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Von den hohen Zinsen der Finanzämter profitiert meistens der Staat. Steuerzahler haben weniger Vorteile.

© Oliver Berg/dpa

Update

Schluss mit zu hohen Zinsen: Die Finanzämter sollen sich an der Wirklichkeit orientieren

Das Bundesverfassungsgericht kippt den gesetzlichen Zinssatz von sechs Prozent im Jahr. Die Bundesregierung will die Entscheidung zügig umsetzen.

Die hohen Zinsen für verspätete Steuernachzahlungen an das Finanzamt sind verfassungswidrig und müssen korrigiert werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss entschieden. Demnach sind die in der Abgabenordnung (AO) festgeschriebenen Zinsen von einem halben Prozent pro Monat ab dem Jahr 2014 ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Die Zinsen seien angesichts marktüblicher Zinssätze „evident realitätsfern“, hieß es.

Die Richter erklärten jedoch, bis zum Jahr 2018 sei das bisherige Recht noch anwendbar. Ab 2019 dürften Zinsen nicht mehr entsprechend berechnet werden. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, bis Juli 2022 eine Neuregelung zu treffen. Rückzahlungen vom Finanzamt wird es damit nur in Fällen geben, in denen ab 2019 Steuerbescheide noch nicht bestandskräftig geworden sind. Gleiches gilt für Erstattungen. Hier kann es vorkommen, dass Steuerzahler im Einzelfall die durch den Zinsertrag in der Vergangenheit erhöhten Summen anteilig zurückzahlen müssen. Das Bundesfinanzministerium teilte mit, das Gericht habe „Rechtsklarheit geschaffen“ und dem Gesetzgeber einen „belastbaren Handlungs- und Gestaltungsspielraum aufgezeigt“. Das Ministerium werde zusammen mit den obersten Finanzbehörden der Länder zügig die Vorbereitungen treffen, um die Entscheidung umzusetzen.

Meist wurde die Forderung nach Steuerprüfungen fällig

Die Zinsen gibt es bei der Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen-, Umsatz- und Gewerbesteuer. Derzeit werden sowohl Steuernachforderungen wie Steuererstattungen mit monatlich 0,5 Prozent verzinst, jährlich also mit insgesamt sechs Prozent. Die Zinsen sollen den finanziellen Vorteil ausgleichen, den Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haben, wenn sie fällige Zahlungen hinauszögern. Umgekehrt sollen sie Nachteile aufwiegen, wenn Gläubiger des Finanzamts auf eine Erstattung warten und ihnen das Geld nicht zur Verfügung steht. Relevant wurde die Regelung gerade nach Steuerprüfungen, wenn die geschuldeten Summen für zurückliegende Jahre festgelegt wurden. Lange war es das Finanzamt, das vom Nachzahlungszins profitierte. Wohl nicht zuletzt deshalb haben Parlament und Regierung zunächst keinen Anlass gesehen, den Zins abzusenken. In jüngerer Zeit, seit 2019, wurden von den Finanzämtern mehr Erstattungszinsen gezahlt, als sie Nachzahlungszinsen einnahmen, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion hervorgeht.

Der Zinssatz blieb 50 Jahre unverändert

Der pauschale steuerliche Zinssatz gilt unverändert seit 1961. Verzinst werden die Summen ab 15 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Lange Zeit gab es daran keine Kritik, weil an den Märkten ähnliche Zinsen zu beobachten waren. Mit der Finanzkrise und der sich daran anschließenden Niedrigzinsphase hat sich dies aber grundlegend geändert. Der Leitzins der Europäischen Zentralbank (EZB) liegt seit 2011 unter einem Prozent.

In Karlsruhe geklagt hatten zwei Unternehmen, die nach einer Betriebsprüfung Zinsen in sechsstelliger Höhe nachzahlen sollten. In einem Fall gab der Erste Senat der Verfassungsbeschwerde teilweise statt, im anderen wies er sie zurück. Im unterschiedlichen Zeitpunkt der Steuerfestlegung mal innerhalb und mal außerhalb der Karenzzeit von 15 Monaten liege eine Ungleichbehandlung, die nur nach „strengeren Verhältnismäßigkeitsanforderungen“ gerechtfertigt werden könne.

Die Richter sprechen von einem „strukturellen Niedrigzinsniveau“

Zwar sei es ein legitimes Ziel, fiktive Zinsvorteile bei einer späten Festsetzung der Steuer abzuschöpfen, heißt es weiter. Die Vollverzinsung in der fixierten Höhe sei aber ab dem Jahr 2014 nicht mehr erforderlich gewesen. Nach Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 habe sich ein strukturelles Niedrigzinsniveau entwickelt, das nicht mehr Ausdruck üblicher Zinsschwankungen sei. Dies zeige sich zunächst in der Entwicklung des Basiszinssatzes. Während er im Jahr 2008 noch bei über drei Prozent gelegen habe, sei er im Laufe des Jahres 2009 rapide auf 0,12 Prozent gesunken. Seit Januar 2013 liege er im negativen Bereich.

Seit 2018 sind die Finanzämter zurückhaltend

Der Bundesfinanzhof (BFH) in München, Deutschlands oberstes Gericht für Steuerfragen, hatte bereits 2018 entschieden, dass die hohen Nachzahlungszinsen angesichts der sonst geltenden niedrigen Zinsen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen könnten und voraussichtlich verfassungswidrig sind. Sie seien realitätsfern, hieß es schon damals. Dem BFH zufolge vereinnahmte der Staat allein bei steuerlichen Betriebsprüfungen 2016 und in den Jahren davor auf diese Weise mehr als zwei Milliarden Euro pro Jahr. Die Finanzverwaltungen haben seinerzeit auf den Richterspruch reagiert und setzen entsprechende Bescheide vorläufig aus.

Der Bund der Steuerzahler forderte, den Zinssatz um mindestens die Hälfte zu senken und die Höhe künftig regelmäßig zu prüfen. Um den Liquiditätsnachteil des Staates abzubilden, könne auf die sogenannten Zinskostensätze des Bundes abgestellt werden. Eine flexible Zinsberechnung sei heute technisch möglich.

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