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Wolfgang Schäuble.

© imago/ZUMA Press

Schäuble über die Degeneration der Deutschen: Auf dem Terrain von Erdogan und Sarrazin

Wolfgang Schäuble sagt, dass eine Abschottung die Deutschen kaputt machen würde - und klingt wie ein Rassentheoretiker. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Moritz Schuller

Über das Internet kann man ein T-Shirt mit dem Schäuble-Spruch „There will be no Staatsbankrott“ bestellen. Es kostet in der billigsten Ausführung 19 Euro 99. Wer dazu auch den Kopf des deutschen Bundesfinanzministers auf dem Hemd haben möchte, muss 25 Euro 99 bezahlen.

Für Wolfgang Schäubles neueste Aussage braucht es schon ein XXL-Shirt. Das macht es sicher nicht billiger, es lohnt sich jedoch: „Die Abschottung ist doch das, was uns kaputt machen würde, was uns in Inzucht degenerieren ließe. Für uns sind Muslime in Deutschland eine Bereicherung unserer Offenheit und unserer Vielfalt. Schauen Sie sich doch mal die dritte Generation der Türken an, gerade auch die Frauen! Das ist doch ein enormes innovatorisches Potenzial.“
Das Zitat, aus einem Schäuble- Porträt in der aktuellen „Zeit“ ist außergewöhnlich, weil es alle deutschen Obsessionen verdichtet: Rasse, Größe, Untergang.

Warum sollten wir gezwungen sein, Inzucht zu betreiben?

Dass sich der Finanzminister gegen Abschottung ausspricht und damit seiner Einschätzung aus dem Februar widerspricht („Die Flüchtlingszahlen müssen dramatisch sinken, sonst schaffen wir das nicht mehr“), ist dabei bestenfalls als politisch-taktische Fußnote interessant. Interessanter ist, was dann kommt. Denn offenbar teilt Wolfgang Schäuble die Ansicht, dass es bei der Flüchtlingsfrage um die Zukunft des Abendlandes geht, also darum, ob wir kaputtgehen oder nicht. Wie bei der AfD geht es auch bei ihm ums Ganze: um nichts Geringeres als die Existenz der Deutschen.

Doch anders als viele, die in den Flüchtlingen zukünftige Facharbeiter sehen, beschreibt er die Herausforderung, vor der die Deutschen stehen, nicht in ökonomischen Begriffen – sondern in rassischen. Die Deutschen würden nicht ärmer werden, sondern biologisch kaputtgehen, wenn sie sich abschotten würden. Sie würden degenerieren. Das ist einerseits eine skurrile These. Warum sollten wir in einem Land von mehr als 80 Millionen Einwohnern ohne Zuwanderung gezwungen sein, Inzucht zu betreiben und mit unseren Töchtern und Schwestern Kinder zu zeugen?

Andererseits, und das ist noch erstaunlicher, begibt sich Schäuble mit dem Wort „Degeneration“, der Entartung, nicht nur sprachlich auf rassentheoretisches Terrain. Denn dort trifft er sich mit dem türkischen Präsidenten und einem ehemaligen Berliner Finanzsenator. Recep Tayyip Erdogan hatte nach der Armenien-Resolution im Bundestag einen Bluttest von den türkischstämmigen Abgeordneten verlangt: „Sie haben nichts mit Türkentum gemein. Ihr Blut ist schließlich verdorben.“ Was Erdogan empört, die Vermischung des Blutes, wird von Schäuble als Rettung des deutschen Volkes vor der Degeneration gepriesen. Beiden geht es um einen gesunden Volkskörper.

Gleichzeitig liefert Schäuble Thilo Sarrazin, der davon gesprochen hatte, dass es in Deutschland „eine unterschiedliche Vermehrung von Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlicher Intelligenz“ gebe, eine späte Antwort. Die genetischen Probleme haben die Deutschen, behauptet Wolfgang Schäuble, nicht die anderen: Deutschland schafft sich ab, wenn es sich abschottet.

Selbst im Lob der Zuwanderung trennt Schäuble mit seiner Sprache

Für Schäuble liegen die Vorteile von Zuwanderung im biologischen Arterhalt der Deutschen, aber auch in der kulturellen Bereicherung. Doch liest man den Satz genau, in dem der Minister Flüchtlinge und türkischstämmige Deutsche mit leichter Hand gleichsetzt, entlarvt er eine erstaunliche Distanz: „Für uns sind Muslime in Deutschland eine Bereicherung unserer Offenheit und unserer Vielfalt.“

Dreimal wird den Muslimen das wir gegenübergestellt. Selbst im Lob der Zuwanderung trennt Schäuble mit seiner Sprache. Das steigert er noch in seinem letzten Satz, wenn er der dritten Generation von Türken „ein enormes innovatorisches Potenzial“ zuweist. Potenzial heißt, dass sie ihre Fähigkeiten noch nicht entwickelt haben, und damit sagt Schäuble, dass die Frauen selbst nach drei Generationen ihre Möglichkeiten nicht ausschöpfen. Sie sind eine Bereicherung, weil sie die Deutschen offener und vielfältiger, also besser, machen. Dazu müssen sie gar keinen Beitrag leisten – sondern einfach nur da sein.

„There will be no Staatsbankrott“ ist sicher lustiger. „Isch over“ aus der Griechenland-Krise auch. Aber Schäubles aktuelle Äußerung ist eine faszinierende Mischung aus Anbiederung und Rassismus, aus Grün und AfD, aus deutschem Größenwahn und deutscher Autoaggression – und der Verachtung für alle, die offenbar doch nicht dazugehören. Das ist nicht nett und vielleicht nur opportunistisch. Doch die Vorstellung, dass es Aufgabe von Politik sein könnte, die rassische Durchmischung einer Nation zu steuern, ist etwas anderes: Das ist totalitär.

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