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Die Zahl der Einbrüche ist deutlich gesunken.

© dpa/picture-alliance

Schwere Zeiten für Verbrecher: Corona-Maßnahmen führen zu Rückgang von Gewaltverbrechen

Weniger Morde, weniger Raubüberfälle, weniger Einbrüche: Der Kampf gegen die Corona-Pandemie führt weltweit zu einem Rückgang der Gewaltkriminalität.

Morde in Los Angeles? Rückgang um knapp 50 Prozent. Vergewaltigungen in Atlanta? Rückgang um mehr als 75 Prozent. Gewaltverbrechen in New York? Rückgang in einigen Stadtteilen um zwei Drittel. Erhoben wurden die Zahlen zwischen dem 8. März und dem 4. April in einem Dutzend amerikanischer Großstädte. Zusammengetragen wurden sie vom „John Jay College of Criminal Justice“ im Auftrag des „Economist“.

Das Resümee der Studie: Keine Naturkatastrophe – weder Hurrikans noch schwere Schneestürme – hat in den USA jemals einen derart deutlichen Rückgang von Straftaten wie Mord, Raub und Vergewaltigung verursacht wie der Kampf gegen die Corona-Pandemie. Das deckt sich mit den Zahlen aus anderen Ländern. Selbst das kolumbianische Medellin, berüchtigt durch das Wirken brutaler Drogenkartelle, verzeichnete im März die geringste Mordrate seit 40 Jahren.

Zu Recht wird ausführlich über die direkten Folgen und unbeabsichtigten schädlichen Nebeneffekte der Eindämmung von Covid-19 diskutiert. Deshalb könnte es etwas zynisch klingen, die Entwicklung in der Kriminalitätsstatistik als „Kollateralnutzen“ zu bezeichnen. Als Faktor in der Gesamtbilanz hat sie allerdings Aufmerksamkeit verdient.

Noch keine belastbaren Zahlen, aber eine klare Tendenz

Auch eine Analyse vom 16. April des Corona-Krisenstabes von Gesundheits- und Innenministerium kommt zu dem Ergebnis: „Insgesamt ist die Sicherheitslage weitgehend ruhig.“ Gewarnt wird allerdings vor einem Anstieg von Betrugsdelikten und Cyberkriminalität. Außerdem heißt es: „Extremistische Gruppen nutzen die Krise zur weiteren Verbreitung und Verstärkung ihrer jeweiligen ideologischen Narrative.“ Die „linke Szene“ wähne Deutschland auf dem Weg in  einen Überwachungsstaat. Die „rechte Szene“ gebe Minderheiten die Schuld an der Ausbreitung des Virus.

Eine offizielle Statistik oder anderweitig belastbare Zahlen gibt es noch nicht. Die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik für 2020 wird erst in einem Jahr veröffentlicht. Erfasst werden die Fälle mit Abschluss der polizeilichen Ermittlungen. Dennoch haben einzelne Bundesländer vorläufige Zahlen genannt, die eine klare Tendenz erkennen lassen: Bei Körperverletzungen, Einbrüchen, Taschen- und Fahrraddiebstählen sind die Straftaten stark rückläufig.

Informationsbedarf bei Zahlen zur häuslichen Gewalt

Unterstützt wird das durch Ergebnisse einer Umfrage von „ZDFheute“ bei diversen Polizeidienststellen und Landeskriminalämtern. Demnach nimmt insbesondere die Zahl jener Delikte spürbar ab, die im öffentlichen Raum begangen werden. Wirklich überraschend ist das freilich nicht. In Zeiten der „sozialen Distanz“, in denen sich viele Menschen zu Hause aufhalten, sind Taschendiebstähle, Wohnungseinbrüche oder Überfälle schwierig geworden.

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Weiteren Informationsbedarf gibt es offenbar bei den Zahlen zur häuslichen Gewalt. Das Familienministerium verzeichnet bei der Telefon- und Online-Beratung erhebliche Zuwächse. Während Opferberatungsstellen, Frauenhäuser und Sozialarbeiter ebenfalls einen sprunghaften Anstieg befürchten, ist die Polizei diesbezüglich vorsichtiger.

„Derzeit ist keine Zunahme von Fällen der häuslichen Gewalt zu verzeichnen“, heißt es etwa in Thüringen. In Nordrhein-Westfalen wurden zwischen dem 1. März und dem 5. April sogar fast ein Drittel weniger angezeigte Fälle registriert.

Weniger Gewalttaten unter Alkoholeinfluss

Der Kriminologe Christian Pfeiffer wird von der „Zeit“ mit der Feststellung zitiert, es gebe derzeit keinen statistisch nachweisbaren Anstieg der Zahlen. Allerdings könne die Dunkelziffer hoch sein, weil diverse „Frühwarnsysteme“ wie Schulen und Kitas ausfallen. Außerdem könnte wegen der häuslichen Enge und der oft permanenten Anwesenheit des Täters die Möglichkeit fehlen, um Hilfe zu rufen. Pfeiffer appelliert daher an die Bundesregierung, eine Opferbefragung über häusliche Gewalt durchzuführen.

Bereits Anfang April, nach nur zwei Wochen Kontaktbeschränkung, sagte Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik im Gespräch mit dem Tagesspiegel: „Wir haben enorme Rückgänge beim Wohnungseinbruch, Kfz-, Fahrrad-, Taschen- und Ladendiebstahl. Auch Sexualdelikte gehen ganz stark herunter.“ Weil auch Kneipen, Bars, Diskotheken und Biergärten geschlossen haben, dürften auch Prügeleien und andere Gewalttaten unter Alkoholeinfluss stark zurückgegangen sein.

Berlins Polizei im Entspannungsmodus? „Wir haben keine Staatsbesuche, keine Versammlungen, keine Straßenfeste, keine Bundesligaspiele“, sagt Barbara Slowik. „Der Verkehr ist stark reduziert, es gibt viel weniger Menschen im Personennahverkehr.“ Und dann scheint auch noch jeden Tag die Sonne.

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