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So viele Apps - und alle saugen Daten ab. Umso wichtiger sind Gesetze, die den Datenfluss regulieren und begrenzen.

© Christoph Dernbach/dpa

„Schluss mit den Attacken auf den Datenschutz“: Die billige Suche nach Sündenböcken löst keine Probleme

Datenschutz rettet wichtige Grundrechte ins Digitalzeitalter. Ihm die Defizite der Corona-Bekämpfung anzulasten, ist pure Ablenkung. Ein Gastbeitrag.

Maja Smoltczyk ist Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit. Professor Dieter Kugelmann ist Landesbeauftragter für Datenschutz und die Informationsfreiheit in Rheinland-Pfalz.

Nach Terroranschlägen, wenn pädophile Straftaten aufgedeckt werden oder jetzt inmitten der Corona-Pandemie hört man immer wieder dasselbe: Der Datenschutz muss gelockert werden, Datenschutz ist Täterschutz, Datenschutz gefährdet Menschenleben! Teile der Wirtschaft stimmen gern mit ein: Der Datenschutz macht das Internet kaputt, Datenschutz bremst die Digitalisierung, Datenschutz verhindert Innovation!

Es ist ein altbekanntes Lied, aber nichts davon ist richtig. Der Datenschutz macht das Internet nicht kaputt, sondern versucht, die im Laufe der Geschichte mühsam erkämpften Grundrechte der Menschen in die digitalisierte Zukunft zu retten. Schon jetzt sind das uferlose Sammeln persönlicher Daten, Tracking und Data Mining an der Tagesordnung.

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Wo technische Innovationen dem Menschen dienen sollen, macht es eher den Eindruck, als dienten die Menschen – ihre Daten und Profile – den Investoren und Unternehmen. Hier muss eingegriffen werden zum Schutz von beidem: den Errungenschaften der Digitalisierung und den bürgerlichen Grundrechten, die Grundlage unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft sind.

Pauschale Schuldzuweisungen lenken von den eigentlichen Problemen ab. Grundrechte stehen nicht für sich, sondern in einem Wechselverhältnis zu anderen Grundrechten. Bei jeder Einschränkung von Grundrechten muss darauf geachtet werden, dass dies nur im unbedingt notwendigen Umfang geschieht, und nur soweit, wie der Schutz anderer Grundrechte es erfordert. Also müssen die, die in einer bestimmten Situation das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung einschränken wollen, überzeugende Argumente liefern, damit eine solche Abwägung stattfinden kann.

Die Ämter sind jetzt schon überfordert - was sollen die mit noch mehr Daten?

Die Pandemie hat einmal mehr gezeigt, wie der Datenschutz als Sündenbock herhalten muss, wenn Dinge außer Kontrolle geraten sind. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht behauptet wird, dass die Pandemie leicht in den Griff zu bekommen sei, wenn wir nur den Datenschutz zurechtstutzen würden. Es mag verführerisch sein, den Datenschutz als das eigentliche Problem hinzustellen, eine angemessene Problemlösung wird dadurch aber verhindert.

Maja Smoltczyk ist seit Ende Januar 2016 Beauftragte des Landes Berlin für Datenschutz und Informationsfreiheit.
Maja Smoltczyk ist seit Ende Januar 2016 Beauftragte des Landes Berlin für Datenschutz und Informationsfreiheit.

© Mike Wolff

Problematisiert wird beispielsweise nicht, dass noch immer nicht alle Gesundheitsämter an die digitale Infrastruktur angeschlossen sind, was Voraussetzung dafür wäre, dass die Corona-Warn-App einen wirklichen Mehrwert für die Ämter hat. Problematisiert wird auch nicht, dass die Ämter mit den Daten von Corona-Kontaktlisten bereits überfordert sind; stattdessen wird eifrig gefordert, dass die App noch viel mehr Daten sammeln müsste.

Problematisiert wird ebenfalls nicht, dass kaum ein kommerzieller Anbieter datenschutzgerechte Lösungen anbietet, und Behörden nicht in der Lage sind, solche Lösungen selbst zu schaffen oder in Ausschreibungen einzufordern. Problematisiert wird auch nicht, dass US-Dienste es sich vorbehalten wollen, die Daten von Kindern für eigene, meist kommerzielle, Zwecke zu verarbeiten. Behauptet wird stattdessen, dass die Datenschützer*innen den Kindern das Lernen verbieten wollen.

