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Frauen gegen Prostitution: Femen-Protest 2013 auf der Reeperbahn in Hamburg

© Christian Charisius/dpa

Sexualpolitik: Huren, Polizisten und die Politik

Das 20. Jahrhundert gilt als das Jahrhundert des Sex. Einige Trends der Politisierung von Sexualität von damals wirken bis heute fort - zum Beispiel in der aktuellen Debatte um Prostitution.

Sex und Politik, das ging schon immer gut zusammen. Aber ihre historisch engste Verbindung gingen sie erst vor vor gut hundert Jahren ein. Das „Jahrhundert des Sex“ sei eigentlich das seiner Politisierung gewesen, schreibt die New Yorker Historikerin Dagmar Herzog in ihrer 2011 erschienenen „Sexuality in Europe. A Twentieth-Century History“. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts, schreibt Herzog, wurde Sex „zum Schlüsselelement in Prozessen der Säkularisierung wie religiöser Erneuerung, ein Hauptmotor wirtschaftlicher Entwicklung und zum Feld, über das Bürger und Regierung zunehmend verhandelten“.

Meldepflicht machte den Ausstieg schwieriger

Herzog beginnt ihren Blick auf das Jahrhundert nicht zufällig mit der Prostitution, einem Hauptkriegsschauplatz der neuen Sexualpolitik. Und einiges von damals ähnelt Vorschlägen und Positionen heute, da es in Deutschland um die Reform des Prostitutionsgesetzes von 2002 geht. Ähnlich wie heute war schon damals, in weitaus weniger liberalen Zeiten, nirgendwo in Europa Prostitution selbst verboten; vielfach lief aber ihre staatliche Regulierung auf etwas hinaus, das dem Verbot sehr nahekam. Die neue hohe Aufmerksamkeit und die Einführung einer Meldepflicht für Prostituierte führten dazu, dass Arbeiterinnen, die ihren kargen Lebensunterhalt neben Nähen, Waschen, Putzen auch mit Gelegenheitsprostitution aufbesserten, größere Schwierigkeiten hatten, das Gewerbe Richtung Ehe oder eines respektableren Berufs zu verlassen – eine „unglückliche Ironie“, schreibt Herzog. Die Zehntausende, die sich daher lieber nicht registrieren ließen, seien ihrerseits ständig polizeilicher Verfolgung und Gerichtsverfahren ausgesetzt gewesen. „In ganz Europa behandelte die Polizei oft jede Arbeiterfrau als potenziell verdächtig.“ Die Debatte wurde paradoxerweise zugleich von Frauenrechtlerinnen befeuert, die Doppelmoral bekämpften, und von Vertretern eines sexuellen Konservatismus.

Feministische Themen für konservative Zwecke

Das neue 21. Jahrhundert nehme Sex nicht mehr so dramatisch wie das davor, als Radikale, die ihn befreien, wie auch Konservative, die ihn beschränken wollten, einträchtig an seine Macht glaubten. Die neue Zeit sei aber von „Rückschlägen und Ambivalenzen“ auf dem Gebiet der Sexualpolitik gekennzeichnet und einer Verdichtung von Spuren aus dem 20. Jahrhundert zu einem „bemerkenswerten Trend“, wie Herzog schreibt: „die Aneignung und Umleitung von früher feministischen Themen für deutlich konservativere Zwecke“. Und wieder geht’s um Prostitution: Herzog nennt das Verbot des Sex-Kaufs in Schweden von 1999, das mit Würde und Wohlergehen der Frau begründet wurde, aber Prostituierte wohl in größere Gefahr gebracht hat, das höhere Alter für gekauften Sex von 16 auf 18 Jahre in Deutschland, das die sozialdemokratische Justizministerin Brigitte Zypries 2008 durchsetzte, und die entsprechende Initiative in den Niederlanden – von 18 auf 21 Jahre – zwei Jahre später. Auch die Einschränkung des Abtreibungsrechts, von christdemokratischer Seite schon 2001 und 2004 versucht, ging erst 2010 durch, als die Verschärfung der Vorschriften für Spätabtreibungen behinderter Föten als Fortschritt für Behindertenrechte verkauft wurde – wofür es auch Grünen- und SPD-Stimmen gab.

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