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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) während eines Fluges von Berlin nach Brüssel auf dem Weg zum Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft.

© Jesco Denzel/Bundesregierung/dpa

Scholz muss sich vom Modell der Ostpolitik lösen: Berlin gilt schon als „Hauptstadt der Feiglinge“

Der Bundeskanzler sollte Russland die Stirn bieten – mit Appeasement erreicht er nichts. Das hat die Außenministerin längst begriffen. Ein Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Stephan-Götz Richter

Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Heute ein Beitrag von Stephan-Götz Richter, Chefredakteur von The Globalist und Direktor des Global Ideas Center in Berlin. Weitere Autoren und Autorinnen sind Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Sigmar Gabriel, Günther H. Oettinger, Prof. Jörg Rocholl PhD, Prof. Dr. Bert Rürup, Prof. Dr. Renate Schubert und Jürgen Trittin.

Das Erstaunlichste an der deutschen Diskussion über Russland ist, wie oberflächlich bis eskapistisch sie seit Jahren verläuft. Ihr einziges Ziel scheint zu sein, der Wahrheit nicht ins Auge schauen zu müssen. Das ist für die faktische Vormacht der Europäischen Union schon ein ziemlicher Akt der Feigheit.

Will die neue Bundesregierung außenpolitische Wirkung entfalten, sollte sie sich darum bemühen, das neue internationale Synonym für Berlin – „capital of cowards“, also Hauptstadt der Feiglinge – schleunigst loszuwerden.

Auf dem Weg dorthin kommt die deutsche Regierung an einer elementaren Einsicht nicht vorbei: Wladimir Putins Russland ist eine reine Negationsmacht, deren Drohpotenzial sich gerade wieder beim massiven Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze zeigt. In dieser Erkenntnis lassen sich alle Handlungsstränge russischer Machtausübung auf internationaler Ebene bündeln.

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Ob es um die Gaspipeline North Stream 2 geht, das Baltikum, die mittlerweile gerichtsfest vom russischen Staatsapparat beauftragten politischen Morde auf deutschem Territorium oder die versuchte Aushöhlung westlicher Demokratien durch Cyberangriffe – die Liste der Moskauer Übergriffe ist lang. Und die russische Reaktion auf entsprechende Kritik immer die gleiche: alles eine Erfindung des Westens.

Wie soll Deutschland darauf angemessen reagieren? Bei der Suche nach Antworten muss man sich nicht lange mit der unheiligen Putin-Versteher-Allianz zwischen AfD und Linkspartei aufhalten. Entscheidend ist, ob die SPD sich von ihrem langhaltenden Wunschdenken in Sachen Russland verabschieden kann – also in den bilateralen Beziehungen eine historische Wende vollzieht.

Willy Brandts Ostpolitik war die Antwort auf eine Öffnung der Sowjetunion

Besonders für den neuen Bundeskanzler Olaf Scholz scheint der Weg noch lang zu sein. Kurz nach seinem Amtsantritt erklärte er in kaum zu überbietender politische Naivität, sein Handeln gegenüber Moskau werde sich an der Ostpolitik Willy Brandts und Helmut Schmidts orientieren.

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Was Scholz übersieht: Damals hatte die Sowjetunion eine schrittweise Öffnungspolitik gegenüber dem Westen eingeleitet, nicht zuletzt um ihr zerbröselndes wirtschaftliches Fundament zu stärken.

Von einer Öffnungspolitik jedoch kann bei Putin keine Rede sein, im Gegenteil: Sein Handeln ist von der Vorstellung geleitet, der Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 sei die größte Katastrophe der Weltgeschichte gewesen.

Zugleich hat Putin nichts unternommen, um die Produktivität der russischen Volkswirtschaft zu stärken und ihre Abhängigkeit von Öl und Gas zu verringern. Der Kreml-Herrscher agiert noch weniger aufgeklärt als Kronprinz Mohammed bin Salman in Saudi-Arabien. Der lässt zwar auch im Ausland morden, bemüht sich aber um eine Wachstumsperspektive seines Landes für das post-fossile Zeitalter.

Der russische Präsident Wladimir Putin.
Der russische Präsident Wladimir Putin.

© Sergei Guneyev/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Vor diesem Hintergrund ist es wenig erstaunlich: Sämtliche deutsche Bemühungen um eine „Modernisierungspartnerschaft“ mit Russland sind vergebens gewesen. Denn in Putins Umfeld geht es nicht um wirtschaftliche Modernisierung, sondern um die Ausbeutung russischer Rohstoffreserven zum Wohl von Oligarchen.