Auch wenn es noch so oft behauptet wird, bleibt es falsch: Der Datenschutz steht gesellschaftlichen Herausforderungen nicht im Wege. Die Corona-Warn-App wurde in Deutschland mehr als 25 Millionen Mal heruntergeladen und hat nur deshalb eine so hohe Akzeptanz gefunden, weil die Menschen sich darauf verlassen können, dass ihre Daten nicht missbraucht werden. Zudem kann sie datenschutzgerecht fortentwickelt werden. In anderen europäischen Ländern, in denen dies nicht der Fall ist, sieht es ganz anders aus.

Datenschutz in Schulen hemmt Digitalisierung nicht, sondern fördert

Mit seinem datenschutzgerechten Weg ist in Deutschland eine Verbreitung gelungen, die eine wesentliche Voraussetzung zum Erreichen der Ziele der Corona-Warn-App ist. Und wenn Datenschützer*innen fordern, dass die Digitalisierung der Schulen datenschutzgerecht erfolgen muss, dient dies nicht der Verhinderung von Digitalisierung, sondern der Förderung einer nachhaltigen Entwicklung, die viel mehr schafft als eine Digitalisierung um jeden Preis: Hier geht es darum, für Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte einen geschützten Raum zu schaffen, in dem ihre Daten sicher sind, nicht missbraucht und irgendwann gegen sie verwendet werden.

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Nein, der Datenschutz ist kein Supergrundrecht, das über anderen Grundrechten steht, aber er ist ein Grundrecht. Als das steht er in einer ständig neu auszutarierenden Wechselwirkung mit den anderen Grundrechten. Genau deshalb wird er in diesen Zeiten der Pandemie dort, wo es nötig ist, immer wieder eingeschränkt – sei es bei der Kontaktdatenerhebung durch Betriebe oder beim Austausch von Daten zwischen Gesundheitsämtern und medizinischen Einrichtungen.

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Die Debatte um die richtigen Maßnahmen gegen das Virus, gerade mit Blick auf den Datenschutz, muss rationaler und sachlicher geführt werden. Bisher ist es in Deutschland gelungen, angemessen abzuwägen, ob und wann es notwendig ist, ein Grundrecht zu Gunsten eines anderen einzuschränken. Dass die Entscheider*innen es sich damit nicht leichtmachen, ist gut. Ein freiheitlicher Rechtsstaat stellt diese Anforderung. Ein angemessener Datenschutz darf dem Virus nicht zum Opfer fallen.

Anstatt immer wieder gebetsmühlenartig auf den Datenschutz zu schimpfen, sollten wir seine wichtige Bedeutung anerkennen: Der Datenschutz ist kein Verhinderer, sondern ein wichtiger Regulator und Steuerungsfaktor. Menschen lassen sich auf neue Technologien eher ein, wenn sie Vertrauen haben, dass ihre Rechte und Freiheiten gewahrt bleiben. Ansonsten neigen sie dazu, sich ins Private zurückzuziehen oder Falschangaben zu machen.

Die EU hat mit der DS-GVO gezeigt, wie es geht

Die Europäische Union hat das Potenzial eines starken Datenschutzes erkannt und mit einer unglaublichen Kraftanstrengung vor allem des Europäischen Parlaments ein einheitliches Datenschutzrecht für Europa geschaffen. Damit hat sie ein kraftvolles Zeichen für die Bedeutung eines der grundlegenden europäischen Grundrechte gesetzt, an dem auch der Rest der Welt nicht mehr vorbeikommt. Denn sie hat erkannt, dass das Recht auf Privatheit in Zeiten globaler Digitalisierung nur erhalten bleiben kann, wenn die europäischen Staaten als vereinter Wirtschaftsraum auch gemeinsam ihre ethischen Überzeugungen verteidigen. Datenschutz ist Teil der europäischen Werte. Mit der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) wurde ein Maßstäbe setzendes Gesetz verabschiedet. In nicht wenigen Teilen der Welt wird es mittlerweile ganz oder in Teilen übernommen. Die DS-GVO hat Europa vorangebracht: Die EU bewährt sich hier als Bastion der Freiheit und Rechtsstaatlichkeit sowie als Schutzwall gegen Angriffe auf die Privatsphäre. Darauf sollten wir stolz sein.

Maja Smoltczyk, Dieter Kugelmann

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