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Diversity im Bundestag. Belange von Schwulen und Lesben spielen in der Politik eine immer größere Rolle.

© REUTERS, Montage: O. Hoffmann

Schwule und lesbische Abgeordnete: Politik unterm Regenbogen

Keine Partei kann es sich noch leisten, die Belange von Schwulen und Lesben zu ignorieren. Eine Erfolgsgeschichte.

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Er ist der Shootingstar der CDU. 35 Jahre alt, steile Karriereleiter – und schwul. Jens Spahn kandidierte 2014 gegen den Willen des eigenen Landesverbandes für das CDU-Präsidium. Und triumphierte. Gegen die etablierte CDU-Spitze unter Angela Merkel rebellierte er schon vor zwei Jahren mit der Gründung von „CDU 2017“, einem Zusammenschluss jüngerer Unionspolitiker, die Reformen einfordern. In seinem gerade veröffentlichten Buch „Ins Offene“ kritisiert Spahn Merkels Flüchtlingspolitik und warnt vor homophober Stimmung bei muslimischen Zuwanderern. Seit Kurzem ist der Gesundheitsexperte Spahn nun auch noch Teil der Bundesregierung, im Rang eines Staatssekretärs. Ein Konservativer, der konservative Politik im Zeichen der schwul-lesbischen Sache betreibt.

Und dabei kein Außenseiter: Was bis vor ein paar Jahren undenkbar in den großen Parteien war – erst recht bei der CDU –, ist heute durchaus Aushängeschild. „Keine Partei“, sagt der Politikbeobachter Richard Hilmer, „kann es sich heute noch leisten, die homosexuelle Themen zu vernachlässigen“ – nicht mal die AfD. Und in vielen Parteien spielen Homosexuelle ganz oben mit: Neben Spahn gibt es bei der CDU noch den Bundestagsabgeordneten Stefan Kaufmann, der sich 2013 mit kirchlichem Segen trauen ließ. In der SPD wäre Bundesumweltministerin Barbara Hendricks zu nennen, oder Parlamentsmitglied Johannes Kahrs. Die Grünen haben einige schwule und lesbische Abgeordnete, allen voran Volker Beck. Bei den Linken gibt es zwei offen homosexuell lebende Bundestagsabgeordnete.

Westerwelle haderte mit seinem Coming-out

Wie nah die Zeiten sind, in denen es noch alles andere als selbstverständlich war, dass homosexuelle Politiker und Themen als Ausweis von Modernität und Liberalität zu einer jeden Partei gehörten, das hat man gerade erst wieder in dem Erinnerungsbuch „Zwischen zwei Leben“ von Guido Westerwelle erfahren. Als der langjährige FDP-Vorsitzende sich 1999 in Venedig in einer Gondel ablichten ließ und damit seine Homosexualität öffentlich machte, so schreibt Westerwelle heute, da ging ihm der Satz „Ich bin schwul“ noch nicht über die Lippen. Und als Westerwelle 2009 Außenminister wurde, ventilierten einige Diplomaten noch die Frage, ob ein Schwuler in arabischen Ländern empfangen und Deutschlands Interessen durchsetzen könne.

Konservativ, erfolgreich, schwul. CDU-Politiker Jens Spahn.
Konservativ, erfolgreich, schwul. CDU-Politiker Jens Spahn.

© dpa

Das Eis gebrochen hat eindeutig Klaus Wowereit. Als der Sozialdemokrat beim Parteitag in Berlin im Juni 2001 „Ich bin schwul ... und das ist auch gut so“ sagte, war das nicht nur sein öffentliches Coming-out. Wowereit setzte mit diesen Worten vielmehr ein Zeichen für die gesamte politische Klasse. Auf einmal waren nicht mehr nur die Grünen eine Partei, in der liberale Gleichstellungspolitik zum Alltagsgeschäft gehörte, sondern auch die großen – die Volksparteien – öffneten sich für Schwule und Lesben. An einen „Riesenschub“ erinnert sich Politikstratege Hilmer.

Seither werden Hürden abgebaut. Noch nicht überall. Aber immer weiter. Als vor zwei Jahren die Debatte um Gleichstellung von Partnerschaft und Ehe auf die politische Agenda kam, war das bei der SPD – zumindest im Vordergrund – kein Thema mehr. Und auch der Union wurde eine „erwachsene“ Debatte attestiert, fernab jeder Tabuisierung. Aus Akzeptanz ist in den Volksparteien längst politisches Kalkül geworden: Viele Homosexuelle wählen Grüne, weil sie dort Offenheit für ihre Lebensentwürfe finden, auch wenn ihre politische Ausrichtung eigentlich ganz woanders liegt. Dort will man sie nun abholen.

