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Im Bundeskanzleramt ringt die GroKo um ein Klimaschutz-Paket.

© imago images / photothek / Florian Gaertner

Update

Schlaflos im Kanzleramt: 19 Stunden verhandelte die GroKo über ihre Klimastrategie – Chronik einer Nacht

Seit dem frühen Donnerstagabend verhandelten die Spitzen von Union und SPD um das Klimapaket. Am Freitagmittag wurde eine Einigung erzielt.

Um 7.10 Uhr fährt ein großer Tanker mit Bio-Diesel am Deutschen Bundestag vor, Druckbetankung, nicht ganz klimafreundlich. Schräg gegenüber im Kanzleramt fließt der Kaffee, die Sonne ist über Berlin aufgegangen und Kanzlerin Angela Merkel ringt mit den Spitzen von Union und SPD immer noch um die Details eines Klimapakets.

Am Hauptbahnhof treffen derweil die ersten Züge mit den Demonstranten von Fridays for Future für den großen Klimastreik ein. Der Druck ist groß, vor allem auf diese kritisch beäugte Koalition. Es erschließt sich nicht, warum nicht gleich zu Beginn, sondern erst am Ende der größte Knackpunkt, die CO2-Bepreisung, verhandelt wird. Hängt und fällt doch alles mit dem Start und der Höhe des künftigen Preises je Tonne CO2 für Benzin, Diesel und Heizöl.

Um 18 Uhr am Donnerstag haben die Marathonverhandlungen, begonnen, für den dpa-Fotografen Kay Nietfeld bringen sie bei der Ankunft am Kanzleramt eine ziemliche Überraschung mit sich. Er hatte mal ein Bild von Merkel und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer geschossen, die sich bei einer Pressekonferenz kritisch beäugen. Nun sieht er sein Bild auf 200 Quadratmeter Stofffläche, ausgelegt in der Abenddämmerung vor dem Kanzleramt. Eine Aktion von Greenpeace – dazu der Slogan als Mahnung an die Verhandler drinnen: „No more Pillepalle“. Vor Pillepalle, einem Sammelsurium an nicht effektiven Einzelmaßnahmen, hatte Grünen-Chef Robert Habeck gewarnt.

Fünf vor zwölf

Gut, Greenpeace hat das Bild etwas aufgemotzt und noch eine goldene Uhr reinmontiert, auf der die Zeiger auf fünf vor zwölf stehen. Ein paar Schüler sitzen im Gras vor dem Zaun, diskutieren über Klimawandel und die Demos am Freitag, auf einem Schild wird die Losung „Ungehorsam für Alle! – Klimablockaden beim Globalen Klimastreik“ ausgegeben. Eine Schülerin steht am Zaun des Kanzleramts und hält ein Plakat mit der Frage „Oma, Opa, was sind eigentlich Eisbären“ hoch.

Um 19.45 Uhr versucht Matthias Miersch, der Umweltexperte der SPD-Fraktion, zu Fuß in das Kanzleramt zu kommen. Dort ist derzeit an den Eingangstoren eine große Baustelle, die Tiefgarage wird für mehrere Millionen saniert. So hebt Miersch mit seinem Rollkoffer eine rot-weiße Absperrung aus den Angeln, sagt, er wolle rein zu den Beratungen. Er ist Fachmann vor allem für den Streitpunkt Windkraftausbau, auf 65 Prozent soll der Ökoenergie-Anteil bis 2030 steigen, es geht um Abstandsflächen, Natur- und Waldschutz. Viele Bürger sind genervt vom Schattenschlag und Lärm.

Miersch steht nun mitten in der Baustelle, etwas hilflos. Er versucht sich zu befreien und muss auf der anderen Seite noch eine Absperrung herausheben, um ins Kanzleramt zukommen. Ein etwas abgedroschenes Bild - aber eine ziemliche Baustelle ist ja auch die Klimapolitik der Regierung.

350 Millionen CO2 sollen jährlich eingespart werden

2007 gab es auch schon mal ein großes Klimapaket, Kernstück, eine höhere KfZ-Steuer für Spritschlucker, eine Bemessung nach Kohlendioxidausstoß. Damals gab es aber noch keine E- oder Hybridautos auf die man umsteigen konnte, gerade Bürger mit alten, spritfressenden Autos wären die Verlierer gewesen. Zudem stieg der Ölpreis, das Paket wurde im Gesetzgebungsverfahren etwas geschreddert.

