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Thilo Sarrazin.

© dpa

Sarrazin als Büttenredner: Mer wolle ’n net roilosse

Im Mainzer Karneval formiert sich Widerstand – denn Thilo Sarrazin ist als Büttenredner der Ranzengarde geladen. Die Gegner versprechen: Der Protest soll lustig werden.

Für die Hofnarren des Mittelalters galt die Narrenfreiheit. Sie erlaubte ihnen, jeden lächerlich zu machen und alles zu kritisieren, was ihnen missfiel. Es hatte selten Folgen. In Mainz gilt das bis heute, jedenfalls im Karneval. Doch könnte es damit bald vorbei sein, fürchtet die Mainzer Ranzengarde: Sie fühlt sich von „linkem Zeitgeist bedrängt“. Ihr Generalfeldmarschall Johannes Gerster, ein früherer CDU-Landesvorsitzender, sieht gar die Redefreiheit bedroht. Denn schon seit Wochen ist die älteste Fastnachtskorporation in Mainz scharfer Kritik ausgesetzt. Sie hat Thilo Sarrazin eingeladen. Eine Narrenfreiheit, die vielen Mainzern zu weit geht.

Der Ex-Bundesbanker soll am nächsten Sonntag in die Bütt steigen, beim Großen Musikalischen Generalappell der Garde soll er den Musikkabarettisten Lars Reichow ehren. Reichow bekommt einen Fastnachtsorden, den „Mainzer Ranzengardisten“. Diese Auszeichnung verleiht die Garde an Personen des öffentlichen Lebens, die sich „mit Humor und Lebensfreude als Botschafter der Mainzer Fastnacht verdient gemacht haben“. Neben Bischof Karl Kardinal Lehmann und dem ZDF-Intendanten Markus Schächter hat auch Thilo Sarrazin – er war in den 90er Jahren Staatssekretär im rheinland-pfälzischen Finanzministerium – den Orden erhalten. Das war im Januar 2009. Und nun hält er die Laudatio.

Das könnte sicher lustig werden, wären da nicht diese Mucker und Philister, Miesmacher halt, die gegen Sarrazins Auftritt im Mainzer Schloss protestieren wollen. Einen „Umzug“ haben sie angemeldet, der durch die ganze Stadt gehen soll. Kunterbunt soll er werden, heißt es aus dem Kreis der Veranstalter. Also keine Demonstration, wie man sie kennt, auch keine Blockade. Nein, der Protest soll allen Spaß machen, zu Mainz passen, vielfältig und lebensfroh sein. Es sind rund zwanzig Initiativen und Vereine, darunter auch die DGB-Jugend und der Kreisverband der Grünen, die aufgerufen haben, gegen den Auftritt von Sarrazin zu protestieren.

„Thilo Sarrazin und andere sprechen keine unbequemen Wahrheiten aus, sie brechen keine Tabus und sind keine Verteidiger der Meinungsfreiheit“, heißt es in dem Aufruf. Nichts von dem, was Sarrazin beschreibe, sei eine Bereicherung der Diskussion, geschweige denn neu oder originell. Dass so einer wie Sarrazin ausgerechnet in der „guten Stube“ von Mainz, dem Kurfürstlichen Schloss, ein Forum bekommen soll, wollen die Initiativen, die zu einem großen Teil mit Migranten arbeiten, nicht hinnehmen: Rassismus werde salonfähig gemacht. Unterstützung erhält das Bündnis von der örtlichen SPD: Die Stadtratsfraktion hat schon vor Wochen ihre Teilnahme an der Ordensverleihung abgesagt. Die Stadt Mainz habe die „Erklärung für Demokratie, Vielfalt und Toleranz“ unterzeichnet, schreibt der Fraktionsvorsitzende an die Ranzengarde. Mainz habe sich damit verpflichtet, Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zu bekämpfen. Die SPD habe daher kein Verständnis, dass Sarrazin in Mainz eine Plattform erhalte.

„Wir bewerten keine politischen Äußerungen“, weicht der Fastnachter Gerster den Vorwürfen aus, auch Preisträger Lars Reichow versucht sich im Spagat: Er verurteile die Verlogenheit der Politiker, die sich schnell und populistisch auf Sarrazin eingeschossen hätten. Genauso verurteile er die ungeschickte Methode Sarrazins. Aber jeder Jeck ist anders: „Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier, dann steht der Thilo vor der Tür“, schallt es aus der Ecke der Sarrazin-Gegner. Die Vorbereitungen fürs närrische Gegenprogramm laufen auf Hochtouren.

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