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Angela Merkel in Stralsund

© Stefan Sauer/zb/dpa

Sie ist zurück: Die Gelassenheit der Kanzlerin

Bei ihrem ersten Auftritt nach dem Urlaub zeigt sich Angela Merkel entspannt. Sogar den Angriff eines AfD-Lokalpolitikers lässt sie trocken abprallen.

Es ist mit Abstand der härteste Angriff an diesem Nachmittag. „Sie haben uns im Namen der Toleranz in eine Diktatur geführt“, wirft ein AfD-Lokalpolitiker der Kanzlerin vor. Wer sich zur AfD bekenne, für den gebe es keine Meinungsfreiheit. Er fragt: „Fühlen Sie sich persönlich verantwortlich, mit Ihrer Migrationspolitik das Land gespalten zu haben?“

Angela Merkel sitzt beim Leserforum der Ostsee-Zeitung auf der Bühne – und reagiert trocken. Die Tatsache, dass „Sie hier in Reihe eins sitzen und mit Ihrer Frage nicht gefährdet sind“, sage ja schon genug. Und auch AfD-Mitglieder im Bundestag hätten keine Hemmungen, ihr die Meinung zu sagen. „Das ist gut so.“

Es ist Merkels erster Auftritt nach einigen Wochen Auszeit vom Politikbetrieb. Die hatte die Kanzlerin wohl nötig: Erst sprach die ganze Republik über ihre öffentlichen Zitteranfälle, dann folgte der Machtpoker um den EU-Kommissionsvorsitz und die Neubesetzung des Verteidigungsministeriums.

Jetzt scheint Merkel erholt, für das Leserforum in Stralsund mit 200 Gästen unterbrach sie laut der „Ostsee-Zeitung“ sogar ihren Urlaub. Aus der Ruhe bringen lässt sie sich während der anderthalbstündigen Veranstaltung nicht. Der Auftritt in ihrem Wahlkreis – ein Heimspiel.

Dem AfD-Lokalpolitiker, der ihre Migrationspolitik kritisiert, antwortet Merkel: „Deutschland ist nicht allein auf der Welt.“ Auf bestimmte Entwicklungen müsse man reagieren. Dass es eine Kontroverse gegeben habe, damit habe sie zu leben.

„Und trotzdem würde ich immer sagen, dass es richtig war, dass wir in einer humanitären Ausnahme- und Notsituation geholfen haben.“ Es gibt Applaus. Im Internet, wo die Veranstaltung auf Facebook übertragen wird, geht die Schimpftirade auf Merkel allerdings weiter. „Sie verraten und verkaufen unser Land“, schreibt da zum Beispiel einer.

Ereignisse werfen ihre Schatten voraus

Klima, Pflege, Rüstung, Fischerei – kaum ein Thema, das an diesem Nachmittag in Stralsund nicht gestreift wird. Die politischen Ereignisse für den Rest des Jahres werfen bereits ihre Schatten voraus. Am 20. September soll das Klimakabinett unter Merkel ein Maßnahmenpaket beschließen, mit dem die deutschen Klimaziele erreicht werden können.

Merkel bekundet am Dienstag in Sachen CO2-Bepreisung Sympathie für das Modell eines Handels mit Emissionszertifikaten. Das sei besser als eine Preiserhöhung über Steuern.

Union und SPD müssen in diesem Jahr zudem über das Fortbestehen der großen Koalition entscheiden. Auf die Frage nach einem vorzeitigen Groko-Ende sagt Merkel in Stralsund, die Union stehe zur Bundesregierung. Von ihren Ministern, Vizekanzler Olaf Scholz und den Parteichefs höre sie auch nicht, dass jemand aussteigen wolle.

Sie bekräftigt ihre kritische Sicht auf eine Minderheitsregierung, in der zum Beispiel die Union sich wechselnde Mehrheiten im Bundestag sichern müsste. „Ich stelle mir das nicht gut für Deutschland vor.“

Dann wird es persönlich

Doch es wird auch persönlich in Stralsund. Eine Leserin spricht Merkel auf ihre Zitteranfälle an und auf den Tod ihrer Mutter im April dieses Jahres. „Was macht das mit Ihnen, wenn das in der Öffentlichkeit ausdiskutiert wird?“ Merkel sagt, sie verstehe das Interesse an diesen Dingen.

Sie habe aber ihr ganzes politisches Leben lang versucht, sich Räume zu bewahren, in denen sie privat sein könne und auch mal traurig, ohne dass sie der Öffentlichkeit darüber berichterstatten müsse. Ein paar Dinge verrät Merkel trotzdem: Man erfährt, dass die Kanzlerin gern Tiere in der freien Natur beobachtet, Hasen, Rehe oder Kraniche etwa. Auch Erdkröten finde sie interessant und sei traurig, wenn sie an manchen Orten nicht mehr vorkämen.

An einem Tag ohne Politik schlafe sie gern etwas länger, frühstücke ausgiebig, gehe nach draußen und koche auch gerne selbst. Dazu könnte sie spätestens nach 2021 viel Gelegenheit haben: Wie Merkel auch am Dienstag wieder bekräftigt, will sie nach dem Ende ihrer Kanzlerschaft kein politisches Amt mehr ausüben.

Was sie denn in 50 Jahren über sie in den Geschichtsbüchern stehen solle, will der Chefredakteur der „Ostsee-Zeitung“ am Ende noch von Merkel wissen. Die Bundeskanzlerin zögert kurz und zitiert dann ihren Vorgänger Willy Brandt: „Sie hat sich bemüht“.

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