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Laut Schätzungen sind in Deutschland rund eine Million Mädchen und Jungen von sexueller Gewalt betroffen

© picture alliance / dpa

Sexueller Kindesmissbrauch: "Der Tatort Familie ist keine Privatsache"

Eine unabhängige Aufarbeitungskommission hört Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs an. Kommissionschefin Sabine Andresen fordert mehr Sensibilität in der Gesellschaft für das Thema.

Seit einem Jahr haben Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs eine unabhängige Anlaufstelle: die Aufarbeitungskommission, die nach langem Drängen des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, durch einen Beschluss des Bundestags ins Leben gerufen wurde. Bisher haben sich rund 700 Betroffene an das Gremium gewandt. In vertraulichen Anhörungen können sie hier ihre Geschichte erzählen. In der Mehrzahl der Fälle gehe es um Missbrauch in der eigenen Familie, berichtet die Kommissionsvorsitzende Sabine Andresen.

Die Kommission soll Betroffenen ermöglichen, auch jenseits von Gerichtssälen oder Therapieräumen sprechen zu können. Sie will aber auch Strukturen aufdecken, die Missbrauch ermöglicht und Aufarbeitung verhindert haben. „Familie als Tatort ist keine Privatsache“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin Andresen. Es gehe nicht nur darum, die Gesellschaft zu informieren, sondern auch zu sensibilisieren. Kinder seien darauf angewiesen, dass ihnen zugehört werde und dass sie auf Erwachsene stießen, die ihnen helfen. Neben den vertraulichen Anhörungen führt die Kommission auch öffentliche Hearings durch. Das erste zum Thema Kindesmissbrauch in der Familie fand am Dienstag statt; Betroffene und Zeitzeugen kamen ebenso zu Wort wie Experten aus Wissenschaft und Praxis. Künftige Themen sollen sexueller Missbrauch in DDR-Einrichtungen sein, sowie in sozialen Bewegungen und in Institutionen wie der Kirche. Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation sind in Deutschland rund eine Million Mädchen und Jungen von sexueller Gewalt betroffen.

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, forderte die Politik außerdem auf, die lange angekündigte Reform des Opferentschädigungsgesetzes auf den Weg zu bringen. „Die Betroffenen brauchen schnelle und unbürokratische Hilfe“, forderte Rörig. Auch Ex-Familienministerin Christine Bergmann (SPD) kritisierte, es sei „allerhöchste Zeit“, eine Regelung hinzubekommen, die Opfern sexueller Gewalt wirklich helfe. Die Betroffenen, die einen Antrag auf Entschädigung stellten, machten derzeit im Verfahren oft „neue traumatisierende Erfahrungen“. Die Befragungen sollten von geschultem Personal mit „größter Sensibilität“ durchgeführt werden, verlangte Bergmann, die Mitglied der Aufarbeitungskommission ist.

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