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Autos mit anderen zu teilen, ist inzwischen nicht mehr ungewöhnlich. Allerdings spielt eine Rolle, dass nicht das eigene Auto geteilt wird.

© picture-alliance/ dpa

Sharing Economy: Die Kulturrevolution vom Leihen und Teilen

Das Netz hat eine neue Vernunft in die Welt gebracht. Denn das Teilen ist ein Wundermittel gegen vieles, was falsch läuft. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Wolfgang Prosinger

Der Volksmund weiß es ja schon lange. Dass das Teilen nicht bloß eine Halbierung, sondern manchmal auch eine Verdoppelung sein kann, dass geteilte Freud’ doppelte Freude ist. Wer teilt, verliert nicht immer, er gewinnt manchmal. Diese Wahrheit scheint zurzeit zu einer Massenwahrheit zu werden. Immer häufiger ist das Wort von der „Sharing Economy“ zu hören. Immer mehr Menschen wollen nicht haben, sondern teilhaben. Am deutlichsten ist das auf den Straßen zu sehen. Seit einigen Jahren verkehren dort Autos, die nicht ihren Fahrern gehören, sondern Verleihfirmen. Drive Now, Multicity, Car2Go, Flinkster, Cambio, Stadtmobil. Etwa eine Million Menschen sind in Deutschland schon bei Carsharing-Firmen registriert, und es werden täglich mehr. Das Bedürfnis, ein Auto zu besitzen, bis vor gar nicht langer Zeit eine pure Selbstverständlichkeit, tritt zurück hinter das Bedürfnis, eines fahren zu können, wenn man es gerade braucht. Das ist eine Kulturrevolution.

Der Leihkoch kommt ins Haus

Und sie betrifft nicht nur das Auto. Wohnungen werden verliehen oder getauscht, Bilder überm Sofa kann man von Museen oder Galerien leihen. Bei Anbietern wie Leihdirwas können Waschmaschinen und Kleiderschränke und Hängematten auf Zeit erworben werden. Geteilt werden Kettensägen, Bohrmaschinen und Brautkleider, Oldtimer und sogar Hunde. Der Leihkoch kommt ins Haus, der Leihfriseur auch. Eine neue Konsumkultur ist im Entstehen, der Begriff des Besitzes beginnt sich zu wandeln. Möglich ist das natürlich hauptsächlich durch das Internet, durch die große Vernetzung aller mit allen. Auf diesem Markt der unbegrenzten Möglichkeiten findet sich, was zuvor unauffindbar war, ausgefallenste Wünsche sind erfüllbar geworden. Wer am Montag das dringende Bedürfnis nach einer Kreissäge, einem Papagei oder einem Oleanderstrauch verspürt, kann sich das Gewünschte am Dienstag leihweise abholen.

Das Netz hat – in diesem Punkt – eine neue Vernunft in die Welt gebracht. Denn das Teilen ist ein Wundermittel gegen vieles, was den Planeten Erde und seine Bewohner belastet: gegen Ressourcenverschwendung, gegen Überproduktion, gegen Umweltzerstörung. Manche gehen sogar so weit, darin einen antikapitalistischen Effekt zu sehen, weil dadurch archaische Wirtschaftsformen wie etwa der Tauschhandel zu neuem Leben erwachen. Das ist natürlich übertrieben, weil die Organisationen und Unternehmen, die das Leihgeschäft betreiben, selbstverständlich profitorientiert sind und sich für ihre Dienstleistungen bezahlen lassen. Schließlich stecken zum Beispiel hinter den Carsharing-Firmen vielfach die großen Automobilkonzerne, BMW, Volkswagen, Mercedes, Opel. Deren Engagement ist dabei keineswegs selbstlos. Verspricht man sich dort doch, dass bisher autolose Menschen durch das Sharing-Angebot erst auf den Autogeschmack gebracht werden und in der Folge selbst Autobesitzer werden wollen. Der geliehene Wagen als Lockvogel, vom Leiher zum Käufer.
Nicht undenkbar allerdings, dass dieser Schuss für die Autobauer nach hinten losgehen könnte. Dass immer mehr Menschen die Frage stellen, ob sich die Anschaffung eines Konsumguts lohnt, das die meiste Zeit nicht benutzt wird, sondern stehend die Städte verstopft. Ein geteiltes Auto, haben Statistiker errechnet, kann bis zu zehn Privatwagen ersetzen. Was für eine Vision: Der Straßenverkehr würde auf diese Weise aufs Schönste reduziert. Zumindest in den Städten.

Natürlich steckt die Sharing Economy vorerst noch in den Kinderschuhen, in sehr kleinen sogar. 1,15 Millionen zugelassener Privat-Pkw gibt es derzeit zum Beispiel in Berlin, dazu 1,8 Millionen Fahrräder, und 3,6 Millionen aller innenstädtischen Wege werden ohnehin mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt. Da fallen die momentan etwa 2500 Berliner Carsharing-Autos nicht wirklich ins Gewicht. Was aber, wenn diese Zahl nur ein Anfang wäre? Teilen war ursprünglich ein Gebot der Not. Als St. Martin seinen Mantel mit einem Frierenden teilte, war das eine Hilfe in einer besonders schwierigen Lage. Heute ist Teilen eher Ausdruck des Überflusses: Wir haben von (fast) allem zu viel. Wir können es entbehren, weil wir es nicht ständig brauchen. Was vielleicht ein Verweis darauf ist, dass Überfluss auch manchmal Not werden kann.

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