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Hongkonger Polizisten drücken eine Demonstrantin gegen eine Absperrung.

© Kin Cheung/AP/dpa

Schwere Ausschreitungen in Hongkong: „Wir werden uns wehren“

In Hongkong überschatten schwere Ausschreitungen die Proteste gegen das Auslieferungsgesetz.

Die Bilder, die am Mittwoch aus Hongkong über Twitter in die Welt hinausgingen, ließen Schlimmes befürchten: ein Demonstrant, der am Boden liegt und Blut spuckt, ein bewusstloser Demonstrant auf einer Trage, Polizisten in Kampfausrüstung, die Tränengas und Gummigeschosse abfeuern. Hongkong Island ist am Mittwochabend im Chaos versunken. Mindestens 22 Menschen wurden verletzt und eine bisher unbekannte Zahl von Demonstranten festgenommen.

Die Proteste gegen das umstrittene Auslieferungsgesetz endeten zunächst in schweren Zusammenstößen zwischen der Polizei und Demonstranten. Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam verurteilte die Demonstrationen als „Aufruhr“.

Bereits am Morgen hatten Demonstranten die Straßen im Ortsteil Admirality rund um das Parlament blockiert. Im dortigen Legislativrat sollte das umstrittene Gesetz in zweiter und dritter Lesung beraten werden. Aufgrund der Blockade musste die Debatte im Parlament auf unbestimmte Zeit verschoben werden.

Die Hongkonger Polizei hatte ein Großaufgebot an Sicherheitskräften mobilisiert. Die Beamten hielten sich zwar zuerst zurück, gingen aber am Nachmittag Ortszeit gegen die Demonstranten vor und räumten die Straßen rund um das Parlamentsgebäude. Nach Polizeiangaben hatten zuvor Demonstranten den Legislativrat gestürmt.

Aus Protest gegen das Gesetz hatten Hunderte Geschäfte geschlossen. Viele Hongkonger nahmen sich frei oder meldeten sich krank. Am Sonntag hatten bereits nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen Hunderttausende bis zu einer Million Hongkonger gegen das Gesetz protestiert.

Ungeachtet des massiven Widerstandes unter den sieben Millionen Bewohnern der chinesischen Sonderverwaltungsregion will die umstrittene Regierungschefin Carrie Lam das Gesetz schnell von der pekingtreuen Mehrheit im nicht frei gewählten Legislativrat absegnen lassen. Die Abstimmung sollte nach bisheriger Planung am Donnerstag nächster Woche erfolgen. Ob der Zeitplan durch die Verschiebung der Beratungen eingehalten werden kann, ist fraglich. In einem Interview mit dem prochinesischen Fernsehsender TVB antwortete Lam auf die Frage, ob sie das Gesetz zurückziehen werde: Als Mutter könne sie nicht jedes Mal nachgeben, wenn ihr Sohn etwas wolle. Die Frage, ob sie Hongkong verkaufe, rührte die von China vorausgewählte und von einem mehrheitlich pekingfreundlichen Komitee gewählte Verwaltungschefin zu Tränen. „Wegen meiner Liebe zu dieser Stadt habe ich persönlich viele Opfer gebracht“, sagt sie.

Das kontroverse Gesetz würde es Hongkongs Behörden erlauben, von der chinesischen Justiz verdächtigte Personen an die kommunistische Volksrepublik auszuliefern. Kritiker argumentieren aber, dass Chinas Justizsystem nicht unabhängig sei, nicht internationalen Standards entspreche und Andersdenkende politisch verfolge. Bei Hongkongs Rückgabe 1997 war China wegen seiner schlechten Menschenrechtslage und der mangelnden Unabhängigkeit seiner Justiz bewusst von Auslieferungen ausgeklammert worden.

Die Demonstranten versuchten keine digitalen Spuren zu hinterlassen

Das umstrittene Gesetz kann sogar auch Ausländer betreffen, warnte der renommierte China-Experte und Jurist Jerome Cohen. „Jeder, der über den Hongkonger Flughafen kommt, könnte festgenommen und nach China geschickt werden“, schrieb er in seinem Blog. „Es sind nicht nur die Hongkonger, deren Schicksal hier auf dem Spiel steht.“ Das Auswärtige Amt schreibt in einer Pressemitteilung, dass die deutsche Regierung gemeinsam mit den EU-Partnern gegenüber der Hongkonger Regierung ihre Bedenken gegen das geplante Auslieferungsgesetz ausgedrückt habe. "Gleichzeitig prüfen wir, ob das bestehende bilaterale Auslieferungsabkommen zwischen Deutschland und Hongkong im Fall einer Verabschiedung des geplanten Auslieferungsgesetzes in der jetzigen Form weiterhin durchgeführt werden kann.“

Die frühere britische Kronkolonie wird seit der Rückgabe 1997 an China nach dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“ als eigenes Territorium autonom regiert. Die Hongkonger genießen größere Freiheiten als die Menschen in der Volksrepublik, darunter das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie Presse- und Versammlungsfreiheit. Seit den prodemokratischen Protesten 2014, die Teile der Stadt wochenlang lahmlegten, zieht Peking aber die Zügel an.

Viele der meist jüngeren Demonstranten trugen schwarze Kleidung, verdeckten ihre Gesichter mit einem Mundschutz und trugen Arbeitsbrillen gegen Tränengas und Pfefferspray. Der Gesichtsschutz hilft auch gegen eine Wiedererkennung auf Überwachungskameras. Zudem kauften ungewöhnlich viele Demonstranten ihr U-Bahn-Ticket mit Bargeld, um auf ihrer wiederaufladbaren Fahrkarte (Octopus-Card) keine digitalen Spuren zu hinterlassen, die später von Behörden zurückverfolgt werden können.

„Wir versuchen, der Regierung beizubringen: Je mehr sie uns unterdrückt, desto mehr werden wir uns wehren“, sagte der 25 Jahre alte Demonstrant Justin Tang der „Washington Post“. Der Angestellte einer Fluglinie saß mitten auf einer Straße der sonst so geschäftigen Finanzmetropole und sagte: „Weil wir die letzte Stadt in China sind, die das noch machen kann, werden wir an diesem Recht festhalten.“ (mit dpa)

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