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Sind so kleine Füße. Schweigeaktion für die "Kinder von Lügde".

© Christophe Gateau / dpa

Sexueller Missbrauch: Verwandte müssen als potentielle Täter und Täterinnen genannt werden

Die Schule kann wie kaum eine andere Institution sexuellen Missbrauch verhindern helfen. Dafür muss sie künftig besser gerüstet sein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Aufklärung, Bereitschaft, Courage, das sollte das ABC von Erwachsenen sein beim Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt. Allmählich sickert es ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, dass statistisch gesehen in jeder Schulklasse ein bis zwei Jungen oder Mädchen sitzen, die sexuelle Gewalt erfahren. In den allermeisten Fällen „passiert es“ in der Familie, Täterinnen und Täter sind Mütter und Väter, Partner eines Elternteils oder andere Verwandte.

Die Mär vom fremden Mann, der im Gebüsch am Spielpatz hockt, um sich ein Opfer zu greifen, taucht zwar noch im Krimi auf, wird aber allmählich verabschiedet. Wir wissen als Gesellschaft längst mehr.

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Wo aber Familien keinen Schutz bieten, da können allein die Institutionen aktiv werden, in denen Kinder sich außerhalb der Familien aufhalten, Kindergärten, Schulen, Freizeitheime. Am Donnerstag lädt der Unabhängige Beauftragte des Bundes für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), Johannes-Wilhelm Rörig, zur Pressekonferenz mit dem Thema „Sexuelle Gewalt und Schule: Aktuelle Forschungsergebnisse für die schulische Praxis“. Dass Rörig und sein Team das Thema Schule oben auf die Agenda stellen ist ein wichtiger Schritt, denn es wird aus dem Präventionsdiskurs gern ausgeklammert.

Scheu vor heiklen Themen

Das hat mehrere Gründe. Selbst Projekte, die das Bewusstsein von Kindern und Jugendlichen schärfen sollen, scheuen davor zurück, Verwandte als potentielle Täter und Täterinnen zu nennen. Lehrkräfte scheuen – auch um selber nicht falsch verstanden zu werden – oft davor zurück, heikle, persönliche Themen mit Schülerinnen und Schülern zu besprechen.

Diese wiederum sind befangen, wenn es um ihre Sexualität geht und sie sich als „Opfer“ wahrnehmen – seit Jahren ein beliebtes Schimpfwort auf Schulhöfen. Am liebsten vertrauen sie sich außerdem Fachleuten an, die von außen kommen. Doch diese gibt es nicht flächendeckend, und wo es sie gibt, sind sie oft ausgebucht.

Johannes-Wilhelm Rörig erklärt, Schulen können „für betroffene Kinder und Jugendliche ein wichtiger Schutzort sein“, während es dort zugleich auch „strafrechtsrelevanten Missbrauch“ gibt, vor allem „in Form sexualisierter Grenzverletzungen durch Mobbing, Nötigung oder Veröffentlichung intimer Fotos“. Daher seien dringend strukturelle und pädagogische Schutzmaßnahmen nötig. Die Grenzverletzungen unter Kindern sind Symptome, alles, was Kinder lernen, lernen sie von Erwachsenen.

Doch Berge an Ignoranz und Abwehr wird es zu bewältigen geben. Das ist nicht nur in Deutschland so. In Frankreich schockierte der Fall der acht Jahre alten Marina Sabatier die Öffentlichkeit, die an den Misshandlungen ihrer Eltern starb, ein erschütternder Film dazu entstand 2019, „La Maladroite“ (Die Ungeschickte) von Éléonore Faucher. Obwohl Lehrerinnen die Blessuren des Kindes dokumentiert hatten, wollten und konnten weder sie noch Ärzte, Jugendämter oder Sozialarbeiter entschieden genug einschreiten.

Sollen sich die Strategien der Vermeidung und des Leugnens auflösen, muss unter anderem die Kultusministerkonferenz wachgerüttelt werden. Der fundamentale Kulturwandel kann nur von oben beginnen, nur zentral, und darf nicht einer föderalen oder regionalen Kinderschutz-Lotterie überlassen bleiben.

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