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Soldaten der Bundeswehr bei einer Gefechtsübung.

© Bernd Wüstneck/dpa

Sexualität in der Bundeswehr: So bekommen die deutschen Soldaten ein Nachwuchsproblem

Eine Kommandeurin zeigte sich bei Tinder zu offenherzig und bekam Ärger. Es fehlt am richtigen Maß für die Moral der Truppe. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Oberstleutnant Anastasia Biefang hat eine in der Bundeswehr einzigartige Soldatenkarriere hinter sich, weil sie als erste trans Frau Bataillonskommandeurin wurde. Sie ist stolz auf diese Rolle, auf die Solidarität und die Vielfalt der Truppe.

Nun ist nicht nur sie selbst, sondern mit ihr jeder ernüchtert, der sich den Dienstalltag der Streitkräfte in Regenbogenfarben ausgemalt hat. Der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts hat einen Disziplinarverweis gegen Biefang bestätigt, den die Soldatin wegen ihres Tinder-Auftritts kassiert hatte (Az.: 2 WRB 2.21). Auf dem Kontaktportal warb sie mit den Worten: „Spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung auf der Suche nach Sex. All genders welcome.“

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Die Begründung des Gerichts ist bemerkenswert und lässt auch viele in der Politik aufhorchen. Zwar betont der Senat das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Biefang könne sich daher für ein „promiskuitives Sexualverhalten“ entscheiden; auch reiche der Schutz ihres Grundrechts über die Intim- und Privatsphäre hinaus in die Sozialzone der Tinderwelt. Als Befehlshaberin über tausend Untergebene habe sie aber die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht zu achten, wie sie im Soldatengesetz niedergelegt sei.

„All genders welcome“, so warb die Soldatin für sich

Die Pressemitteilung des Gerichts – das schriftliche Urteil folgt erst in einigen Wochen – muss man genau lesen: Biefang habe in ihren Tinder-Profil Formulierungen zu vermeiden, die den falschen (!) Eindruck eines wahllosen Sexuallebens und eines erheblichen Mangels an charakterlicher Integrität erwecken. Dies geschehe mit der „Suche nach Sex“, bei der „all genders welcome“ seien. Jedenfalls müsse ein „verständiger Betrachter“ zu solchen Schlüssen kommen.

Biefang selbst, so darf man interpretieren, führt nach richterlicher Erkenntnis also weder ein wahlloses Sexualleben noch leidet sie unter Charaktermängeln. Ihr Fehlverhalten liegt darin, dass irgendwer aufgrund der Wortwahl ihres Selbstangebots dies so vielleicht denken könnte.

Die Wehrfähigkeit der Bundeswehr krankt übrigens vor allem an fehlender bzw. mangelhafter Ausrüstung & auf der ethischen Seite eher an verfassungsfeindlichen Personen & Bestrebungen, als an einer unverkrampften Sexualität.

schreibt NutzerIn Sharis

Hinsichtlich seiner Auslegungskunst wird man das Urteil akzeptieren können, auch wenn man das Ergebnis nicht teilt. Das Bundesverwaltungsgericht ist kein Ort, von dem Impulse ausgehen; der „verständige Betrachter“ lebt hier hinter dicken Mauern. Fragwürdig erscheint vielmehr die Haltung von Biefangs Vorgesetzten, ein derartiges Tun überhaupt sanktioniert zu haben. Sie sind es, die im Alltag der Streitkräfte wiederkehrend definieren müssen, was außerdienstlich geht und was nicht.

Wenn schon die „Suche nach Sex“ die Moral der Truppe untergräbt, wird die Bundeswehr ein Nachwuchsproblem bekommen. Zudem ist diese Suche schon der Anmeldung bei Tinder immanent. Dass dabei „all genders welcome“ sind, bezeugt eine Offenheit, die zum Slogan der Rekrutenwerbung werden könnte.

Freilich muss es, da haben die Vorgesetzten Recht, auch Grenzen geben, wo derartige Selbstentblößungen für Ansehen und Achtung der Bundeswehr prekär werden können. Bei Frau Biefangs Wortwahl waren sie noch nicht erreicht. Wer hier für Freiheit plädiert, muss es indes wohl auch akzeptieren, wenn sich ein älterer weißer Hetero-General offenherzig auf Tinder-Brautschau begibt. Oder wäre es ein Disziplinarfall, wenn der dort „junge Frauen“ für sein Sexleben sucht?

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