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Demo im August in Berlin gegen die aktuelle Coronapolitik Deutschland.

© imago images/Christian Spicker

„Sie suchen den Erlöser, der sie befreien kann“: Wie gefährlich wird die „Querdenker“-Bewegung 2021?

Der Antisemitismusbeauftragte Baden-Württembergs sieht eine Anti-Impf-Verschwörungsbewegung auf das Land zukommen – und weitere Radikalisierung. Ein Interview.

Michael Blume (44) ist Religionswissenschaftler und Antisemitismusbeauftragter der Landesregierung in Baden-Württemberg. Er betreibt zudem den Podcast „Verschwörungsfragen“.

Herr Blume, die Infiziertenzahlen steigen, die Intensivbetten sind knapp – trotzdem demonstrierten selbsternannte Querdenker bis zuletzt in deutschen Innenstädten gegen Corona-Maßnahmen und Impfungen. Wie erklären Sie sich das?
Die Bewegung hat sich ja schon sehr weit radikalisiert. Das ist ein typischer Prozess. Stellen Sie sich vor, Sie haben sich einer Bewegung angeschlossen. Sie glauben, dass hinter der Pandemie in Wirklichkeit eine Weltverschwörung steht. Sie haben schon viel Zeit investiert, womöglich auch Geld, Sie haben sich deswegen mit Freunden und Verwandten zerstritten.

Aber dann passiert etwas, was ihren Verschwörungsglauben in Frage stellt. Jetzt haben Sie zwei Möglichkeiten: Entweder Sie schreiben das alles als Verlust ab und kehren in die Realität zurück. Oder Sie eskalieren weiter und vergraben sich tiefer. Deswegen ist es immer so, dass Verschwörungsbewegungen sehr breit anfangen, dann aber Leute abspringen. Die, die dabeibleiben, radikalisieren sich und werden lauter.

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Nach wie vor stehen dort Rechtsextreme neben religiösen Fundamentalisten, Impfgegner neben Reichsbürgern. Was hält diese Leute jetzt noch zusammen?
Es ist das gemeinsame Feindbild einer Weltverschwörung – ein Bild, das im Kern antisemitisch ist. Die Menschen, die dort zusammenkommen, ticken aber häufig auch ähnlich. Wir sprechen von autoritären Persönlichkeiten. Sie haben von frühester Kindheit an gelernt, anderen zu misstrauen.

Gleichzeitig sehnen sie sich nach einem starken Anführer. Sie suchen den Erlöser, der sie befreien kann. Das nennt man Tyrannophilie. Bei religiösen Fundamentalisten kann das noch der Herr Jesus sein. Gut zu beobachten ist das aber auch bei QAnon…

… der Verschwörungsbewegung, die aus den USA nach Deutschland geschwappt ist…
Deren Anhänger glauben daran, dass eine Elite Kinder entführt, um aus deren Blut einen besonderen Stoff zu extrahieren. Bei QAnon hält man Trump für den Erlöser. Als er die Wahl verlor, hätten die Anhänger erkennen können, dass sie auf dem Holzweg sind. Lieber klammern sie sich an die Idee, dass es Wahlfälschung war.

Michael Blume.
Michael Blume.

© die arge lola

Welche Rolle spielen Kinder in Verschwörungsbewegungen? Bei manchen Corona-Demos haben Teilnehmer offenbar gezielt ihre Kinder mitgebracht.
Kinder erfüllen für Verschwörungsbewegungen zweierlei Funktionen. Zum einen als Trigger: Es wird behauptet, Kinder seien bedroht. Querdenker behaupten, Kinder würden durch die Masken ersticken – was ja schlicht nicht stimmt. Die Erzählung von QAnon ist der gleiche Mythos, den wir schon im 15. Jahrhundert bei der Hexenverfolgung hatten.

Da hieß es im Hexenhammer, Frauen und Juden würden den Hexensabbat begehen und aus Kindern Hexensalbe herstellen. Und zum anderen werden Kinder eben bei den Demonstrationen auch als Schutzschilde instrumentalisiert, wenn sie ganz vorne mitlaufen und sich der Polizei entgegen stellen sollen.

Viele der Querdenker tun ja so, als würde hier eine „Corona-Diktatur“ errichtet. Glauben diese Leute das wirklich?
Am Anfang halten sie es nur für möglich. Doch je tiefer sie hineinrutschen, desto stärker glauben sie das tatsächlich. Durch das Internet ist es eben auch sehr einfach, sich komplett in einer alternativen Realität zu bewegen. Es sind zum Teil hochgebildete, hochintelligente Leute, die da einem Verschwörungsglauben anhängen.