Scholz sollte sich aus der Kontinuität seiner Vorgängerin Angela Merkel lösen und nicht länger behaupten, Nord Stream 2 sei ein „rein privatwirtschaftliches Projekt“.

Offenbar übersehen Scholz und mit ihm weite Teile der SPD immer noch, dass Putin das Geld, das wir ihm für die Erdgaslieferungen zahlen, nicht zuletzt für Milliardenkredite nutzt, mit denen er das Regime des belarussichen Diktators Alexander Lukaschenko am Leben hält.

Baerbock will die Abhängigkeit vom Erpresser Putin verringern

Das sind Zusammenhänge, die Annalena Baerbock, unsere neue Außenministerin, sehr genau versteht. Sie will die deutsche Abhängigkeit zum latent zu Erpressungen neigenden Putin-Regime zu Recht nicht weiter erhöhen. Und deshalb lehnt sie die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 aus nüchternem geopolitischem Kalkül ab, aber auch zum Schutz der ukrainischen Gaslieferungen.

Theoretisch ist das Konzept der Deeskalation zwar nach wie vor auch für die deutsch-russischen Beziehungen richtig. Praktisch aber betrachtet Putin westliche Deeskalation als Zeichen der Schwäche, die er für neue Angriffe nutzen kann. Denn Russland ist schon seit vielen Jahren nur noch eine „Negationsmacht“, zu der man keine Brücken mehr bauen kann. Putin geht es allein um das innenpolitische Bedienen des Hungers der Kleptokraten.

Im Fall China übrigens liegen die Verhältnisse anders. Die Volksrepublik ist eine „Schaffensmacht“. Sie hat ihre Volkswirtschaft mit geradezu atemberaubendem Erfolg modernisiert – wobei die kommunistische Führung trotz der Etablierung einer digitalen Überwachungsdiktatur, die Freiheitsrechten im westlichen Sinne Hohn spricht, auf die Unterstützung breiter Bevölkerungskreise zählen kann.

Will den globalen Einfluss seines Landes auch mit der Seidenstraße mehren: Chinas Präsident Xi Jinping.
Will den globalen Einfluss seines Landes auch mit der Seidenstraße mehren: Chinas Präsident Xi Jinping.

© Ju Peng/XinHua/dpa

Wegen seines Erfolgs kann Peking, ganz anders als Moskau, beispielsweise international auf die Durchsetzung chinesischer Industriestandards pochen. China hat Unternehmen wie den Telekommunikationsausrüster Huawei– Russland hat nichts dergleichen.

Dem Westen mag das gigantische chinesische Infrastrukturprojekt „Neue Seidenstraße“ nicht gefallen. Eine gewisse Achtung kann man der geopolitischen Initiative Pekings hingegen kaum absprechen.

Deutschland darf sich nicht mit der eigenen Wiedervereinigung begnügen

Putins Regime ist da ganz anders gestrickt und nur darauf aus, die Uhr in Richtung eines neorussichen Imperialismus zurückzudrehen. Zu diesem Zweck setzt der Kreml auf Erpressung und militärische Gewaltandrohung. Damit fordert er Deutschland und Europa unmissverständlich heraus.

Appeasement-Politik kann hier nicht die richtige Antwort sein. Putin zielt auf ein „Rollback“ all dessen, was seit 1990 in Europa in puncto nationaler Befreiung erreicht worden ist.

Soll sich Deutschland mit seiner eigenen Wiedervereinigung begnügen, die Unabhängigkeit der baltischen Nationen im Interesse des Friedens mit Russland aber zur Disposition stellen? Das kann und darf nicht der Fall sein, will Berlin das Prinzip des Rechts auf Selbstbestimmung nicht aufgeben.

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Etwas großsprecherisch hatte Scholz im Bundestagswahlkampf wiederholt erklärt, wer bei ihm Führung bestelle, der bekomme sie auch. Ins Außenpolitische gewendet ist der Lackmustest für Scholz' Anspruch eine unmissverständliche Haltung gegenüber Moskau.

Bei den geplanten Verhandlungen im sogenannten Nato-Quint-Format hat Deutschland die Chance, etwa Russlands Forderungen, die Nato dürfe ohne Zustimmung Moskaus keine zusätzlichen Soldaten und militärisches Gerät in den osteuropäischen Staaten zu stationieren, eindeutig zurückzuweisen.

Scholz sollte schließlich kein Interesse daran haben, als deutscher Neville Chamberlain in die Geschichte einzugehen.

Stephan-Götz Richter

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