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Carola Rackete, deutsche Kapitänin der „Sea-Watch 3, aufgenommen an Bord des Rettungschiffs.

© Till M. Egen/Sea-Watch.org/dpa

„Sea-Watch 3“ und die Bundesregierung: Die Deutschen belehren mit moralischer Besserwisserei

Beim Umgang mit dem Fall Carola Rackete stößt Berlin erneut europäische Partner aus vorgeblich ethischen Gründen vor den Kopf. Wie schon 2015. Ein Kommentar.

Von Fatina Keilani

Die Vorgänge um die deutsche Kapitänin Carola Rackete berühren so viele verschiedene Aspekte, dass es lohnt, den Fall erneut zu betrachten.

Hier kollidieren nicht nur Rechte und Rechtsgüter miteinander und mit den Moralvorstellungen einiger, hier werden Kernpunkte der Ordnung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg berührt – das ist gefährlich. Und es ist kein Einzelfall: Da findet eine Bundeskanzlerin nichts dabei, den von ihrer Partei den Bürgern Europas in moralischem Ton demokratischer Prinzipien als „Spitzenkandidaten“ vorgestellten Manfred Weber bei der ersten Schwierigkeit nach der Wahl fallen zu lassen und dem Hohn und Spott der europäischen Öffentlichkeit auszusetzen.

Zugleich findet es der Außenminister derselben Regierung in Ordnung, im gleichen hohen Ton der Moral einem Partnerland – mit dem die Bundesrepublik seit den römischen Verträgen in der friedensstiftenden Gemeinschaft des Rechts und der Regeln verbunden ist – per Twitter Anweisungen zu geben, wie es mit einer militanten Aktivistin umzugehen habe, indem er sagt: „Aus unserer Sicht kann am Ende eines rechtsstaatlichen Verfahrens nur die Freilassung von Carola Rackete stehen. Das werde ich in Italien noch mal deutlich machen.“

Frau Rackete hat besonnen eine Rechtsgüterabwägung vorgenommen und folgerichtig gehandelt. Es ging ihr also in keinster Weise um Brechung von Recht, sondern um höherrangiges, um See- und Menschenrecht.

schreibt NutzerIn Uwe_Kulick

Bundespräsident und Außenminister setzen Grundsätze der Diplomatie aufs Spiel

Und auch der qua Amt politisch neutrale Bundespräsident bedient das Bedürfnis nach moralischer Erhebung über andere Länder: „Wir dürfen von einem Land wie Italien erwarten, dass es mit einem solchen Fall anders umgeht. Wer Menschenleben rettet, kann kein Verbrecher sein.“

So leicht setzen deutsche Politiker Grundsätze der Diplomatie aufs Spiel – und stellen eigene moralische Erwägungen über das Recht demokratisch verfasster Partnerländer. Ob Carola Rackete italienisches Recht gebrochen hat und wie mit ihr zu verfahren wäre, dazu haben sie sich schlicht nicht zu äußern. Mit Moral lässt sich hier nicht argumentieren. Das Recht ist die geronnene Moral einer Gesellschaft.

Im Ausland betrachtet man das Verhalten der Deutschen mit Befremden. Früher marschierten sie ein, jetzt wollen sie mit ihrer moralischen Besserwisserei belehren, ist der Tenor vieler ausländischer Medien. Italiens Innenminister Matteo Salvini erfreut sich als Folge der Affäre an Rekord-Zustimmungswerten. Die Bundesregierung unterstützt mit ihrem Verhalten die europäische – und die deutsche – Rechte.

Die eigene Moral zum Maßstab für das Handeln anderer zu machen oder sie sogar zur Hilfe zu zwingen, kann nicht gut gehen.

schreibt NutzerIn Apostata

Und das Thema reicht noch weiter: Zum wiederholten Mal stößt die Bundesregierung europäische Partner aus vorgeblich ethischen Erwägungen vor den Kopf, wie schon 2015, als sie die Grenzen für Hunderttausende Migranten offenhielt und von den Partnern in Europa anschließend die Aufnahme der von ihr nach eigenem Ermessen eingelassenen Menschen verlangte, was maßgeblich zur bis heute anhaltenden Brexit-Krise beitrug.

Aus dem Vorfall um die "Sea-Watch-"3 wurde erst durch die Äußerungen des Außenministers eine ohne Not provozierte Affäre. Die Frage ist, ob dieses Verhalten bloß töricht ist oder ob es Methode hat.

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