Nun dringt nach dpa-Angaben raus, dass über einen Einstiegspreis im Rahmen eines nationalen Emissionshandels von 35 Euro je Tonne CO2 gesprochen wird. Bis 2030 müssen rund 350 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich jährlich eingespart werden, um das Ziel von 55 Prozent weniger Emissionen zu schaffen. Ein gewaltiger Kraftakt, der mit gewaltigen Anreizprogrammen möglichst viele Bürger dazu bewegen soll, klimafreundlicher zu leben und sich zu bewegen.

Das würde bedeuten, dass Diesel und Heizöl um etwa 11 Cent pro Liter teurer würden, Benzin um knapp 10 Cent pro Liter und Erdgas um knapp 1 Cent pro Kilowattstunde. Ein CO2-Preis im Verkehr und bei Gebäuden würde Milliarden in die Staatskasse spülen. Die Koalition will das Geld aber für Entlastungen von Bürgern und Unternehmen nutzen - etwa beim Strompreis. Um beim Heizen Treibhausgase zu sparen, könnten klimafreundliche Sanierungen – wie bessere Fenster, Isolierungen oder neue Heizungen - über Steuer-Rabatte gefördert werden.

Als unstrittig gilt, Bahntickets im Fernverkehr durch eine Senkung der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent günstiger zu machen. Für alte Ölheizungen soll es eine Abwrackprämie geben. Die staatliche Kaufprämie für E-Autos könnte auf bis zu 4000 Euro plus 2000 Rabatte der Hersteller erhöht werden, die Zahl der Ladepunkte soll um mehrere Hunderttausend Stationen erhöht werden.

Klimawissenschaftler fürchten ein heilloses Durcheinander

Die Details sind kompliziert, Klimawissenschaftler fürchten ein heilloses Durcheinander.

Um 20.40 Uhr fährt eine weitere Limousine in den Hof des Kanzleramts. „Ein Herr aus Bayern“, meint der diensthabende Polizist. Es ist Horst Seehofer. Er fährt im Aufzug nach oben, steigt aus, und steht plötzlich vor einer Traube älterer Menschen. Draußen steht ihr Bus, ein Schild an der Scheibe weist sie als Gruppe des Bundestagsabgeordneten Özdemir aus.

Eine 47-köpfige Spitzeleinheit des Grünen-Politikers Cem Özdemir, um den Koalitionären beim Rechnen der CO2-Einsparmaßnahmen auf die Finger zu schauen? „Nee, wir sind aus Duisburg“, sagt eine Frau als sie wieder draußen ist und den Bus besteigt. „Wir sind eine Besuchergruppe des Bundestagsabgeordneten Mahmut Özdemir.“ Eine andere Dame sagt über die plötzliche Begegnung mit Bundesinnenminister Seehofer: "Ich hab‘ jetzt den Schock meines Lebens." Seehofer sei aus dem Aufzug getreten und habe sich formvollendet vor der verdutzten Özdemir-Gruppe verbeugt.

Zumindest können sie nun sagen, im Kanzleramt gewesen zu sein, als dort eine der längsten und wichtigsten Verhandlungen der dritten großen Koalition Merkels stattgefunden hat.

Gegen 22 Uhr ist dann auch einer der wichtigsten da – Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Er hatte in der Essener Philharmonie noch eine Rede beim Politischen Forum Ruhr gehalten. Er kämpft ja gerade auch um den SPD-Vorsitz, ihm ist das Signal wichtig. Neben Klimaschutz, Kohleausstieg und mehr Förderung der ländlichen Räume gerade in Ostdeutschland, ist das Ruhrgebiet nicht vergessen.

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Er verspricht, dass der Bund, wenn es einen Konsens mit den Ländern gibt, bei den kommunalen Altschulden, vor allem bei den Kassenkrediten unter die Arme greifen will. „Es geht hier nicht zuletzt um die Einsicht, dass Hilfe für einige zum Nutzen aller ist. Das ist Solidarität“, sagt Scholz. Wie er all das finanziell stemmen will, ohne die „schwarze Null“ im Haushalt zu kippen, das wird sich noch zeigen.

