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Szene aus Euskirchen, Nordrhein-Westfalen: Auf dem Charleviller Platz türmt sich Elektromüll. Auch das will gesehen werden.

© David Young/dpa

Schaulust und Eigennutz: Warum wir Bilderfluten zur Flutkatastrophe wollen

In Erftstadt und anderswo kämpfen Betroffene und Helfer gegen Verwüstungen, und Nicht-Betroffenen konsumieren das als Medienerlebnis. Auch um sich zu stärken. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Caroline Fetscher

An Alpträume erinnern die Bilder aus den überfluteten Gebieten. Sie wirken wie wahr gewordene Traumszenen, in denen das Vertraute unheimlich wird, von Angst überschwemmt. Flussbette bersten, Brücken brechen ein, Häuserfassaden werden aufgerissen. Eine Tür ist keine Tür mehr, ein Fenster kein Fenster, was stabil war ist erschüttert, was privat war hat Schutz verloren.

In Träumen deuten solche Bilder auf Botschaften des Unbewussten. Etwas muss verarbeitet und bewältigt werden, etwas war zu viel für die Psyche, und es wäre wichtig, herauszufinden, was und weshalb. In der Realität sind Wassermassen, die Keller fluten, Fundamente unterspülen und Straßen in Flüsse verwandeln eine Naturkatastrophe, auf die akut und praktisch reagiert werden muss. Auch da wird es wichtig sein, herauszufinden, was die Auslöser waren.

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Erst einmal allerdings arbeitet die betroffene Bevölkerung an der Seite von Hilfstrupps gegen die unmittelbaren Folgen an, während die nicht von den Fluten betroffene Bevölkerung sich medial von Szenen des Desasters überfluten lässt. Wie die Sturzbäche selber schienen die Aufnahmen, von Handyvideos zu Helikopterperspektiven, tagelang nicht abzuebben. Wieder und wieder reißen braune Schlammströme Bäume und Fahrzeuge mit sich, türmt sich Unrat an Bordsteinkanten, winken Menschen von Hausdächern oder waten knietief durch trübe Brühen, verursacht durch unmäßige Regenschauer, jetzt als Starkregen bekannt.

[Lesen Sie hier bei T-Plus: "Wer seine Bürger nicht schützt, ist ein failed state“]

Wasser ist wohltuend, das ist eine Gewissheit, und eben erst wurden Heilbäder zu Unesco-Weltkulturerbe ernannt. Wasser als Feind weckt archaische Ängste, das Gute wird unbekömmlich, das Schöne hässlich. Der Cocktail aus Emotionen, den das nährt, ist psychologisch wie ethisch komplex. Ein Aspekt der Faszination für die überwältigenden Bilder vom Hochwasser darf zweifellos als apotropäisch gelten, also Unheil bannend und abwehrend. Aus der Distanz, beim Fern-Sehen, scheint das Geschehen kontrollierbar, als könne man es ein- und ausschalten. Außerdem prägen Leute sich ein, wie man sich zu verhalten hätte, träfe es sie selber.

Das passiert wirklich, das träumen wir nicht

Wiederholungen werden angeschaut, wie Kinder wieder und wieder gruselige Märchen hören wollen, um von Mal zu Mal im Thrill mehr Angstbewältigung üben. Wiederholungen helfen auch, sich der Realität zu vergewissern: Das passiert wirklich, das träumen wir nicht. Zu Entsetzen und Empathie kann sich der wohlige Schauder gesellen, selber im Trockenen zu sitzen, erleichtert und dankbar.

Auch um dieses Privileg zu kompensieren wird gespendet. Hinfahren und Helfen ist im Übrigen das eine, Voyeurismus und Sensationstourismus das andere, und dennoch dürfte beides bisweilen verquickt und kaum zu entflechten sein, wo das Bedürfnis herrscht, Starkerfahrungen bei Starkwetter zu machen, und die mediale Starkbilderflut dazu beiträgt.

Dass mehr reale Wassermassen aus den Wolken kommen werden, ehe nachhaltiger Klimaschutz wirksam wird, gilt als gesichert. Umso relevanter wird das Wissen darüber, was jeweils zu tun ist, und umso sinnvoller auch wird die Aufklärung über Affekte und Öffentlichkeit. Was wir vom bewussten und unbewussten Umgang mit Katastrophen besser verstehen, lässt uns für die Realität allemal besser erkennen, was hindert und was hilft.

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