"Die Union braucht uns am meisten"

Auch Alexander Vogt ist, genau wie Jens Spahn, überzeugter Christdemokrat und homosexuell. Die letzten Jahre haben den Bundesvorsitzenden der Lesben und Schwulen in der Union (LSU) abgehärtet. „Mein Rücken ist seit 2010 ganz schön breit geworden.“ Gegenüber anderen Homosexuellen muss er seine CDU- Zugehörigkeit immer wieder rechtfertigen. „Ich sage dann: weil die uns am meisten brauchen.“ Der Bundesverband bearbeitet Themen, die in der Partei für Konflikte sorgen. Die Öffnung der Ehe, das volle Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare, die Rehabilitierung der Opfer des abgeschafften Paragrafen 175 im Strafgesetzbuch – Schwule wurden deswegen jahrzehntelang verfolgt und verurteilt. Mit ihren Forderungen stehen Vogt und die 400 anderen LSU-Mitglieder manchmal recht allein – nicht zuletzt die Kanzlerin hält an der traditionellen Kernfamilie fest.

Doch langsam bemerkt Vogt Veränderungen. Anrufe des LSU werden anders als in den Jahren nach der Gründung 1997 beantwortet, süffisante Bemerkungen sind passé. 2012 formierte sich die „Wilde 13“, eine Gruppe von CDU-Parlamentariern, die sich für die steuerliche Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften einsetzte. „Dass es mittlerweile mehr als 13 sind, liegt auch an uns“, sagt Vogt. Der LSU ist vor allem damit beschäftigt, eine innerparteiliche Lobby zu bilden. Generalsekretär Peter Tauber und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (beide CDU) unterstützen die Ehe für alle, doch gerade aus der CSU gibt es noch kräftig Kontra.

Lobbyarbeit in der Führungsetage

Beim Thema Queerpolitik – längst ist die Politik für Schwule und Lesben auch eine für Bisexuelle, Transgendermenschen und alle, die nicht der heterosexuellen Geschlechternorm entsprechen – kämpft Schwusos-Chef Ansgar Dittmar darum, in der Mitte der SPD anzukommen. Mit ihren rund 2000 aktiven Mitgliedern sind die Schwusos die am längsten in einer Partei verankerte schwulenpolitische Gruppe, 1978 als Arbeitskreis gegründet, seit 2011 eine AG mit Antrags- und Rederecht bei Parteivorstandssitzungen. „Wir werden als Gesprächspartner und Fachleute mit besten Kontakten wahrgenommen“, sagt Dittmar. Die Durchsetzung der SPD-Beschlusslagen zur Gleichstellung bei der Ehe sei das Werk der Schwusos, dazu komme die Arbeit mit Verbänden wie dem Völklinger Kreis (VK), einem Verbund schwuler Führungskräfte. Auch Dittmar, selbstständiger Rechtsanwalt, ist Mitglied.

740 Anhänger zählt der 1991 gegründete Verein, darunter Vertreter des LSU, der Schwusos oder der FDP-nahen Liberalen Schwulen und Lesben. Für lesbische Unternehmerinnen gibt es das Netzwerk „Wirtschaftsweiber“. Der VK will Diversity vor allem in Führungsgremien großer Konzerne vorantreiben. „Oberhalb einer gewissen Karrierestufe dominiert das Bild der weißen und heterosexuellen Männer“, sagt der Vorsitzende René Behr, Personalchef bei einem großen schwäbischen Modeunternehmen.

AfD-Angebot für Homosexuelle

Auch in der AfD dürften Schwule und Lesben eher als Minderheit gelten. Für sie will die Bundesinteressengemeinschaft „Homosexuelle in der AfD“ da sein, die sich klar abseits der Gleichstellungsforderungen anderer Gruppen positioniert und vor allem unter Homosexuellen für Kopfschütteln sorgt. „Wir wollen unserem Anspruch als Volkspartei gerecht werden, deshalb gehört dieser Themenbereich für uns dazu“, erklärt Bundesvorstandssprecher Christian Lüth. Wie das wohl die AfD-Wähler finden? „Haben wir nicht eruiert.“

Ob die Gruppe – wenn überhaupt – mehr als Imagepunkte bringen kann, ist nicht klar. Ihr Sprecher Alexander Tassis zeigt Verständnis für Kritik an der „Ehe für alle“ und hält nicht viel von Gleichstellung – der Zwang dazu löse „bei der breiten Masse ein unwohles Bauchgefühl aus“. Für Tassis passen AfD und Homosexualität trotzdem gut zusammen – besonders aus historischer Sicht. Die homosexuelle Kultur sei vor 1933 stark von der deutschen Geistesgeschichte geprägt worden, Alexander von Humboldt oder Franz Schubert seien wichtige Beispiele. Entsprechend tolerant stehe die Partei ihren Schwulen und Lesben gegenüber – die offenbar selbst um keinen Preis anecken wollen.

Der Text erschien in der "Agenda" vom 15. Dezember 2015 - einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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