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Werner Kogler (Grüne) und Sebastian Kurz (ÖVP).

© REUTERS

Schwarz-Grün in Österreich: Wovon der Erfolg eines solchen Bündnisses abhängt

Wird Österreich Vorreiter in Europa, zumal in Deutschland, wo viele Schwarz-Grün nach der nächsten Bundestagswahl erwarten? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Das neue Jahr beginnt mit einem Paradox: einer Premiere, die trotz ihrer Erstmaligkeit auf Vorbilder und Erfahrungen bauen kann. Noch nie gab es auf dem europäischen Kontinent eine schwarz-grüne Regierung auf nationaler Ebene. In Österreich haben sich die ÖVP und die Grünen auf eine solche Koalition geeinigt.

Die Risiken sind hoch. Beide muten sich einiges zu. Aber sie gönnen dem Partner zugleich Erfolge auf Gebieten, die für ihn und seine Klientel identitätsstiftend sind – auch wenn sie, und da liegt das Risiko, einem Großteil der eigenen Anhänger gegen den Strich gehen.

Die Grünen erhalten den Zugriff auf die Klima-, Umwelt- und Infrastrukturpolitik sowie Soziales. Manche Steuern steigen, um die Bürger zu einem klimafreundlicheren Verhalten zu drängen. Sie setzen mehr Transparenz durch, etwa bei der Kontrolle der Parteifinanzierung durch den Rechnungshof, an der ÖVP und SPÖ in der langen Ära großer Koalitionen wenig Interesse gezeigt hatten.

Dafür müssen sie hinnehmen, dass die Konservativen über Grenzsicherung, Asylverfahren und Integrationspolitik bestimmen; und dass das Alter für ein Kopftuchverbot bei Mädchen auf 14 Jahre erhöht wird.

Der 33 Jahre junge Sebastian Kurz kann seine Kanzlerschaft nach sieben Monaten Unterbrechung fortführen. Der ÖVP hat er das Außen-, Innen- und Finanzministerium gesichert. Das spiegelt die Kräfteverhältnisse wider; die ÖVP ist gut zweieinhalb mal so stark wie die Grünen.

Es ist zudem seine Lehre aus der Koalition mit der rechtspopulistischen FPÖ, die er nach dem Skandal um das Ibiza-Video beendet hatte. Die ÖVP will die Gesamtsteuerlast senken. Was an CO2-relevanten Verbrauchssteuern hinzukommt, muss durch Senkungen bei anderen Steuern ausgeglichen werden.

Das Beste aus beiden Welten

Wird Österreich damit Vorreiter in Europa, zumal in Deutschland, wo viele Schwarz-Grün nach der nächsten Bundestagswahl erwarten? Das hängt davon ab, ob potenzielle Nachahmer das Leitmotiv der österreichischen Koalitionsbildung übernehmen. Und ob Schwarz-Grün in Wien im Alltag durchhält, was es sich vorgenommen hat: dem Partner den Erfolg in seinen Ministerien auch dann zu gönnen, wenn die eigene Basis murrt. Oder wenn sie gar agitiert, die Zugeständnisse an die andere Seite bedeuteten den Verkauf der Parteiseele an den Teufel.

Auf Landesebene war Deutschland beim „Gönnen-Können“ schon mal Vorbild. Schwarz-Grün hat trotz der ideologischen Distanz geraume Zeit funktioniert, in Hamburg unter Ole von Beust, in Hessen unter Volker Bouffier. Die Groko in Berlin dagegen hat dieses Erfolgsrezept offenbar vergessen. Das eigene Wohlbefinden, zumal bei der SPD, scheint davon abzuhängen, dass man dem Partner nicht mal die Erfolge zugesteht, die im Koalitionsvertrag vereinbart sind.

Österreich bekomme „das Beste aus beiden Welten“, preist Kurz das neue Koalitionsmodell. Man könne gleichzeitig das Klima und die Grenzen schützen. Und die Steuerlast senken, während man das Steuersystem ökologisiert. Diese Beispiele können viele nachvollziehen.

Schwieriger sind Themen, bei denen die Erfolge des Partners zur Zumutung für das eigene Weltbild und dessen moralischen Kompass werden. Den Konservativen Grenzsicherung, Integration und damit die Flüchtlingspolitik überlassen – ist das ein akzeptabler Preis für grüne Fortschritte in der Klimapolitik? Oder bereits der Ausverkauf der Moral für Teilhabe an der Macht?

Und inwieweit akzeptieren Konservative Eingriffe in die Energiepolitik, in die freie Wahl der Verkehrsmittel durch Preise und veränderte Infrastruktur oder in die Bildungspolitik? Am Kohlekraftwerk Moorburg und am Projekt der gemeinsamen Primärschule bis zur sechsten Klasse ist Schwarz-Grün in Hamburg gescheitert – freilich erst, als Ole von Beust, der die Konflikte lange moderiert hatte, nicht mehr Bürgermeister war.

Gönnen können, Maß und Mitte bei den Forderungen sowie ein guter Moderator als Regierungschef: Dann kann Schwarz-Grün gelingen.

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