Unternehmen vor, Fabriken in Xinjiang zu betreiben. Besonders schwere Vorwürfe macht er Siemens. Ein Interview.

Von Jonas Bickelmann

Benjamin Haas ist Journalist und derzeit Gastwissenschaftler am Mercator Institute for China Studies in Berlin. In der New York Times macht er europäischen Unternehmen schwere Vorwürfe: Siemens, VW und andere würden sich geschäftlich in der Provinz Xinjiang zu engagieren, weil die chinesische Regierung sie dazu ermutigt. Die muslimische Minderheit der Uiguren ist in Xinjiang schwerer Diskriminierung ausgesetzt. VW-Vorstandschef Herbert Diess sagte der BBC noch im April, er wisse nichts von den Menschenrechtsverstößen. Im Interview erklärt Benjamin Haas, was er sich von den Unternehmen und der europäischen Politik erhofft.

Herr Haas, welchen Aktivitäten gehen deutsche Unternehmen wie Siemens und VW in Xinjiang nach?
Siemens hat ausgedehnte Geschäftsbeziehungen nach Xinjiang, von denen die besorgniserregendste das Kooperationsabkommen mit der China Electronics Technology Group ist. Das ist ein Militärlieferant, der eine Überwachungs-App entwickelt hat, die in der Region genutzt wird. Menschen sind in Lager geschickt worden, auf der Basis von mit dieser App gesammelten Daten, sagt Human Rights Watch.

Siemens verkauft außerdem Technologie und Komponenten an Firmen in ganz Xinjiang. Unter den Kunden sind Unternehmen, die Stahlwerke, Solaranlagen und Kohlevergasungsanlagen betreiben. Siemens hat auch ein Zweigbüro in der Provinzhauptstadt Urumtschi.

Volkswagen betreibt in der Provinz eine Fabrik mit der Kapazität zur Herstellung von 50.000 Autos jährlich. Aber die beiden Unternehmen sind nicht die einzigen deutschen Unternehmen, die in Xinjiang operieren. Ich habe 20 deutsche Unternehmen mit Geschäftsbeziehungen nach Xinjiang unter den 150 größten Unternehmen Europas gefunden. Auf der Liste steht unter anderem auch die BASF - mit einer großen Chemiefabrik in Xinjiang.

Warum ist Xinjiang für diese Unternehmen als Standort attraktiv?
Ich habe keine genaue Aufstellung darüber, wie viel diese Unternehmen in Xinjiang verdienen. In Gesprächen mit Managern aus Deutschland und dem Rest Europas nennen sie als einen wichtigen Grund für das Engagement in Xinjiang immer wieder den "dringenden Rat" der chinesischen Regierung. China arbeitet hart daran, die Region zu entwickeln und hofft, dass wirtschaftliche Entwicklung dazu führen wird, dass sich die Bevölkerung vor Ort China annähert. Ein Teil dieses Plans ist es, ausländische Investitionen zu fördern. Die Präsenz ausländischer Firmen funktioniert außerdem wie eine Art Feigenblatt für die repressiven Sicherheitsmaßnahmen in der Region.

Imame und Regierungsbeamte vor Überwachungskameras bei einer Moschee in Kashgar, Xinjiang.
Imame und Regierungsbeamte vor Überwachungskameras bei einer Moschee in Kashgar, Xinjiang.

© REUTERS

Warum sind Geschäfte in Xinjiang ein Problem?
Dort geschäftlich tätig zu sein ist nicht per se schlecht, aber es müssen Standards gesetzt werden. Derzeit gibt es keine Menschenrechtsstandards für Aktivitäten in Xinjiang oder woanders, und ich denke, das muss sich ändern. Die Europäische Union und nationale Regierungen müssen auch hinterfragen, welche Arten von Geschäften in Regionen wie Xinjiang verfolgt werden. Die Wirtschaft könnte in Xinjiang eine Kraft des Guten sein, aber Unternehmen und europäische Regierungen müssen sich Chinas repressiver Politik und seinen internationalen Schikanen widersetzen.

Wie steht es derzeit um die Uiguren in Xinjiang?
Die Uiguren in China sind eine der am meisten diskriminierten Gruppen im Land und es sitzen aktuell über eine Million Uiguren und andere muslimische Minderheiten in Umerziehungslagern ein. Xinjiang, wo 10 Millionen Uiguren leben, ist ein Polizeistaat in jedem Sinne des Wortes. Uiguren sind dort stichprobenartigen Durchsuchungen ausgesetzt und es gibt flächendeckend Checkpoints und dauerhafte Regierungsüberwachung. Xinjiang ist ein gigantisches Menschenrechtsdesaster, das sich größtenteils unbemerkt abspielt, weil China Anstrengungen unternimmt, um Informationen zu zensieren und Journalisten zu schikanieren, die über Regierungsübergriffe berichten.

In diesem Komplex in China sitzen Berichten zufolge Angehörige der Volksgruppe der Uiguren in Haft.
In diesem Komplex in China sitzen Berichten zufolge Angehörige der Volksgruppe der Uiguren in Haft.

© AFP

Wie sollten Unternehmen darauf reagieren?
Siemens sollte vollständig erklären, wie seine Geschäfte mit der China Electronics Technology Group aussehen, und sollte ernsthaft erwägen, seine Verbindungen mit dem Unternehmen zu kappen, wegen dessen Beteiligung an der Unterdrückung in Xinjiang. VW sollte unterdessen daran arbeiten, seine den Minderheiten zugehörigen Angestellten zu schützen und dafür die Beamten vor Ort aufsuchen.

Allerdings haben Unternehmen auf der ganzen Welt eine ziemlich schlechte Bilanz, was Selbstkontrolle angeht und ich denke, die echte Lösung des Problems ist ein Katalog an Menschenrechtsstandards, die von der EU oder der deutschen Regierung durchgesetzt werden.

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