Rückhalt aus NRW können er und seine Mitbewerberin Klara Geywitz jedenfalls auch gut gebrauchen beim in einigen Wochen anstehenden Votum der SPD-Mitglieder gebrauchen über die neue Parteispitze. Per Flug gehe es zurück nach Berlin, dann direkt ins Kanzleramt. Er ist ein knallharter Verhandler, unvergessen die letzte Nacht der Koalitionsverhandlungen im Februar 2018, als er und die anderen SPD-Verhandlungsführer stundenlang einfach warteten, bis die Union und ihre Kanzlerin am frühen Morgen einwilligten, dass die SPD auch noch das Finanzministerium bekommt.

Kein Ende ist in Sicht

Zurück ins Hier und Jetzt. Zu der Zeit, als Scholz eintrifft, läuft drüben beim Bundestag die große, beeindruckende Open Air-Film-Installation „Dem deutschen Volke — Eine parlamentarische Spurensuche“. Als die Berliner Mauer fällt, ertönt aus den Lautsprecherboxen „An Tagen wie diesen“ von den Toten Hosen. „An Tagen wie diesen, haben wir noch ewig Zeit. In dieser Nacht der Nächte, die uns so viel verspricht. Erleben wir das Beste. Kein Ende ist in Sicht.“ Ob das auch drüben im Kanzleramt gehört wird? Nun ja, es ist eine der größeren Herausforderungen seit dem Mauerfall, dieses Paket, das da zu zimmern ist. Kein Ende ist in Sicht.

Es wird Nacht im Kanzleramt – die lange Dauer hängt auch damit zusammen, dass gerade Scholz nicht mit einem windelweichen Kompromiss zurück zu den SPD-Regionalkonferenzen kann, Nummer 14 von 23 war für Freitagabend in Neubrandenburg angesetzt.

Es ist gerade für ihn derzeit ein Höllenritt. Klimaschutz ohne soziale Verwerfungen, gerade für Pendler auf dem Land, das ist eine nicht triviale Aufgabe. Zwar will niemand ein Scheitern, aber an einer Einigung hängt auch die Koalition – der kommissarische SPD-Chef Thorsten Schäfer Gümbel hatte von einer entscheidenden Bewährungsprobe gesprochen, CSU-Chef Markus Söder versprach eine „Revolution für Deutschland.“ Ein gähnender Söder und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sind am Donnerstagmorgen auf dem Balkon des Kanzleramts zu sehen, um frische Luft zu schnappen.

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und Markus Söder am Morgen auf dem Balkon des Kanzleramtes.
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und Markus Söder am Morgen auf dem Balkon des Kanzleramtes.

© dpa/ Kay Nietfeld

Weil alles so schwierig ist, soll es denn auch erst einmal nur ein 25-30 seitiges Eckpunktepapier geben.

Das für 11 Uhr geplante Klimakabinett, das alles absegnen soll, wird am Morgen auf 13 Uhr verschoben. Danach ist mit Kanzlerin Merkel, Vizekanzler Scholz und den anderen Spitzen der Koalition eine Pressekonferenz im Futurium geplant, dem neuen „Haus der Zukünfte“ am Hauptbahnhof, wo sich alles um die Frage dreht: Wie wollen wir leben? Das Framing, die Verkaufe stimmt.

Ein Klimakonzept für eine lebenswerte Zukunft ist ja auch zum überwölbenden Projekt der Koalition geworden, so wie Finanz- und Flüchtlingskrise erwischte auch die Klimakrise die Bundesregierung etwas überraschend, vor allem verstärkt durch den Druck der Straße, der Fridays for Future-Bewegung. Damals bei der Pressekonferenz nach dem harten, schlaflosen Finale der Koalitionsverhandlungen sahen Merkel und Co. unglaublich abgekämpft und müde aus, das vermittelte alles andere als Aufbruch und Zukunft. Die spannende Frage, die auch das Kanzleramt umtreibt: Was, wenn die in Berlin erwarteten zehntausenden Demonstranten die Umgebung blockieren und das Futurium nicht zu erreichen ist?

Und die weit größere Frage an diesem Tag: Wird das Paket die Stimmung, die sich zuletzt immer stärker gegen Autos und Flugzeuge richtete, beruhigen? Hier hat man ja den Eindruck, dass statt Gelbwesten wie in Frankreich, die sich gegen einen C2-Aufschlag an den Tankstellen gewehrt hatten, eher eine Grünwesten-Bewegung entstehen könnte. Für diese so wichtigen Tag hat jemand an einer Berliner U-Bahnstation die Frage an die Koalition auf den Punkt gebracht, mit roter Schrift steht dort auf dem Asphalt: „Klima?“

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