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Schutz im Untergrund. Idlibs Einwohner bauen ihre Keller zu Bunkern um.

© Omar Haj Kadour/AFP

Schlacht ums syrische Idlib: "Wir versuchen alles, um den Ernstfall zu verhindern"

Peter Maurer, Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, über die Schlacht um Idlib, das humanitäre Völkerrecht und die Kunst der Diplomatie.

Herr Maurer, der Sturm auf die syrische Provinz Idlib scheint kaum noch abzuwenden zu sein. Wie bereitet sich Ihre Hilfsorganisation auf diesen Ernstfall vor?

Wir wissen noch nicht, ob dieser Großangriff stattfinden wird. Aber selbstverständlich bereitet sich das Internationale Komitee vom Roten Kreuz auf dieses Gefecht vor. Und zwar genauso wie wir es immer tun, wenn eine Situation droht zu eskalieren.

Das heißt?

Es gibt ein logistisches Standartrepertoire, das uns ermöglicht, rasch zu reagieren. Wir müssen ja immer überlegen, wo auf der Welt sich gerade größere militärische Aktionen abzeichnen. Zu unserer Arbeit gehört es dabei, den Akteuren klar zu machen: Es gibt ein humanitäres Völkerrecht, das respektiert und eingehalten werden muss. Das ist umso wichtiger, weil es immer wieder verletzt wird. Alle Konfliktparteien müssen wissen, welche dramatische Folgen militärische Operationen für die Zivilbevölkerung haben können. Deshalb müssen wir uns immer darum bemühen, politisch-diplomatisch auf die Kriegsgegner einzuwirken.

Im Fall von Idlib sind Sie zuversichtlich, dass eine Schlacht noch abgewendet werden kann?

In den vergangenen Tagen hatte ich die Gelegenheit in Genf, mit Vertretern der Großmächte zu sprechen. Deshalb bin ich vorsichtig optimistisch, dass vielleicht die Zeit für ein politisches Arrangement noch nicht abgelaufen ist.

Dennoch haben sich bereits 30.000 Menschen vorsichtshalber in Sicherheit gebracht. Die UN gehen sogar von 800.000 Flüchtlingen aus, wenn es zur Schlacht zwischen den Aufständischen und den Einheiten von Baschar al Assad kommen sollte. Teilen Sie diese Einschätzung?

Es ist sehr schwierig, Dimensionen abzuschätzen. Für jeden Konfliktgebiet gilt: Die Androhung von Gewalt führt dazu, dass die Bevölkerung entsprechend reagiert, was mehr als verständlich ist. Eine unserer Lehren aus den vergangenen Jahren lautet aber, dass Voraussagen auch falsch sein können. Nicht weil die Annahme als solche falsch wäre, sondern weil konkrete Entscheidungen der Zivilisten von vielen unterschiedlichen Faktoren abhängig sind. Wir wissen, wie viele Menschen in Idlib leben. Wir kennen das Eskalationspotenzial. Darauf bereitet sich das International Komitee vom Roten Kreuz vor. Aber wir versuchen alles, um den Ernstfall zu verhindern.

Peter Maurer ist seit 2012 Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK).
Peter Maurer ist seit 2012 Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK).

© Thilo Rückeis

Aber lehrt gerade der Krieg in Syrien nicht, dass angekündigte militärische Offensiven stets auch tatsächlich stattfinden? Das Elend und die Not, die derartige Kämpfe verursacht haben, ist in weiten Teilen des Landes sichtbar.

Syrien ist ein bedrückendes Beispiel dafür, dass sich Voraussagen leider auch bewahrheiten. Für uns ist es trotzdem entscheidend, dass wir mit allen Kriegsparteien im Kontakt bleiben, um Leben zu schützen.

Eines der großen Probleme der Helfer ist, dass ihnen immer wieder der Zugang zu den Notleidenden und Sicherheitsgarantien verwehrt werden. Ist es unter derartigen Bedingungen überhaupt möglich, die Menschen schnell und effizient zu versorgen?

Es ist in der Tat eine riesige Herausforderung, Zugang zu bekommen. Das eigentlich Selbstverständliche hängt von sehr komplexen, zeitintensiven Verhandlungen ab. Drei Dinge machen die Sache so schwierig.

Welche sind das?

Objektive Sicherheitserwägungen sind das eine. Aber gleichfalls gibt es oft einen politischen Unwillen, uns Zugang zu gewähren. Da wird das Thema Sicherheit vorgeschoben, um Hilfe zu verhindern. Hinzu kommen bürokratische Hindernisse. Das ist eine komplexe Gemengelage. Die macht es erforderlich, mit allen Kriegsparteien zu reden; ihnen klar zu machen, dass wir unabhängige und unparteiische Arbeit leisten. Die Politisierung humanitärer Hilfe macht uns schon zu schaffen. Doch dem müssen wir uns stellen.

Wie fühlt es sich an, wenn man helfen will und kann, aber nicht darf?

Jeder Beruf erfordert eine gewisse Frustrationstoleranz. Bei humanitären Helfer muss sie besonders groß sein. Ich bin allerdings auch immer wieder erstaunt, was uns alles gelingt. Klar frustrieren die vielen weißen Flecken auf der Landkarte, die zeigen, wo wir nicht helfen können. Aber es gibt eben auch eine Menge schwarzer Flecken, wo genau das möglich ist. Wir haben in den vergangenen Jahren unser Budget verdoppeln können, nicht zuletzt aufgrund der finanziellen Unterstützung aus Deutschland. Das zeigt: Wir können sehr wohl Erfolge vorweisen.

In der öffentlichen Wahrnehmung spielt das jedoch kaum eine Rolle.

Ich verstehe schon, dass sich die Öffentlichkeit vor allem die Verletzungen des humanitären Völkerrechts beklagt. Doch diese Perspektive lässt uns zuweilen vergessen, dass die Norm durchaus auch respektiert wird. Dass es zum Beispiel Kliniken gibt, die nicht angegriffen werden. Das sollten wir nicht vergessen.

Land in Trümmern. Im Jemen tobt seit Jahren ein verheerender Krieg.
Land in Trümmern. Im Jemen tobt seit Jahren ein verheerender Krieg.

© Mohammed Huwais/AFP

Mit Blick auf den bitterarmen Jemen kann man einen anderen Eindruck gewinnen.  Dort herrscht ein Krieg, der sehr viele Opfer fordert, Millionen Menschen hungern lässt und zu Vertriebenen macht. Rücksichtnahme scheint ein Fremdwort zu sein. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Der Konflikt im Jemen ist schon Jahrzehnte alt. Neu ist, dass die Lage eskaliert und sich der Krieg darüber hinaus internationalisiert hat. Dies verschärft die ohnehin traditionell vorhandenen Gegensätze weiter. In dem Land gibt es nicht nur viele Clans, Stämme und religiöse Gruppen mit völlig gegenläufigen Interessen, sondern nun ebenfalls externe Akteure. Was uns als Hilfsorganisation dazu zwingt, auf breiter Basis diplomatisch zu agieren.

Um was zu erreichen?

Unser vorrangiges Ziel ist es, sichere Räume für humanitäre Arbeit zu schaffen. Immerhin existiert ein grundsätzliches Einvernehmen, dass wir helfen sollen. Ein solches ist auch dringend erforderlich. Denn der Jemen steckt in einem Teufelskreis aus fehlender Wasserversorgung, einem kaum noch existierenden Gesundheitswesen und einem immensen Abfallproblem. Vom Hunger ganz abgesehen.

Das Gespräch führte Christian Böhme.

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