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Einige vergleichen sich mit Sophie Scholl oder Anne Frank, sie heften sich einen Judenstern an – vergleichen sich also mit Verfolgten des NS-Regimes…
Das ist natürlich eine komplette Verharmlosung des Holocausts. Wir nennen das Opferneid: Wer sich selbst als Opfer einer Weltverschwörung sieht, erträgt es nicht, dass anderer Opfer gedacht wird. Corona-Opfern etwa oder Opfern des NS-Regimes. Deshalb setzt man sich selbst an deren Stelle, stellt sich als neue Sophie Scholl dar und die Bundesregierung als NS-Regime.

Das hat übrigens nicht mit Covid-19 angefangen. Wir hatten hier in Stuttgart schon bei den Demos gegen die Dieselfahrverbote Leute, die sich Judensterne angeheftet haben.

Einige Querdenker stellen sich selbst als Verfolgte eines Regimes dar und verharmlosen damit den Holocaust.
Einige Querdenker stellen sich selbst als Verfolgte eines Regimes dar und verharmlosen damit den Holocaust.

© picture alliance/dpa

Muss man sich damit abfinden, dass ein kleiner Teil der Gesellschaft sich in eine Parallelwelt verabschiedet?
Wir dürfen niemanden aufgeben und müssen immer Angebote machen, für Menschen, dort wieder herauszukommen. Deshalb brauchen wir Aussteigerprogramme – am ehesten vergleichbar ist das ja mit einem Sektenausstieg. Aber wir brauchen auch einen wehrhaften Rechtsstaat. Ein Zurückweichen der Polizei, wie das in diesem Herbst in Leipzig zu beobachten war, bringt nichts.

Wenn diese Leute das Gefühl haben, sie gewinnen, dann radikalisieren sie sich erst recht. Autoritäre Persönlichkeiten reagieren nicht auf Kuschelpädagogik. Die brauchen klare Regeln, eine klare Ansprache und parallel das Angebot: Wenn du da rauswillst, helfen wir dir. Ein wehrhafter Rechtsstaat und eine warmherzige Zivilgesellschaft – das ist momentan nötig.

Wie kann man Verschwörungsgläubige in seinem privaten Umfeld zum Umdenken bringen?
Man kann nur versuchen, ihnen Zeit zu geben. Ihnen ein Buch oder einen Podcast zu empfehlen, nicht in die direkte Konfrontation gehen. Wenn man die Leute beschimpft oder als Covidioten beleidigt, erreicht man eher das Gegenteil von dem, was man möchte.

Teile der AfD versuchen sich an die Querdenker auf der Straße anzubiedern. Kann die Partei davon profitieren?
In der Geschichte hat noch keine Partei profitiert, wenn sie sich mit einer Verschwörungsbewegung verbündet hätte. In den USA verfluchen schon jetzt QAnon-Anhänger die Republikaner, weil sie angeblich nicht genug zu Donald Trump stehen. Die Partei kann nie so radikal sein, wie es die Verschwörungsbewegung gerne hätte. Und Verschwörungsbewegungen sind immer im Kern anti-demokratisch. Sie sehen den politischen Gegner als absolut böse und sprechen ihm die Würde ab.

Wie wird es nächstes Jahr weitergehen mit den Querdenkern? Frontmann Michael Ballweg will sich ja vorerst zurückziehen...
Ich beobachte schon jetzt Zerfallserscheinungen in diesem Lager. Es spielt aber im Grunde keine große Rolle, unter welchem Label sich Verschwörungsgläubige organisieren. Wenn eine Gruppe zerfällt, bilden sich neue Organisationsformen. Ich schätze, dass wir 2021 eine große Anti-Impf-Verschwörungsbewegung haben werden, die sich im Kampf gegen den „Great Reset“ versammelt.

Was hat es damit auf sich?
Eigentlich ist „Covid 19: The Great Reset“ der Titel eines Buches, das der Gründer des Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab, geschrieben hat. Seine These ist, dass die Welt vor einem grundlegenden Umbruch steht und soziale und ökologische Missstände jetzt angegangen werden müssen. Doch Verschwörungsgläubige sehen das Buch als Beweis, dass es den großen Plan der Wirtschaftseliten gab, mithilfe von Corona die Weltherrschaft an sich zu reißen. Auch Zwangsimpfungen gehören in diesem Mythos zum Plan dazu.

Befürchten Sie, das könnte die Impfbereitschaft negativ beeinflussen?
Das hat leider schon begonnen. Die Ängste, die zunächst gegen das Virus gerichtet waren, werden jetzt gegen das Impfen gerichtet.

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